Neue Wege der Vorschulerziehung in der Republik Moldau

aus OWEP 2/2019  •  von Elena Ajder

Elena Ajder ist seit 2005 als Projektmanagerin für die Diözese Chișinău tätig; seit 2011 ist sie die Leiterin des Sozial- und Bildungszentrums „Johannes Paul II.“ Sie stellte auch die Abbildung zur Verfügung.

Zusammenfassung

In der Republik Moldau, die zu den ärmsten Staaten Europas gehört, ist ein vorschulisches Erziehungssystem über erste Ansätze hinaus noch nicht vorhanden. Vorbildlich ist, wie der folgende Beitrag belegt, der Einsatz der katholischen Kirche in diesem Bereich.

Ausgangssituation

Aus der Vielzahl der Projekte, die die römisch-katholische Diözese Chișinău seit ihrer Gründung in der Republik Moldau 2001 umgesetzt hat, sind die Bildungsprojekte meiner Meinung nach die wichtigsten. Im folgenden Beitrag möchte ich besonders über die Bedeutung ihrer Vorschuleinrichtungen für unsere Gesellschaft berichten.

Die Republik Moldau litt nach ihrer Unabhängigkeit unter großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds war und ist sie der ärmste Staat Europas. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren kam es wiederholt zu politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen, und auch wenn sich die Lage in den letzten Jahren ein wenig stabilisiert hat, leidet das Land immer noch unter Korruption, Skandalen und den Folgen massiver Emigration. Ein niedriges Bildungsniveau auf der Ebene des Individuums wie auf der Ebene der gesamten Gesellschaft steht in direktem Zusammenhang mit dem Problem der Armut, beides bedingt sich wechselseitig – beides kann sowohl Ursache als auch Wirkung sein.

Die katholische Kirche musste sich in den postsowjetischen Ländern zunächst auf den Wiederaufbau ihrer pastoralen Strukturen konzentrieren. Eine noch schwierigere Aufgabe war und ist die christliche Bildungsarbeit in einer Gesellschaft, die immer noch unter „posttotalitärer Mentalität“ leidet. Dies war die Ausgangslage für unseren Bischof Anton Coșa, der sich zusammen mit Priestern, Ordensfrauen und engagierten Laien der Herausforderung stellte. Angesichts der großen Erfahrung der katholischen Kirche im Bereich von Bildungseinrichtungen weltweit und dank der Unterstützung unserer Partner in Westeuropa war es möglich, bereits 1995 in der Gemeinde Creţoaia den ersten katholischen Kindergarten zu eröffnen; es folgten Kindergärten in Stăuceni (2000), Stârcea (2001), Bălţi (zweitgrößte Stadt der Republik Moldau), Sloboda Raşcov und Chișinău (Hauptstadt der Republik Moldau).

Warum ist die besondere Fürsorge für die vorschulische Entwicklung so wichtig? Die frühkindliche Erziehung ist neben Gesundheit und Ernährung eines der wichtigsten Elemente in der Entwicklung des Kindes; sie wurde jedoch vor dem Hintergrund unserer moldauischen Lebensverhältnisse vor allem in ländlichen Gebieten aus verschiedenen Gründen vernachlässigt: Mangel an Kindergärten, sozial schwache Familien (Ursache: Alkoholismus, Familien mit vielen Kindern, Familien mit nur einem Elternteil; Kinder ohne Eltern, da diese im Ausland arbeiten usw.). In vielen Familien wird die Armut von Generation zu Generation vererbt und es ist sehr schwierig, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Eine der Hauptursachen für Schulabbruch liegt im mangelnden Interesse der Eltern in diesen prekären Verhältnissen, und häufig kopieren die Kinder später das Verhalten ihrer Eltern.

Diese Phänomene sind wirklich beängstigend, weshalb der Staat zusammen mit der Kirche, der Zivilgesellschaft und internationalen Partnern versucht, durch gezielte Programme für die Schwächsten in der Gesellschaft Abhilfe zu schaffen. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man hierzu mit dem Bildungssystem beginnen muss – und Bildungsstrategien sollten natürlich in der frühen Kindheit ansetzen.

