„Pro Educatione“ – Netzwerk für erfolgreiche Erwachsenenbildung in Rumänien
Zusammenfassung
In den Ländern des ehemaligen Ostblocks gewinnt die christliche Erwachsenenbildung immer mehr an Bedeutung, eröffnet sie doch den Weg zu neuen Qualifikationen und erweitert damit die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das Netzwerk „Pro Educatione“, dessen Entstehung und Entwicklung der folgende Beitrag skizziert, koordiniert die Arbeit unterschiedlicher Initiativen in der Szekler-Region in Rumänien.
Vorgeschichte und Entstehung
Der Verein „Pro Educatione“ wurde 2011 mit dem Ziel gegründet, die auf christlichen Werten basierenden Vereine für Erwachsenenbildung in Rumänien zu einem Netzwerk zusammenzuschließen, das unter anderem einer vereinfachten Förderungsstruktur dienen soll. Zu diesem Zeitpunkt gab es für die Erwachsenenbildung weder landesweit noch in der Region der Szekler im Kreis der ungarischen Minderheit1 eine solche Struktur. Die Gründung des Vereins „Pro Educatione“ schloss daher für die Erwachsenenbildung eine klaffende Lücke.
Der Verein „Pro Educatione“ sieht sich selbst als geistiger Erbe der KALOT-Bewegung2 aus den 1940er Jahren, die sich unter P. Jenő Kerkai SJ das ehrgeizige Ziel gesetzt hatte, den Wallfahrtsort Csíksomlyó-Şumuleu Ciuc3 zum Zentrum für die Volksbildung der Ungarn innerhalb Rumäniens werden zu lassen. Der Verein wird von der Erzdiözese Alba Iulia-Gyulafehérvár betrieben und profitiert somit von ihrem guten Ruf und den Netzwerken der historischen Kirchengemeinschaften. Ziele des Vereins waren von Anfang an sowohl die Schaffung und Nutzung von Synergien in der Erwachsenenbildung als auch die Information der internationalen Öffentlichkeit über Aktivitäten im Wallfahrtsort Csíksomlyó-Şumuleu Ciuc.
Grundsätze und Arbeitsweise
In den vergangenen acht Jahren richtete sich der Verein an folgenden Leitlinien aus:
- neben der Allgemeinbildung auch fachliche Weiterbildung zu ermöglichen,
- den sich stets ändernden Anforderungen in der Erwachsenenbildung gerecht zu werden und diese sowohl lokal als auch regional in der Gesellschaft umzusetzen
- und fachliche Nischen zu entdecken bzw. dafür gezielt Leistungen anzubieten.
Für die 15 Organisationen im Bereich der Erwachsenenbildung, die Teil des internen Netzwerkes sind, organisiert der Verein zwei Treffen pro Jahr. Hierbei geht es sowohl um Vertiefung der Gemeinschaft und fachliche Weiterbildung im Sinne der Bedürfnisse der Gemeinschaft als auch um die strategische Ausrichtung des Netzwerkes an sich. Internen Mitarbeitern wie beispielsweise Trainern, Lehrern und Organisatoren wird eine fachliche Weiterbildung angeboten, die sich an deren Bedürfnissen und den gemeinsam ausgearbeiteten Leitlinien und Themen orientiert. Neben diesen Treffen ist der Verein stets auch um die intensive Pflege des Kontakts zu den Organisationen und um regelmäßige Projektzusammenarbeit bemüht. Trotz dieser guten Gesamtausrichtung muss man allerdings einräumen, dass das Netzwerk insgesamt überlastet ist: Die wenigen Mitarbeiter – eigentlich sind es zu wenige – führen zahlreiche Bildungsprogramme unter beschränkten finanziellen Möglichkeiten durch, was häufig zu Unzufriedenheit führt. Es ist aber auch zu beobachten, dass diese Bedingungen die Kreativität und den Einfallsreichtum der Mitarbeiter steigern.
Zu den Initiativen, die das Netzwerk in den letzten Jahren unterstützt hat, gehören u. a. die Ausbildung von Kräften für die Seelsorge nach den KALOT-Prinzipien und Bildungsangebote der Caritas Alba Iulia im Bereich der ländlichen Entwicklung mit dem Ziel, Fachwissen in ökologischer Landwirtschaft zu vermitteln.
Da Erwachsenenbildung auf den Bedürfnissen der Gesellschaft aufbaut, dürfen nicht nur die Interessen der Bildungseinrichtungen Berücksichtigung finden; von großer Bedeutung ist vielmehr auch eine intensive Auseinandersetzung mit den Menschen, die deren Angebote wahrnehmen. Häufig thematisieren die Mitarbeiter des Vereins daher Erfahrungen aus dem weiten Feld des gesellschaftlichen Wandels und daraus resultierenden Bedürfnissen, die dann in das Leistungsspektrum des Netzwerks aufgenommen werden. So wurde auf der Grundlage einer Umfrage der Geschäftsstelle von „Pro Educatione” aus dem Jahr 2018 zum Bildungsbedürfnis von Erwachsenen das Bildungsangebot des Vereins zusammengestellt. Mit hohem fachlichem Anspruch befasst sich der Verein auch mit Nischenthemen und bemüht sich, sein Angebot regelmäßig zu erweitern. Beispielsweise richtet sich das Thema „bewusste Mediennutzung“ an Eltern.
