„Leider nimmt der antimuslimische Rassismus zu.“

Aus dem Alltag eines jungen Muslims in Deutschland (Erfahrungen)
aus OWEP 3/2018  •  von Ali El Hamite

Zusammenfassung

Das Verhältnis von Muslimen und Nichtmuslimen ist in Deutschland wie auch sonst in Europa von ambivalenten Erfahrungen geprägt. In der Regel ist es eher ein Nebeneinander als ein Miteinander, was letztlich Unkenntnis und Vorurteilen Vorschub leistet. Im folgenden Text kommt ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Muslim, dessen Familie aus der Marokko stammt, zu Wort. Seine Schilderungen sind nicht unbedingt repräsentativ, dürften aber der Lebenswelt vieler junger Muslime in Deutschland entsprechen.

Zurzeit studiere ich in Münster auf Lehramt für islamische Religionslehre und praktische Philosophie, zwei Fächer, die sich sehr gegensätzlich gegenüberstehen, vor allem dann, wenn es um grundlegende metaphysische Fragen geht. Geboren und aufgewachsen bin ich im westfälischen Münster; meine Eltern sind bereit seit den 1980ern und 1990ern hier und kommen ursprünglich aus Marokko. Neben meinem Studium fahre ich Taxi, um es finanzieren zu können. Ich selbst bin 1991 geboren und lebe bis heute ununterbrochen in derselben Stadt, Münster, sodass ich mich hier am meisten heimisch und mich selbst als Deutscher fühle. Das sehen jedoch viele meiner Mitmenschen anders, weil ich überhaupt nicht „typisch deutsch“ aussehe und mich eine Geburt in Deutschland noch nicht zum Deutschen macht. So argumentierte man auch schon mit mir dahingehend, dass „die Geburt einer Ratte in einem Pferdestall diese ja auch nicht zu einem Pferd macht“.

Am Anfang möchte ich gerne klären, dass man sehr oft zwar auf kultureller Ebene diskriminiert wird und eher seltener auf rein religiöser Ebene, jedoch die Linie zwischen Religion und Kultur eine sehr feine, manchmal verschwommene Linie ist und beides eigentlich ineinander übergreift. So wie es auch der promovierte Orientalist und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Navid Kermani, in seinem Werk „Wer ist Wir?“ verdeutlicht, hat man durch seinen Migrationshintergrund zwei Herzen in einer Brust und auch in seinem eigenen Zuhause einen Zugang zu einer neuen (in seinem Fall: iranischen) Welt, die sich kulturell von der Außenwelt unterscheiden lässt. Daher sehe ich in einer heterogenen Gesellschaft, die sowohl multireligiös als auch multikulturell ist, eine große Bereicherung anstatt einer Belastung, zumal man sich gegenseitig kennen lernt und seinen eigenen Horizont erweitert.

Mindestens so sehr wie ich meine Heimat Deutschland liebe, so liebe ich auch meine Religion, den Islam. Aus den Lehren des Korans und des Lebens des Propheten Mohammed leiten wir ein harmonisches, zwischenmenschliches Miteinander mit nichtmuslimischen Mitmenschen ab, was mich dazu motiviert, in meiner Heimatstadt an vielen interreligiösen und karitativen Projekten teilzunehmen. Bis zu einem gewissen Alter hat die Religion bei mir und meinen Freunden nie eine Rolle gespielt, erst die Attentate am 11. September 2001, dann das große Attentat in Spanien 2004, darauffolgend London 2005 und die großen Kriege in Irak, Libyen und vor allem Syrien sorgten dafür, dass man hier in Deutschland seitens der nichtmuslimischen Freunde eine gewisse Distanz oder auch Angst verspürte und man sich durch deren Fremdbestimmung „anders“ fühlte.

