Das Erziehungsmodell der Grundschule „Bischof Dr. Alexandru Rusu“

aus OWEP 2/2019  •  von Anuţa Gorzo

Anuţa Gorzo hat nach dem Schulbesuch in Rumänien in Rom Pädagogik studiert und wirkt nach verschiedenen beruflichen Tätigkeiten seit 2012 im Bistum Maramureș beim Aufbau des kirchlichen Schulwesens mit, u. a. als Lehrerin an der Grundschule „Bischof Dr. Alexandru Rusu“ in Baia Mare. Sie stellte auch die Bilder im Beitrag zur Verfügung.

Zusammenfassung

Eine an den Werten des Christentums ausgerichtete Erziehung sollte schon in der Grundschule beginnen und versuchen, das Kind ganzheitlich gemäß der Werte des Evangeliums heranzubilden. Der folgende Beitrag vermittelt Eindrücke vom pädagogischen Ansatz der Grundschule „Bischof Dr. Alexandru Rusu“ in Rumänien.

Die Zukunft beginnt heute, nicht morgen.“
(Papst Johannes Paul II.)

Ein kurzer Blick in die Geschichte

Das rumänische Bildungssystem hat nach 1989 zahlreiche Reformen erlebt, deren Ergebnisse nicht immer zufriedenstellend ausgefallen sind. Als problematisch sind Versuche zu bewerten, Schule und Ausbildung nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten umzugestalten und generell den Einfluss des Staates auf Lehrpläne und Bildungsziele zu verstärken. Man kann sicher sagen, dass die Wiederherstellung von konfessionell geprägten Schulen nach dem Ende des Kommunismus in dieser Phase der Unsicherheit der rumänischen Gesellschaft neuen Halt gegeben hat und damit von nationaler Priorität gewesen ist.

Die Kirche hat die Aufgabe, zusammen mit der Familie die junge Generation zu erziehen und auszubilden. Der bereits angedeutete schwierige Zustand des öffentlichen Bildungssektors macht es bis heute notwendig, Alternativen anzubieten. Aus dem Wunsch heraus, eine werteorientierte Linie im Bildungswesen aufzuzeigen, die Rolle der Schule für die heranwachsende Generation klar zu umreißen und an wertvolle Traditionen des rumänischen Bildungswesens anzuknüpfen, hat das griechisch-katholische Bistum Maramureș engagierte Bildungsexperten dazu eingeladen, beim Aufbau einer Konfessionsschule in Baia Mare, dem Sitz des Bischofs von Maramureș, mitzuwirken.

Das marode Gebäude vor dem Umbau (Foto: Anuţa Gorzo)

Das Gebäude wurde dem griechisch-katholischen Bistum Maramureș 2012 von der Verwaltung der Stadt Baia Mare für 49 Jahre zur Gründung einer Schule kostenlos zur Verfügung gestellt. Wegen des schlechten baulichen Zustandes sind bei der Sanierung des Hauses und der Umgestaltung zur Schule hohe Kosten entstanden, die dank finanzieller Unterstützung u. a. von Renovabis und der Bischofskonferenz der USA getragen werden konnten. In einem ersten Bauabschnitt wurden das Unter- und Erdgeschoss des Gebäudes renoviert und Räume für die Vor- und Grundschule eingerichtet. Die feierliche Eröffnung der Schule mit dem Namen „Bischof Dr. Alexandru Rusu“1 fand am 14. September 2015 statt, nachdem ihre Tätigkeit zuvor kirchlicherseits durch ein bischöfliches Dekret und staatlicherseits durch eine Verfügung des Erziehungsministeriums genehmigt worden war – beides ist wichtig, damit der Schulbetrieb ordnungsgemäß verlaufen kann.

Festakt zur Eröffnung der Schule 2015 (Foto: Anuţa Gorzo)

Wir haben 2015 mit zwölf Kindern begonnen; inzwischen, im vierten Schuljahr, besuchen ca. 130 Kinder die Vor- und Grundschule. Als nächster Schritt sind die Renovierung des Schulhofs und des zweiten Obergeschosses vorgesehen, was zusätzlich Unterricht auch für die Mittel- und Oberstufe ermöglichen wird.