Beratungen, Weiterbildungen, aufklärende Informationsmaterialien und internationale Zusammenarbeit helfen den Mitarbeitern des Vereins, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ein weiterer Bereich, in dem Fachkenntnisse der Glaubensgemeinschaft zugutekommen, ist die Weiterbildung von kirchlichen Angestellten. Seit zwei Jahren werden in vielen Kirchengemeinden von „Pro Educatione” initiierte Weiterbildungen angeboten, die auf die Bedürfnisse der Akteure zugeschnitten sind. Die Erfahrungen des Vereins zeigen, dass Kunst bzw. Programme, die das kreative Schaffen unterstützen wie beispielsweise interaktive Ausstellungen zu eigenen Erfahrungen oder die Woche der sakralen Kunst (Kett-Pädagogik)4 Perspektiven aufzeigen, die die Seele in den Vordergrund rücken und als Weg fungieren können, um das Evangelium zu verkünden oder auch ökumenische Begegnungen zu ermöglichen.
Vernetzung – symbolisch und praktisch (Foto: Renovabis-Archiv)
Die Herausforderungen der internen Zusammenarbeit erfordern seitens „Pro Educatione“ ein hohes Maß an Reflexion, gerade wenn die von der Geschäftsstelle initiierten Bildungsprogramme und Projekte von Mitgliedsorganisationen kritisiert werden. Die Reflexion dient zugleich auch dem effektiveren Ressourceneinsatz bei bestehenden Programmen und hilft zu vermeiden, dass die Initiativen in Konkurrenz zueinander stehen.
In den meisten neuen Projekten genießen die Mitgliedsorganisationen Priorität. Ihre Mitarbeiter und Trainer sind in sämtliche Aktivitäten mit eingebunden. Diese Art der Wissensgenerierung ist für sie alle von großem Vorteil. Dennoch würden – das muss man einräumen ¬– mehr Flexibilität (z. B. für Auslandsreisen), vertiefte Fremdsprachenkenntnisse und eine bessere Aufstellung in der Geldmittelbeschaffung zu einer breiteren Nutzung der Kompetenzen und Möglichkeiten des Vereins führen. Über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks, die jährlich durchgeführten Projekte und die sonstigen Aktivitäten des Vereins gibt der Jahresbericht auf der Homepage von „Pro Educatione“ detailliert Auskunft.5
„Pro Educatione“ blickt regelmäßig auf vergangene und aktuelle gesellschaftliche Veränderungen im Umfeld der Erwachsenenbildung. Von Vorteil ist hier die Existenz vertrauenswürdiger, mit guten Referenzen ausgestatteter Organisationen für Erwachsenenbildung in der Region. Beispielhaft hierfür sind die weitreichenden Bildungsprojekte aus dem Programm Erasmus+.6 In landesweiten Programmen (z. B. für Unternehmensführung und Management) laufen Bildung (Theorie) und Anwendung (Praxis) parallel. Die meisten Bildungsangebote funktionieren heute allerdings nach den Regeln des Marktes. Leider zeigt die Politik hierbei keinen Willen, diese Entwicklung in der Öffentlichkeit zu thematisieren oder ihr sachpolitisch zu begegnen. Kurzum: Es fehlen nationale Strukturen zur Unterstützung von Erwachsenenbildungseinrichtungen und entsprechenden Nutzern, was aus Sicht des Vereins äußerst ungünstig ist.
Stellenwert der Weiterbildung in Rumänien
Wenn man gesellschaftliche Analysen zur Erwachsenenbildung auswertet, zeigt sich in Rumänien noch ein großer Nachholbedarf, der für die Arbeit von „Pro Educatione“ ein Ansporn ist. Ernüchternd sind etwa die Ergebnisse des „Adult Education Survey“ (AES), einer nationalen Analyse, die als Ausgangspunkt und Basis für die Arbeit des Netzwerks fungiert. Dem AES-Bericht 20177 zufolge nahmen, bezogen auf einen Zeitraum von vier Wochen, aus der Bevölkerungsschicht der 25- bis 64-Jährigen in Rumänien lediglich 1,1 Prozent an Erwachsenenbildungsmaßnahmen teil – EU-weit lag das Land damit an letzter Stelle. Erweitert man die Zeitspanne auf 12 Monate, so stellt sich die Situation Rumäniens mit 7 Prozent zwar etwas besser dar, das Land liegt aber immer noch an letzter Stelle (EU-Durchschnitt der 28 Mitglieder: 45,1 Prozent). In Bezug auf beschäftigungsspezifische Weiterbildungsmaßnahmen, die von den Teilnehmern selbst bezahlt werden, steht Rumänien mit 60,9 Prozent (EU-Durchschnitt: 69,7 Prozent) auch nicht besser da.
