Interview mit Dr. Michael Vesper, dem Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

aus OWEP 4/2013  •  von Christof Dahm

Die Fragen stellte Christof Dahm.

Leistungs- und Breitensport sind in Deutschland und sicher auch in anderen Ländern immer in der Gefahr der Kommerzialisierung. Welche Möglichkeiten sehen Sie, hier gegenzusteuern und Missbrauch einzudämmen? Welche Wege beschreitet der DOSB?

Dr. Michael Vesper (Foto: privat)

Sport ist ein Wert an sich. Jeder, der Sport treibt, ob jung oder alt, Mann oder Frau, Hobby- oder Leistungssportler, tut dies aus Freude an der Bewegung. Wie eine neuere Untersuchung des DOSB zeigt, steht der Spaßfaktor eindeutig im Vordergrund. Auch der Spitzensportler gewinnt die Motivation für sein oftmals entbehrungsreiches, weil zeit- und kraftintensives Training nicht aus der vagen Verheißung, als Olympiasieger oder Weltmeister später einmal lukrative Werbeverträge an Land ziehen zu können. Richtig ist aber auch, dass sowohl der Leistungs- wie auch der Breitensport auf Partner angewiesen sind, die sie auch und gerade finanziell unterstützen: Der Leistungssportler braucht eine gesicherte Wirtschaftsbasis, um trainieren zu können; der Breitensportler ist auf intakte Sportstätten und moderate Mitgliedsbeiträge angewiesen. Der Sport muss daher auch in Zukunft attraktiv sein für Partner, darf dabei aber seine Seele nicht verkaufen.

Welche Rolle spielt der Sport in Deutschland zum Ausdruck nationaler Identität? Gibt es in dieser Hinsicht Parallelen oder auch Unterschiede zu anderen europäischen Ländern?

Ob man es will oder nicht: Der Sport trägt, wenn er sich denn international misst, zum Nationalgefühl bei. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland geben an, dass sie sich darüber freuen, wenn deutsche Athleten bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften Medaillen gewinnen. Auch die Fußballweltmeisterschaft 2006 ist uns allen noch in bester Erinnerung – mit dem Sommermärchen ist bewiesen, dass der Sport ein Land verändern kann. Und natürlich hätten wir uns gefreut, wenn die Fußballer genauso wie die Handballer ein Jahr später ihre tollen Leistungen mit dem Weltmeistertitel gekrönt hätten. Doch war damit zu keinem Zeitpunkt ein verbissener Siegeswille verbunden, der ausschließlich die eigene Mannschaft nach vorne treibt und die Leistungen des Gegners nicht anerkennt. Fußball-Deutschland war nach dem verlorenen Halbfinale niedergeschlagen, doch ist dieser Seelenzustand schnell dem Gefühl des Stolzes gewichen – Stolz darüber, der fußballbegeisterten Welt eine großartige Plattform für Völkerverständigung und Miteinander geboten zu haben.

Besteht angesichts zunehmender, oft rassistisch motivierter Fankrawalle im Sport die Gefahr, dass die nationale Identifikation nur als Vorwand für Vandalismus und gesellschaftsbedingten Frustrationsabbau vorgeschoben wird?

Leider wird es immer wieder einige wenige Unverbesserliche geben, die die Öffentlichkeitswirksamkeit großer Sportereignisse für ihre eigenen selbstsüchtigen Motive nutzen und dazu auch Gewalt einsetzen. Sie treten damit die auf den Prinzipien der Fairness, des gegenseitigen Respekts und des gleichberechtigten Miteinanders aller fußende Botschaft des Sports mit Füßen. Insofern ist der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe und unser Ziel, den gewaltbereiten Trittbrettfahrern – Fans kann man sie ja nicht nennen – das Handwerk zu legen. Dafür tut der Sport und vor allem der Fußball schon jetzt Einiges. Um nur ein Beispiel zu nennen: Seit 20 Jahren arbeitet unter dem Dach des DOSB die Koordinationsstelle für Fanprojekte unmittelbar an der Fanbasis daran, die friedliche Fankultur in den deutschen Fußballarenen zu erhalten und weiterzuent¬wickeln und allen fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen wirksam entgegenzutreten.