Die Vision

Die Erhebung des Menschen zur eigenen Würde wird durch die Erziehung zum Wahren, zum Guten und Schönen vervollständigt.

Jeder Mensch trägt bereits von Geburt an gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht zur Erziehung (lat. educatio) in sich.2 Etymologisch handelt es sich beim lateinischen „e-ducere“ um ein Entdecken, Herausbringen, zum Licht Bringen. Der Mensch soll werden, was er ist – anders gesagt: Seine Anlagen sollen so ausgebildet werden, dass er zu einem vollwertigen Menschen wird.

Die erste Frage, die sich insbesondere die Erzieher stellen müssen, lautet „Wen erziehen wir?“ Zu erziehen mit dem Zweck, den Menschen zum Menschen zu machen, bedeutet, seine Anlagen zu entdecken, ihn zum Licht zu begleiten und damit den Weg zur Bildung der Persönlichkeit zu ebnen. So soll am Ende so etwas wie ein Kunstwerk mit individuellem und originellem Profil entstehen. Lasst uns das Licht entdecken, das im Herzen eines jeden von uns brennt, – dies ist die erste Dimension des Erziehungsaktes! Ebenso wichtig ist es für den Erzieher, diese Person in Beziehung zu ihrer Umgebung, zum Universum und schließlich oder vielleicht sogar vor allem zum Schöpfer zu setzen. Da der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde, ist es das Ziel von Erziehung, dass er sich dessen bewusst wird.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Heranführung der Kinder an den ästhetischen Bereich, also zur Erkenntnis des Schönen, ohne die es weder das Gute noch die Wahrheit geben kann. Deshalb gibt es in jedem Jahr in unserer Schule eigene Programme mit künstlerischem Schwerpunkt, die zur Heranbildung der kreativen Fähigkeiten der Kinder dienen, wobei es entscheidend ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer eine emotionale Beziehung zu den Kindern aufbauen. Den Kindern kommt in der Grundschule „Bischof Dr. Alexandru Rusu“ die Hauptrolle zu, sie stehen im Mittelpunkt aller erzieherischen Schritte: kognitiv und affektiv, ästhetisch und ethisch, geistig und religiös.

Hinführung zu einem Handwerk (Foto: Anuţa Gorzo)

Die Sendung

Wenn diese Vision das Kind in den Mittelpunkt der schulischen Gemeinschaft stellen will, dann muss die Gemeinschaft das Kind im eigentlichen Sinn des Wortes „aufnehmen“. Nur auf diesem Grundsatz aufbauend kann eine glaubwürdige Erziehung angestrebt und die Mission unserer griechisch-katholischen Schule erfüllt werden: Wir wollen als Schule lernen, eine Erziehungsgemeinschaft zu werden, die die Einzigartigkeit eines jeden Menschen als eine Quelle der Inspiration für alle begreift.

Bei diesem Auftrag, dieser Sendung der Schule greifen wir auf eine Kernbotschaft der Heiligen Schrift zurück: „Wenn dich morgen dein Sohn fragt ‚Was bedeutet das?‘, dann sag es ihm!“ (Nach Ex 13,14).3 Es ist also nicht eine Wahl, sondern es handelt sich um ein Gebot. Jede Sinnfrage benötigt eine „Sinnantwort“ beziehungsweise eine Antwort, die die Kraft eines Samens beinhaltet – die Antwort der Eltern, des Erziehers, des Bildners kann keine Lektion, kein Lehrplan oder eine Formel sein, sondern ein „lebendiger Samen“.

Aus dem Geheimnis dieses „Samens“ wachsen die Kräfte zur Gestaltung unserer Arbeit in der Schule. Wir begreifen die Erwartungen und Ansprüche der Kinder nicht nur als Probleme, die es zu lösen gilt, sondern auch als Werte, mit denen wir arbeiten können, und als eine Quelle der Inspiration, nicht nur als einen Forschungsgegenstand, sondern auch als belebenden Faktor im Erziehungs- und Bildungsprozess. Wir bleiben offen, um die Herausforderungen der neuen Generation zu erfassen und ihre Zukunft zu gestalten.

Das Erziehungsangebot

Die Grundschule „Bischof Dr. Alexandru Rusu“ möchte eine Erziehung anbieten, die in jedem Kind Fertigkeiten für das Leben entwickelt und ihm damit möglichst viele Chancen für die Zukunft einräumt.