Bei den über 45-Jährigen ist es im Vergleich zur jüngeren Generation eher die Regel, sich am Arbeitsplatz weiterzubilden. Auch nehmen Menschen mit Hochschulabschluss bzw. Frauen zu einem höheren Anteil an Bildungsangeboten teil. Insofern scheint es „Pro Educatione“ sinnvoller, sich mit seinen Angeboten direkt an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu wenden oder sich in den Betriebsstätten nach geeigneten Zielgruppen umzusehen. Die oben genannten Daten reflektieren zum Großteil die Erfahrungen des Vereins und sind ein Ansporn, Erwachsene in größerer Zahl zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen zu motivieren und die Methoden zum Erreichen dieses Ziels zu verbessern.
Die in der Region der Szekler durchgeführten soziologischen Analysen8 kommen vielfach zu dem Ergebnis, dass ein großer Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung wegen unzureichender Qualifikation nur in geringem Maße oder überhaupt keine Arbeit findet – somit ist sie auf Fortbildungsmaßnahmen wie solche, die „Pro Educatione“ anbietet, angewiesen, was allerdings nur Lehrern und Experten einleuchtet. Die Betroffenen selber haben meist kein Verständnis für ihre Situation: Bis heute ist lediglich ein Viertel der Befragten der Ansicht, auf Fortbildungsmaßnahmen angewiesen zu sein. Zweifelsohne können jedoch bestimmte Bildungsangebote zumindest für Erwachsene eine Lösung ihrer Probleme bieten.
Ausblick
Das Netzwerk „Pro Educatione“ erwartet den Besuch von Papst Franziskus, der am 1. Juni 2019 den Wallfahrtsort Csíksomlyó-Şumuleu Ciuc besichtigen wird, und ist zuversichtlich, dass dieses Ereignis nicht nur für das kirchliche Leben, sondern auch für die Gesellschaft in der Region insgesamt und somit auch für die Aktivitäten von „Pro Educatione“ neuen Schwung mit sich bringen wird. Das Netzwerk möchte Maßnahmen anstoßen und mit dem Ziel durchführen, die Menschen in der Region intellektuell und spirituell neu zu formen und in ihrem kritischen Denken zu bestärken. Erinnert sei an die Worte von Bischof Áron Márton: „Die Erwartung an das Erwachsensein ist, dass der Mensch reif ist, besonnen, ernst und nicht von Launen hin- und hergerissen, sondern entschlossen handelnd. Er spürt Verantwortung für sein Leben, das Leben seiner Familienmitglieder, das Leben seiner Mitmenschen und seines Volkes. Er weiß, was seine Verpflichtung ist.“9 In diesem Geiste möchte „Pro Educatione“ seine Arbeit gestalten und fortführen.
Fußnoten:
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Die Szekler sind ein Teil der ungarischen Volksgruppe im Osten Siebenbürgens und sprechen einen eigenen Dialekt. (Anmerkung d. Redaktion) ↩︎
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KALOT steht für Katolikus Agrárifjúsági Legényegyletek Országos Testülete, eine 1935 von P. Jenő Kerkai SJ in Ungarn gegründete Vereinigung des katholischen Landvolks, die sich die Aus- und Fortbildung der katholischen Jugend besonders im ländlichen Raum im Sinne christlicher Werte als Ziel gesetzt hatte. Sie gehörte bis zu ihrem Verbot 1946 zu den erfolgreichsten zivilgesellschaftlichen Organisationen Ungarns im 20. Jahrhundert. Ausführliche Hinweise (in ungarischer Sprache) finden sich unter https://hu.wikipedia.org/wiki/KALOT. ↩︎
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So der ungarische und rumänische Name dieses Wallfahrtsorts (der deutsche Name lautet Schomlenberg); der Wallfahrtsort ist heute ein Stadtteil von Csíkszereda-Miercurea Ciuc (deutscher Name: Szeklerburg). ↩︎
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Franz Kett-Pädagogik (benannt nach ihrem Begründer Franz Kett) ist eine besondere Form ganzheitlich sinnorientierter Pädagogik, die vor allem mit Bildern arbeitet. Hinweise z. B. unter https://relipaedag.files.wordpress.com/2010/09/die-kett-methode.pdf (letzter Zugriff: 14.12.2022). ↩︎
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Erasmus+ ist das Programm der EU für Bildung, Jugend und Sport; Information z. B. unter https://www.erasmusplus.de/erasmus/. ↩︎
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https://eaea.org/wp-content/uploads/2018/11/Country_Reports_2017_final.pdf ↩︎
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www.kam-wac.ro (Link mittlerweile inaktiv!) ↩︎
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MÁM, 26. dos., 6. b., 1–3. Blätter; korrigierte Version von 36. dos., 2. b. – Nach handschriftlichen Notizen hat Bischof Áron Márton (1896-1980; seit 1939 Bischof von Alba Iulia-Gyulafehérvár, 1949-1955 inhaftiert) diese Worte bei Ansprachen in mehreren Ortschaften zwischen 1970 und 1973 verwendet. ↩︎