Generell lässt sich aus meiner Sicht sagen, dass man immer dann Ablehnung erfahren hat, wenn man versucht hat, an seiner Religion festzuhalten und man dann „der Übertreiber“ oder „die Spaßbremse“ war. Ein Beispiel dazu: Als ich in unserem Stadtteil in einer Fußballmannschaft gespielt habe, wurde mit steigendem Alter in der Pubertät auch mehr Alkohol konsumiert, sodass letztendlich nach jedem Spiel oder nach jedem Training einer der Spieler eine Bierkiste für die komplette Mannschaft ausgegeben hat. Als ich darauf aufmerksam gemacht habe, dass ich nicht mittrinken möchte, bin ich auf Unverständnis gestoßen, was sich bis zum Kontaktabbruch steigerte. Genau in dem Moment, in dem ich an meiner Religion festhalten wollte, traf ich auf Ablehnung; selbst dann, als ich am Spielfeldrand mein Fasten brechen und genüsslich den Proviant, den mir meine Mutter eingepackt hatte, verspeisen wollte, fragten mich die anderen, ob „Allah denn einen Blitz auf mich werfen würde, wenn man erst nach dem Training essen würde“. Diese Erfahrungen innerhalb der Fußballmannschaft zeigten mir leider, dass man nur so lange gern gesehen und cool ist, solange man alles mitmacht, was der Großteil selbst unternimmt.

Der islamische Glaube lässt sich in fünf Säulen unterteilen, aus denen sich auch die Glaubensausübungen ableiten lassen. Die erste und wichtigste Säule ist das doppelte Glaubensbekenntnis, dass es keinen Gott außer Allah gibt und der Prophet Mohammed sein Gesandter ist. In der aufrichtigen Verinnerlichung dieses Bekenntnisses sehe ich heutzutage eine diskriminierende Problematik, sofern durch die Medienerstattung Feindbilder generiert werden, die beispielsweise den Islam mit dem IS gleichsetzen. Vielen meiner Mitmenschen fehlte bisher das nötige Feingefühl, um zwischen diesen beiden Instanzen differenzieren zu können. So wird unser Prophet Mohammed nicht selten in der Medienlandschaft als barbarischer Kriegsherr dargestellt und alle in Europa lebenden Muslime (vor allem Flüchtlinge) als potenzielle Gefährder. Im Lehrerkollegium der Schule meines Praktikums trifft man immer wieder auf Lehrende, die behaupten, dass die muslimische Religionslehre im schulischen Kontext nichts zu suchen habe. Dabei vergisst man schnell, dass Kinder mit grundlegender Kenntnis über die eigene Religion im schulischen Kontext immun wären gegen Gehirnwäschen extremistischer Prediger im Internet. Die Erwähnung, Muslim zu sein, hat leider bis heute immer noch in sehr vielen Gesprächen einen faden Beigeschmack, bis dahin, dass manchmal sogar die Stimmung kippt. Fragen wie „Gehört der Islam zu Deutschland?“ führen leider auch heute noch zur gesellschaftlichen Spaltung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.

Als zweite Säule des Islam gilt das fünfmalige tägliche Gebet. Ein Gebet dauert hierbei lediglich 5-10 Minuten – und dennoch bekommt man nach meiner eigenen Erfahrung so gut wie nie die Zeit dafür. Es sei hinderlich und zeitaufwendig, meinen hierbei häufig die Chefs; dabei war es für den Chef jedoch nie ein Problem, wenn meine damaligen Mitarbeiter 7-12 Raucherpausen am Tag eingelegt haben. Wird man an einer deutschen Hochschule zufällig beim Gebet gesehen, sind auch blöde Kommentare wie „Hey! Sowas kannst du vielleicht in deinem Land machen!“ oder „Was soll das?“ nicht mehr weit entfernt, weil die Bewegungsabläufe des Gebetes unbekannt und befremdlich wirken. Solche Erlebnisse sorgen für eine zurückhaltende Einstellung, in der man darauf achtet, niemanden provozieren zu wollen; das Gebet wird dann lieber zu Hause verrichtet. Das verdeutlicht meiner Meinung nach die Wichtigkeit der so genannten „Räume der Stille“, also Gebetsräume an universitären Einrichtungen.