Foto: Anuţa Gorzo

Ziel des systemischen Ansatzes der Schule ist die Erziehung des ganzen Menschen, also Körper, Geist und Seele, die eine untrennbare Einheit bilden. Oft ist es natürlich schwierig, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Kraft des Herzens, der Kraft des Geistes und der Kraft der Hände zu finden; genau darauf ist jedoch der Lehrplan ausgerichtet, wenn er zwischen Pflichtfächern und Wahlkursen unterscheidet, um jedem Kind in den verschiedenen Entwicklungsphasen gerecht zu werden.

Im neuen und noch weitgehend unbekannten Umfeld der Globalisierung „muss die Erziehung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ausgerichtet sein“.4 Daher sind wir alle, die im Erziehungs- und Bildungsbereich tätig sind, dazu eingeladen, unsere Tätigkeit um vier Säulen oder „grundsätzliche Lerntypologien” herum zu gestalten, wobei die Typologie keine bloße Matrize meint, sondern echten Mehrwert beinhaltet:

  • Lernen zu erkennen,
  • Lernen zu handeln,
  • Lernen zusammenzuleben,
  • Lernen zu sein.

Die Schaffung dieses günstigen Rahmens für die Erziehung der jungen Menschen in ganzheitlicher Perspektive ist das Ziel der Grundschule, deren inhaltlicher Ansatz durch christliche Werte getragen wird. Durch Aneignung dieser Werte sollen die Jugendlichen verantwortungsvoll mit Problemen umgehen, denen sie begegnen, und es schaffen, diese positiv und zielführend zu lösen.

Obwohl es im rumänischen Bildungswesen den Beruf des besonderen Förderlehrers bisher nicht gibt, hat sich die Schule von Anfang an die Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen zum Ziel gesetzt. Viele Anfragen kommen von Eltern, deren Kinder von Autismus betroffen sind – laut Statistik werden pro Jahr allein im Kreis Maramureș 25 Kinder geboren, die an Autismus leiden. Zurzeit besuchen fünf Kinder mit Autismus, ein Mädchen mit Down-Syndrom und weitere Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten die Schule. Diese Ausrichtung beinhaltet jeden Tag eine zusätzliche Herausforderung, sowohl für die Ausbildung der Lehrkräfte als auch hinsichtlich der Beziehung zu den Familien und zur gesamten Gesellschaft.

Wir glauben, dass unsere Schule ein von Gott gewünschtes Projekt war und ist, deswegen bringen wir uns täglich in diese Sendung mit ein, die uns von unserem Bischof Vasile Bizău 2014 anvertraut wurde, nicht nur, um anwesend zu sein, sondern auch, um mit Hingabe dabei zu sein.


Fußnoten:


  1. Bischof Dr. Alexandru Rusu (1884-1963), dessen Name die Grundschule trägt, war einer der sieben Bischöfe der rumänischen griechisch-katholischen Kirche, die während der kommunistischen Herrschaft verfolgt wurden (Gefängnishaft, Folter, Verbannung). Bischof Rusu, 1930 zum ersten Bischof der neu errichteten griechisch-katholischen Diözese Maramureș ernannt, starb 1963 im Gefängnis. Papst Franziskus wird ihn und die anderen Märtyrerbischöfe am 2. Juni 2019 selig sprechen (vgl. KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 072, 20. März 2019, S. 13 f.). ↩︎

  2. Siehe Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (Text in deutscher Sprache z. B. unter http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf). ↩︎

  3. Vollständiger Text im Buch Exodus: „Wenn dich morgen dein Sohn fragt ‚Was bedeutet das?’, dann sag ihm: Mit starker Hand hat uns der Herr aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt.“ Die Autorin spielt auf einen Brauch bei der jüdischen Feier des Pesachfestes an: Das jüngste Kind eröffnet mit der Frage „Warum ist diese Nacht anders als andere Nächte?“ die Erzählung aus der Heiligen Schrift durch den Hausherrn. (Anmerkung d. Redaktion) ↩︎

  4. Auszug aus Artikel 26, Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vgl. dazu Anm. 2). ↩︎