Engagement der katholischen Kirche

Die Idee eines katholischen Kindergartens in Chișinău scheint einleuchtend im Sinne einer natürlichen Linie der Kirche zu sein, ergänzende christliche Bildungsangebote zu entwickeln; sie ist aber auch als Reaktion auf viele Probleme zu verstehen, mit denen das Vorschulsystem in der Republik Moldau zu Beginn der 2000er Jahre konfrontiert war. 1990 gab es landesweit 2.332 Kindergärten, die Zahl sank bis 2001 auf 1.128. Ursache dafür war die umfassende sozioökonomische Krise, die auch zu einem massiven Rückgang der Geburtenrate führte, in dessen Folge die Investitionen in das gesamte Bildungssystem und die finanzielle Unterstützung von Familien durch den Staat erheblich verringert wurden. Viele Vorschulen wurden geschlossen, die Gebäude teilweise umfunktioniert oder sogar dem Verfall preisgegeben. Seit 2002 ist die Geburtenrate wieder gestiegen, insbesondere in städtischen Gebieten fehlen nun aber Kindergartenplätze, und vielfach können die zwischenzeitlich umgewidmeten Gebäude nicht mehr genutzt werden. Das führte dazu, dass im Jahr 2006 in Chișinău etwa 3.600 Kinder auf Wartelisten standen und in den Kindergärten Gruppen von 40 Kindern keine Seltenheit waren – die Stadtverwaltung sah sich jedoch nicht in der Lage, an dieser Situation etwas zu ändern. Im ganzen Land sieht es noch ungünstiger aus: Jüngsten Studien zufolge haben von 1.575 Gemeinden 445, also fast ein Drittel, keine Vorschuleinrichtungen.

Im Jahr 2004 beschloss die Diözese Chișinău, im Westen von Chișinău das diözesane Sozial- und Bildungszentrum „Johannes Paul II.“ zu errichten, an dem künftig das „Europäische Zentrum für Vorschulerziehung“ seinen Sitz haben würde. Eingebunden war bei diesem Projekt von Beginn an die Gemeinschaft der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung vom heiligen Gaetano Thiene, deren Gründung auf den heiligen Alois (Luigi) Scrosoppi1 zurückgeht. Sein Erziehungsideal, das er erstmals 1864 im Asilo Infanti di Carità in Udine verwirklichte, ist auf die ganzheitliche harmonische Entwicklung des Kindes nach christlichen Prinzipien ausgerichtet, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Herzensbildung gelegt wird, damit sich das Kind nahtlos in Schule und Gesellschaft integrieren kann. Mithilfe der Schwestern verlief der Aufbau des Vorschulzentrums erfolgreich.

Dank der großzügigen Unterstützung von Renovabis und anderen katholischen Partnern in Westeuropa und natürlich auch dank Gottes Gnade wurde das Gebäude 2010 fertiggestellt. Im selben Jahr, im Mai, öffnete unser neuer Kindergarten seine Pforten für 52 Kinder, wobei Religion, Volkszugehörigkeit oder sozialer Status der Familie keine Rolle spielten – im Gegenteil: Kindern aus sozial schwachen Familien wurde ein Vorrang eingeräumt. Der Kindergarten bietet eine Ganztagsbetreuung von 7.30 Uhr bis 18.30 Uhr an.

Praxis und Zielsetzung

Unser „Europäisches Zentrum für Vorschulerziehung“ ist, das kann man ohne Übertreibung sagen, eine liebevolle Familie. Alle Kinder zwischen 3 und 6 Jahren haben die gleichen Chancen. Das Kindergarten-Curriculum ist auf die Bedürfnisse des gesamten Kindes, also seine sozial-emotionale, kreative, körperliche und geistige Entwicklung ausgerichtet. Die Erzieherinnen und Erzieher kombinieren ihr Wissen mit den Interessen der Kinder, um ein reiches und kreatives Umfeld zu gestalten. Da junge Köpfe sehr neugierig sind, konzentriert sich unser Vorschulzentrum auf die Grundlagen der Bildung – Sprache, Kunst, Literatur und geistige Bildung. Wöchentliche Kurse in Englisch, Musik, bildender Kunst und Sportunterricht runden unser Programm ab. Das Erziehungspersonal sorgt dafür, dass alle Kinder die ihnen angemessene Fürsorge und Unterweisung erhalten. Unsere didaktischen Strategien basieren auf aktiv-partizipativen Lernmethoden unter Einsatz von spielerischen Aktivitäten, die die Neugier fördern, das Selbstbewusstsein erhöhen und die Beziehung zu anderen Kindern und Erwachsenen stärken. Natürlich müssen wir auch den örtlichen Lehrplan beachten, der in der Republik Moldau ziemlich anspruchsvoll ist: Die Kinder müssen, wenn sie in die Grundschule kommen, bereits lesen, bis 20 zählen sowie einfache Additionen und Subtraktionen beherrschen. Alle Mitarbeiter tun ihr Bestes, um diese Ziele zu erreichen; im Mittelpunkt stehen dabei immer die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes.