In Vergangenheit und Gegenwart hat die Politik immer wieder Einfluss auf Sportereignisse genommen; besonders markante Beispiele waren die Boykottaufrufe im Kontext der Olympischen Spiele 1980 (Moskau) und 1984 (Los Angeles), aber auch die „Spartakiaden“ in den Ostblockstaaten. Bestehen Chancen dafür, solche Eingriffe zu verhindern oder zumindest zu begrenzen?

Der Sport ist nicht unpolitisch, er macht aber keine Politik. Er hat weder Regierungsfunktion, noch verfügt er über entsprechende Instrumente, um die politische Situation in einem Ausrichterland Olympischer Spiele durchgreifend zu verändern. Dass internationale Sportgroßereignisse gleichwohl zur Verbesserung z. B. der Menschenrechtslage beitragen können, dafür gibt es viele Beispiele. So haben die Spiele der XXIV. Olympiade in Seoul 1988 dabei geholfen, dass sich das Ausrichterland unumkehrbar öffnete, was positive politische Veränderungen nach sich zog. Selbstverständlich kümmert sich auch das IOC intensiv um die Menschenrechtslage im Ausrichterland und führt Gespräche mit den zuständigen staatlichen Stellen, Menschenrechtsorganisationen und den Vertretern/innen von Betroffenen. Insoweit wehren wir uns gegen häufig parteitaktisch motivierte Versuche aus der Politik, die Vergabe von Sportgroßereignissen zu beeinflussen bzw. die Teilnahme einer deutschen Mannschaft daran zu verhindern. Die olympische Idee Pierre de Coubertins, nach der sich „die Freude an der Leistung mit dem erzieherischen Wert des guten Beispiels und dem Respekt von universalen und fundamentalen ethischen Prinzipien“ verbinden soll, ist uns Auftrag und Mahnung zugleich.

Wird Ihrer Ansicht nach der Kampf gegen Doping mit der notwendigen Entschiedenheit geführt? Was tut der DOSB konkret, um diese immer mehr um sich greifende Seuche einzudämmen?

Der Kampf gegen Doping ist eine Daueraufgabe, der sich der Sport auch weiterhin mit aller Entschiedenheit widmen wird. Der unmittelbar nach der Gründung des DOSB 2006 aufgelegte umfangreiche Anti-Doping-Aktionsplan „Zehn Punkte für Sport und Staat“ ist weitgehend umgesetzt: Wir haben Athletenvereinbarungen eingeführt, die Dopingvergehen mit Vertragsstrafen belegen, der WADA- und – darauf aufbauend – NADA-Code1 sind verschärft worden. Inzwischen gibt es mit München und Freiburg zwei Schwerpunktstaatsanwaltschaften für die Dopingkriminalität. Um den Anti-Doping-Kampf auch in Zukunft mit aller Konsequenz führen zu können, bedarf es aber auch einer stärkeren finanziellen Unterstützung insbesondere der Nationalen Anti Doping Agentur durch die öffentliche Hand. Im Übrigen halten wir daran fest, dass der Sport über die durchgreifenderen Instrumentarien verfügt, um Dopingsünder zu entdecken und anschließend sofort wirksam zu sanktionieren, während der Staat sich diejenigen vorzunehmen hat, die die Sportler mit Dopingmitteln versorgen und die Dopingnetzwerke im Hintergrund unterhalten.


Fußnote:


  1. „World Anti-Doping Agency“ bzw. „Nationale Anti Doping Agentur“; Informationen dazu unter http://www.wada-ama.org/en/About-WADA/ und http://www.nada-bonn.de/de/home/#.UnEb6KEweos↩︎