Die vierte und fünfte Glaubenssäule, das Almosenzahlen und die Pilgerreise nach Mekka, spielen bei Diskriminierungserfahrungen keine große Rolle – bis auf die Tatsache, dass angeblich fast jede muslimische Spendenorganisation in Deutschland schon Ärger mit dem Verfassungsschutz hatte und man es sich somit doppelt und dreifach überlegt, ob man dennoch spenden möchte. Es kann dazu kommen, dass man der Terrorunterstützung bezichtigt wird. Auch werden die muslimischen Pilgerstätten in einigen Online-Foren als Trainingscamps des IS betitelt, was natürlich Schwachsinn ist.

Neben dem Gebet hat mir bisher das Fasten als dritte wichtige Säule des Islam die meisten Erfahrungen von Ressentiments eingebracht. Während des Fastenmonats Ramadan darf man zwischen dem Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang weder essen noch trinken noch rauchen oder Geschlechtsverkehr haben. In bestimmten Einzelfällen kommt es natürlich auch dazu, dass die Arbeitsleistung eines Fastenden abnehmen kann, etwa auf der Baustelle oder im Außendienst bei einem Paketdienst. Nachdem mein ehemaliger Chef beim Deutschen Paketdienst (DPD) bemerkte, dass ich durch das Fasten fast eine Stunde pro Tag länger brauchte, hat er mir in einem wütenden Ton gesagt, dass er doch mich bezahle und nicht meine Religion oder meinen Gott. Als die Sonne am vergangenen Dienstag unterging und auch am städtischen Abendgymnasium die Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens ihr Fasten brechen durften, erlaubte die Lehrerin lediglich, dass man aus dem Wasserhahn der Toilette einen kräftigen Schluck nehmen durfte; das wirkte auf mich sehr respektlos. Aus meiner Sicht wird keinerlei Rücksicht auf fastende Mitarbeiter genommen, nach dem Motto, sie seien doch selber daran schuld seien, dass sie fasten. Wie schon oben erwähnt, führt Enthaltsamkeit zur Ablehnung in der Mehrheitsgesellschaft.

Im Taxigeschäft sagen mir Fahrgäste oft, wie schön es doch sei, dass ich dem Staat nicht auf der Tasche liege und warum nicht jeder Ausländer so sein könnte wie ich, wobei ich mich natürlich nicht als Ausländer verstehe. Leider nimmt der antimuslimische Rassismus zu. So erleben muslimische Kommilitoninnen, dass der Hass gegen das Kopftuchtragen durch die große Mithilfe der AfD und von PEGIDA immer salonfähiger wird. Auch das Tragen eines Kopftuches gehört für muslimische Frauen zur Glaubensausübung des Islam. Leider sind Fälle, in denen muslimischen Frauen das Kopftuch gewaltsam vom Kopf gerissen wird, schon lange keine Ausnahmen mehr.

Mit meiner Darstellung will ich weder Mitleid erwecken noch die verschiedenen Fronten verhärten, sondern lediglich eine weitere Perspektive anbieten. Wir lieben unsere Religion und sehen uns auf keinen Fall als Opfer, doch ist es manchmal schade zu vernehmen, wie unreflektiert viele Mitbürger sich ein Urteil über den Islam und die Muslime bilden. Hass und Unverständnis werden so lange weiter anwachsen, bis man aufhört, über den „Anderen“ zu sprechen und endlich anfängt, miteinander in einen interreligiösen und interkulturellen Dialog zu treten. Nur beim Kennenlernen des jeweils anderen kommt es zu einer Annäherung und zum Zusammenwachsen innerhalb der Gesellschaft.

Der Friede sei mit euch und uns allen.