Beim Spiel mit den Kindern (Foto: Elena Ajder)

Am Anfang waren die Familien aus der Umgebung des Zentrums wegen der katholischen Prägung ein wenig misstrauisch, da unsere Gesellschaft hauptsächlich orthodox geprägt ist, aber schon nach dem ersten Jahr hatte sich die Qualität herumgesprochen und die Anfragen zur Aufnahme weiterer Kinder überstieg unsere Möglichkeiten. Es war nicht einfach, manche Kinder aufzunehmen und andere abzulehnen, denn eigentlich sollten alle die gleichen Chancen haben. Die nächste Einschreibung war dann noch schwieriger – die Eltern riefen lange im Voraus an und versuchten alles, um ihrem Kind eine Aufnahme in unserem Kindergarten zu ermöglichen. So kam es schließlich, dass Bischof Anton Coșa mich an einem schönen Morgen im Mai 2014 anrief und mir seine Pläne für den weiteren Ausbau des Zentrums darlegte. Das Bauvorhaben kam dann mit den üblichen Schritten (Planungen, Entwürfe, staatliche Genehmigungen, Beachtung von EU-Standards usw.) in Gang und wurde mit Geduld, aber auch Begeisterung und dank der solidarischen Unterstützung von Renovabis und der Katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE) zwischen 2015 und 2018 durchgeführt. Teil des Bauvorhabens war ein zwar anstrengender, aber auch sehr interessanter Prozess zur Gestaltung der Räumlichkeiten mit dem Ziel, eine kindgerechte freundliche und einladende Umgebung zu schaffen. 2018 war es dann soweit, dass wir zwei weitere Kindergruppen aufnehmen konnten. Heute ist unser Zentrum täglich für 104 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren geöffnet. Die Warteliste ist, das muss ich einräumen, immer noch sehr lang, was sicher mit dem guten Ruf unseres Hauses zu tun hat. Bei aller Bescheidenheit können wir sicher sagen, dass wir in dem, was wir tun, gut sind, weil wir uns voll und ganz mit einbringen – es ist nicht nur ein Job oder eine bloße Aktivität, es ist eine Mission.

Positive Perspektiven trotz aller Probleme

Schwester Mihaela Horvat ist für die täglichen Aktivitäten des Zentrums verantwortlich, das folgende Mitarbeiter hat: acht Fachkräfte, zwei Schwestern, eine Krankenschwester und vier Reinigungskräfte. Unser Kindergarten muss für bestimmte Aktivitäten die üblichen Genehmigungen beantragen, u. a. von den staatlichen Gesundheitsbehörden. Zu beachten ist, dass es in der Republik Moldau bisher keine öffentliche Förderung privater Vorschuleinrichtungen gibt. Im Jahr 2006 wurde nur eine private Vorschuleinrichtung offiziell registriert. In Anbetracht der hohen Nachfrage nach solchen Einrichtungen und des bereits erwähnten Mangels an Kindergärten ist die 2018 in inoffiziellen Quellen genannte Zahl von 13 privaten Vorschuleinrichtungen viel zu niedrig, um die Nachfrage zu decken. Bereits 2013 hatte das Bildungsministerium versucht, einige Treffen mit Vertretern alternativer Bildungseinrichtungen zu organisieren, um sie in das offizielle Vorschulsystem zu integrieren – wir waren auch dazu eingeladen. Diese Initiative war eigentlich vielversprechend, blieb aber angesichts der politischen Krisen ein „totgeborenes Kind“. Übrigens dürfen wir nach dem Gesetz den Namen „Kindergarten“ offiziell gar nicht führen haben – wir müssten dafür die Akkreditierung durch eine Kommission des Bildungsministeriums erhalten, die seit 2005 nicht mehr einberufen worden ist.

Die unzureichende Finanzierung unseres Bildungssystems insgesamt verursacht in staatlichen Kindergärten große Probleme: Mangel an qualifiziertem Vorschulpersonal, was zu Missbrauch, Ignoranz und mangelndem Interesse an der Arbeit mit Kindern führt, niedrige Gehälter, unangemessene Bedingungen im Blick auf die Gebäude und Mangel an Arbeitsmaterial und Reinigungsmitteln. Vielfach sucht man Abhilfe, indem die Eltern um finanzielle Unterstützung gebeten werden, was natürlich zusätzliche Probleme bei Familien mit geringem Einkommen aufwirft, deren Kinder dadurch erneut ausgegrenzt werden. Wie werden wir angesichts solcher Verhältnisse in der Republik Moldau grundsätzlich etwas ändern können, wenn die Kinder schon in ihrer frühen Kindheit solche Erfahrungen machen?

Veränderung braucht Zeit und Beharrlichkeit, und ich bin positiv gestimmt und zuversichtlich, dass wir durch unser eigenes Beispiel einen kleinen, aber wichtigen Teil dazu beitragen können. Und wie der heilige Johannes Bosco sagte: „Erziehung ist vor allem eine Sache des Herzens“, werden wir in diesem Sinne dieses schöne und nützliche Projekt fortsetzen, das den Kindern, ihren Eltern und der ganzen Gemeinschaft Freude bringt.

Aus dem Englischen übersetzt von Christof Dahm.


Fußnote: