Demokratische Traditionen in Serbien

aus OWEP 1/2000  •  von Vesna Pešić

Dr. Vesna Pešić, Soziologin, war bis 1999 Vorsitzende der „Serbischen Bürgerallianz“, einer der Oppositionsparteien in Serbien.

In der europäischen Geschichte lässt sich kaum ein Beispiel dafür finden, dass ein Land unter ähnlich großem Druck stand, sich zu demokratisieren, wie das heutige Serbien. Serbien ist auch das erste Land, das angeblich wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechte eine Intervention von NATO-Truppen erlebt hat. Auch wenn das Problem der Rechte der Albaner durch die Präsenz der internationalen Streitkräfte im Kosovo gelöst ist, so blieb Serbien doch unter Sanktionen und in völliger internationaler Isolation. Serbien hat sich ergeben, ohne jedoch seine internationale Position um auch nur einen Zentimeter zu verbessern. Dafür wurde ihm ein neues Ultimatum gesetzt: Es muss ein demokratisches Land werden bzw. es muss Präsident Milošević absetzen.

Die Berechtigung solcher Forderungen basiert auf der Korrelation zwischen Demokratie und Stabilität, die heutzutage für unwiderlegbar gehalten wird. Solange sich Serbien nicht demokratisiert, wird es eine Bedrohung für Frieden und Stabilität in Südosteuropa darstellen. Ein so starker Druck auf ein Land hinsichtlich seiner inneren Ordnung und auch hinsichtlich der Personen, die über es herrschen, wird von einigen als Vorbote neuer internationaler Regeln betrachtet, auf deren Grundlage über Sanktionen und sogar über militärische Interventionen gegen solche Länder beschlossen werden wird, die die Rechte ihrer Bürger verletzen. Ähnlich hat sich auch Präsident Clinton bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 1999 geäußert. Aber es hat den Anschein, dass es sich im Falle Serbiens nicht nur um die Verletzung von Menschenrechten (die niemand bestreitet) handelt, sondern auch um einen lang dauernden Konflikt zwischen den serbischen nationalen Zielen und den dafür angewandten Mitteln einerseits und den wichtigsten Trends und Standards des modernen Europa andererseits.

Die Tatsache, dass es Europa zehn Jahre nicht gelungen ist, eine Lösung für den ehemaligen jugoslawischen Raum anzubieten und einzurichten, sowie das Faktum, dass Milošević auf diesen Misserfolg seine Diktatorenstellung aufgebaut hat, haben zu einem fast völligen Abbruch der Beziehungen zwischen dem Westen und Serbien geführt. Niemals, auch nicht in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, hat es eine solche Propaganda gegen den Westen gegeben wie im heutigen Serbien, und umgekehrt hat es niemals eine solche Paranoia und solche Ressentiments gegen Serbien gegeben, die fast einen neuen Rassismus gegenüber dem Balkan darstellen. Es hat den Anschein, als habe Serbien dazu gedient, noch einmal das europäische Stereotyp über den Balkan als einen Ort unverbesserlicher Wildheit und Brutalität zu bestätigen, worüber die bulgarische Historikerin Maria Todorova so überzeugend geschrieben hat. Europa ist des Balkans so sehr überdrüssig geworden, dass deutliche Anzeichen für seine Entschlossenheit bestehen, das Problem ein für allemal durch die Öffnung der Integrationsprozesse mit Europa zu lösen. Eine solche Wendung würde zweifellos auch Serbien helfen, sich aus der Krise zu ziehen, aber eben nicht nur Serbien. Serbien hat ohne Zweifel eine zentrale Rolle in den jüngsten Verwicklungen auf dem Balkan gespielt, aber es ist nicht der einzige Spieler. Es kann leicht geschehen, dass Serbien die Stafette jemandem anderen übergibt, z.B. den Albanern, falls sie sich auf den Weg der nationalen Einigung begeben sollten, also auf den gleichen Weg, auf den sich auch die Serben gemacht haben.

Wie auch immer die Sache mit den internationalen Faktoren stehen mag, und wie diese auch immer Serbiens Engagement im vorherigen und in diesem Jugoslawien beurteilen mögen, Serbien muss sich demokratisieren und Milošević ablösen. Wenn es das nicht tut, dann werden es die großen Mächte wirtschaftlich erdrücken und bis zum völligen Verfall des Staates und seines Territoriums destabilisieren. Schon jetzt sieht es so aus, dass die großen Mächte jeden unterstützen, der mit Ansprüchen auf das Territorium Serbiens hervortritt. So ist die Frage der Demokratie zur Frage der Selbsterhaltung Serbiens geworden. Daher ist es durchaus sinnvoll, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um herauszufinden, ob Serbien gewisse demokratische Traditionen besitzt, an die es sich wieder annähern könnte. Muss Serbien ein demokratisches Bewusstsein und demokratische Institutionen schaffen, als habe es solche niemals gegeben, oder kann es sich auf seine Vergangenheit stützen und in ihr Inspiration, Halt und einen Wegweiser finden?

Hat Serbien eine demokratische Tradition?

In dieser Frage teilen sich die Historiker in zwei Lager. Die eine Seite würde behaupten, dass Serbien eigentlich überhaupt keine demokratische Tradition hat, während man im anderen Lager darauf hinweisen würde, dass diese Tradition eindrucksvoll ist, wobei man sich vor allem auf die berühmte Periode zwischen 1903 und 1914 beriefe, als Serbien "der demokratischste Staat Europas" gewesen sei. Es ist ohne Zweifel, dass Serbien gewisse demokratische Traditionen hat, aber es ist ebenso ohne Zweifel, dass diese nicht genügend tiefe Wurzeln fassen konnten, um entscheidend auf die jetzigen Ereignisse Einfluss nehmen zu können. Am genauesten würde man wahrscheinlich konstatieren, dass die demokratischen Werte nie zur Leitlinie des serbischen Staates und seiner Gesellschaft geworden sind, sondern dass sie vor allem ihren Platz am Rande der historischen Ereignisse und des kollektiven Bewusstseins gefunden haben.

Einen der Gründe dafür, dass das demokratische Bewusstsein marginalisiert worden ist, muss man im Fehlen einer serbischen staatlichen Kontinuität suchen. Es ist schwer, eine Verbindung zwischen dem Serbien des 19. Jahrhunderts, als die demokratischen Institutionen entstanden, und dem heutigen Serbien zu ziehen. Zwischen ihnen stehen drei jugoslawische Staaten, und alle drei waren undemokratisch. Vielleicht wird es für den nicht fachkundigen Leser ungewöhnlich sein, wenn wir behaupten, dass Serbien eine relativ stabile demokratische Entwicklung nur als unabhängiger Staat hatte, während man über die drei jugoslawischen Staaten vor allem behaupten könnte, dass sie gewisse demokratische Bewegungen, politische Bündnisse, demokratische Konzeptionen und Dissidentengruppen gebildet haben, nicht aber stabile demokratische Institutionen.

In der Tatsache, dass Serbien als Staat verschwunden ist, verbirgt sich ein Teil der Erklärung für die Agonie, in welcher es sich heute befindet. Das Königreich Serbien ist verschwunden, weil es die serbische "nationale Frage" gelöst hat. Diese war durch zwei starke Bilder definiert. Das eine ist der Mythos über die Erneuerung des Kaiserreichs von Zar Dušan, und das andere bezog sich auf die Vereinigung aller Serben, die in zwei Kaiserreichen, nämlich dem Osmanischen und dem Österreichisch-Ungarischen, verteilt lebten. Diese Mythen haben einen Widerspruch zwischen der demokratischen Entwicklung Serbiens und der Lösung der serbischen nationalen Frage aufgebaut. Das ist der Hauptgrund dafür, dass sich demokratische Traditionen nicht in der serbischen Kultur verwurzeln konnten. Vielmehr hat sogar das Gefühl für Nation, vor allem für ihre territoriale Erweiterung, den Sieg über die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung davongetragen, indem diese Ziele leichtfertig auf die Zeit nach einer endgültigen Lösung der nationalen Frage verschoben wurden. Dieses Übergewicht des Nationalen gegenüber dem Demokratischen hat sich in einer starken nationalistischen Ideologie verankert, die in der ganzen neueren serbischen Geschichte eine wichtige, ja sogar entscheidende Rolle gespielt hat.

Grundsätzlich ist noch das traditionalistische (patriarchale) Bewusstsein zu nennen, dass die Bauern als zahlreichste Klasse getragen haben. Dieses Bewusstsein hat sich vor allem im ambivalenten Verhältnis gegenüber dem Staat und der Regierung gezeigt. Während der Staat einen hohen Rang in den nationalen Zielen des serbischen Volkes innehatte, war die Regierung als Art der Herrschaftsausübung den Untergebenen entfremdet. Ein engerer Kontakt wurde nur in den Kriegen hergestellt. Die Regierung wurde in einer Mischung aus Angst, Respekt und Ignoranz erlebt, die sich zuweilen in anarchischen Aufständen entleerte, welche die Abschaffung der Willkürherrschaft verlangten. Die Bereitschaft, eine Herrschaft durch Aufruhr abzulösen, ist bis heute serbische Tradition geblieben. Die bäuerliche Tradition wurde unter den Bedingungen des Fehlens nationaler Kommunikationskanäle in der Gesellschaft auf urbanes Handeln übertragen. Aber es blieb eine passive und unbewegliche bäuerliche Masse, die das ambivalente Verhalten gegenüber der Herrschaft bewahrt hat, welches heute auf Unterordnung und Einhalten einer sicheren Distanz reduziert ist. Früher ist der Staat durch die Kriegsführung von bäuerlichen Massen gegen die Türken entstanden, während die Herrschaft niemals die Interessen der Bauern ausdrückte.

In den Bemühungen, die Beziehungen zwischen Demokratie und Nation neu zu definieren, hat das Überleben von bäuerlich-patriarchalen Strukturen keine ausreichende Dynamik der Gesellschaft ermöglicht. Die Dynamik war reduziert auf relativ kleine Gruppen der Stadtbevölkerung, während die Mehrzahl der Bauern praktisch passiv war. Diese Mehrheit ist nur in Kriegen und Revolutionen (nationalen und sozialen) erwacht, in denen sie eine soziale Beweglichkeit verwirklichte und ihre Kriegsbeute oft Jahrzehnte nach der Beendigung der Kriege verlangte.

Als natürlicher Träger von freiheitlichen und demokratischen Ideen war die zahlenmäßig kleine und dünne Bürgerschicht ein großes Manko für die Entwicklung der Demokratie in Serbien. Sie ist in Kriegen und Revolutionen verschwunden, und an ihre Stelle sind neue und ungebildete Menschen gekommen, die aus den Siegerlagern stammten. Während einer Generation haben sich die Eliten mehrfach abgewechselt, wobei die Richtung der Veränderung immer die gleiche war: von einer Führungselite zu einer ungebildeten und wieder von vorne zu einer neuen ungebildeten, nachdem sich die vorhergehende bereits kultiviert hatte. Diese radikalen sozialen Veränderungen haben ebenso wie die Veränderungen des staatlichen Rahmens nicht die Bildung und die Bewahrung von Bewusstsein und Wissen über demokratische Traditionen unterstützt. Es sah so aus, als würde man immer von vorne beginnen. Daher auch der große Verlust von Energie, daher aber auch die berechtigte Kritik an der Intelligenzia. Auch die "Gebildeten" sind eigentlich aus dem vorhergehenden Krieg entstanden und hatten daher kein Selbstvertrauen, das auf wirklicher Bildung und stabiler Herkunft basiert hätte. In fast allen großen Wendepunkten, besonders seit der Bildung Jugoslawiens, fiel die serbische Elite, oder doch ihre Mehrheit, unter das Niveau des Volkes, und daher gelang es ihr nicht, die Funktion einer "Bewahrerin" des Bewusstseins und des Wissens über die guten Traditionen der Vergangenheit einzunehmen. Sie betonte lieber ihr Halbwissen von der serbischen Demokratie im Sinne einer Rachenostalgie und der tragischen Verluste, die sich das serbische Volk von anderen zurückholen sollte, statt einmal erreichte Normen von politischem Verhalten, hinter die man nicht zurückgehen sollte, als verpflichtend zu postulieren.

Doch eine gewisse authentische Vorstellung von demokratischen Institutionen des Staates war am Rand des kollektiven Bewusstseins immer vorhanden. Sie zog sich wie ein roter Faden durch alle drei jugoslawischen Staaten, auch wenn sie, oder obgleich sie schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Serbien verschwunden war. Dank ihrer kann auch das heutige Serbien einen Anhalt für die Zukunft und demokratische Veränderungen finden. Serbien ist kein geistig leeres Land. Auch in der letzten Periode, die für die Entwicklung der Kunst am wenigsten günstig war, blühten Theater, Musik, Film und Übersetzungen. In dieser selben Periode unter Milošević war Serbien im März 1991, im Juni 1992 und im Juni 1993 auf den Beinen, und 1996/1997 hat es drei Monate hintereinander auf den Straßen demonstriert und verlangt, dass die Wahlresultate anerkannt würden, um welche die Regierung das Volk betrogen hatte. Serbien ist auch 1999 mit der Forderung auf die Straße gegangen, dass Präsident Milošević zurücktritt, der wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist, denn nur sein Rücktritt kann Serbien von der Isolation und dem Verfall befreien.

Obgleich Revolten und Revolutionen die häufigste Art und Weise sind, durch die in Serbien Veränderungen erreicht werden, und obgleich diese serbische Tradition die bekannteste ist, müsste der Öffentlichkeit doch klar gemacht werden, dass es wenigstens noch drei Quellen demokratischen Bewusstseins in Serbien gibt, die friedlich und konstruktiv sind. Die erste Quelle ist die Entwicklung demokratischer Institutionen im 19. und 20. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg; die zweite Quelle sind politische Konzeptionen, welche im Rahmen einzelner Bewegungen und Gruppen entstanden sind; und die dritte Quelle sind die politischen Bewegungen der Dissidentengruppen selber, die gegen undemokratische Regimes und für demokratische Veränderungen und Institutionen gekämpft haben. Ich werde versuchen, diese drei Quellen demokratischer Traditionen nur zu skizzieren, denn zu einer breiteren Ausführung reicht hier der Platz nicht.

Die Entwicklung im Königreich Serbien

Serbien als moderner Staat ist durch den Ersten und Zweiten Serbischen Aufstand seit Beginn des 19. Jahrhunderts (1804 und 1815) langsam entstanden. Den Status einer autonomen türkischen Provinz erlangte Serbien durch ein Dekret aus dem Jahre 1838, wonach der Fürst eine uneingeschränkte Herrschaft in innenpolitischen Fragen hatte. Schnell begannen in Serbien zahlreiche Aufstände mit dem Ziel, die Macht des Fürsten einzuschränken. Die erste Verfassung, die den Namen "Sretenjski" (= Darstellungsverfassung) trägt, wurde 1835 erlassen (am Feiertag Darstellung des Herrn, serb. Sretenje, am 14. Februar), und sie ist bekannt durch ihre demokratische und liberale Gesinnung. Die erste serbische Verfassung war derart fortschrittlich, dass nicht nur Fürst Milos sich gegen sie wehrte, sondern auch die konservativen Mächte wie Russland, Österreich und die Türkei sich gegen sie verbündeten. Diese Verfassung galt praktisch nur einige Monate, denn der Fürst suspendierte sie mit Hilfe der großen Staaten. Doch der Kampf um die Einschränkungen seiner Macht setzte sich fort, vor allem hinsichtlich der Frage nach dem Staatsrat, eines Gremiums, dessen Mitglieder auf Lebenszeit gewählt waren und dessen Rolle es war, die Macht des Fürsten zu beschränken. Der Fürst hätte Entscheidungen nur mit Zustimmung des Staatsrates treffen können. Durch die Verfassung von 1838, die als "türkische Verfassung" bekannt ist, wurde ein solcher Staatsrat installiert, und es entstand eine moderne Bürokratie und ein Gerichtswesen als Grundlage des europäischen serbischen Staates.

In den nächsten 20 Jahren kam es zur Stagnation der demokratischen Entwicklung. Mitte des Jahrhunderts entstand eine starke Jugendbewegung, die Intellektuelle und junge Leute, die im Ausland ausgebildet waren, um sich versammelte. Sie vertraten ein liberales und demokratisches Programm in wirtschaftlicher ebenso wie in politischer Hinsicht. Diese Bewegung prägte auch ein neues Programm der nationalen Befreiung, denn Serbien war immer noch türkischer Vasall. Die Bewegung der jungen Intellektuellen unterschied sich wesentlich von den vorhergehenden Aufständen und Revolten, denn sie entstand in einer Zeit des Friedens und hatte typisch zivilen Charakter (im Unterschied zu Aufständen, die militärisches Gepräge hatten). Sie entstand als Ausdruck der Dynamik der zivilen und bürgerlichen Gesellschaft. Abgesehen davon, dass diese Bewegung entscheidenden Anteil an der Entwicklung des modernen serbischen Staates hatte, ist sie auch deswegen bedeutend, weil damit die Tradition einer Bewegung junger Intellektueller begann, die so wichtig ist für das Erwachen der Demokratie in sehr unterschiedlichen historischen Perioden. Im Unterschied zu Bauern- und Arbeiterbewegungen haben die Jugendbewegungen verschiedene ideelle Projekte und verschiedene Formen von organisiertem Handeln entwickelt, welche die Entwicklungspotentiale der Gesellschaft eröffnet und artikuliert haben.

Die liberalen Bewegungen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts und vor allem die "Vereinigte Serbische Jugend" waren ebenso von nationalem Romantismus wie auch von liberalen Ideen geprägt, die für die Entwicklung des modernen Staates die meisten Verdienste haben. Doch die fortschrittliche Jugend hat sich noch mehr verdient gemacht, weil sie die Idee der nationalen Befreiung (in erster Linie gegenüber dem Türkischen und dem Österreichischen Reich) ausgeglichen hat und den Kampf um Demokratie der Bürger innerhalb des Staates mit neuem Sinn versehen hat. Als erster hat das Jevrem Grujić im Jahre 1848 getan, der Gründer der Vereinigung der serbischen Jugend und ein führender Vertreter des liberalen Denkens in Serbien. Er hat als erster gesagt, dass äußere Freiheit ihren Sinn ohne innere Freiheit verliert, denn es würden "innere Türken" bleiben. Die Verbindung der äußeren Befreiung des Staates mit der inneren Freiheit der Bürger hat den Grund für die demokratische Ideentradition und für die Übereinstimmung des Begriffs der Nation mit der modernen Demokratie gelegt, die auf gleichen Rechten der Bürger und einer verfassungsmäßigen Beschränkung der Staatsmacht begründet ist. Dazu haben am meisten die Liberalen beigetragen, aber auch die frühen Sozialdemokraten, welche die Idee von der Verbindung zwischen der äußeren und der inneren Freiheit akzeptiert und weiterentwickelt haben. Und tatsächlich begann der Aufstieg der Demokratie in Serbien, nachdem die berühmte Versammlung am Andreastag (am kirchlichen Feiertag des Hl. Apostels Andreas, am 13. Dezember 1858) zusammengetreten war, welche junge Liberale versammelte, und erreichte seinen Höhepunkt in der Zeit zwischen 1903 und 1914.

Die stufenweise Einrichtung von politischer Demokratie lehnte sich an die Entwicklung einer Bürgerschicht an, obgleich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung langsamer vor sich ging als die politische. Bei relativer Ausgewogenheit von liberalen, nationalen und sozialen Ideen näherte sich Serbien mit der Entwicklung seiner Institutionen dem Kreis der europäischen Gesellschaften an und unterschied sich nicht wesentlich von ihnen. Besonders wichtig war die Entwicklung auf politischer und auf konstitutionell-legislativer Ebene. Unter dem Einfluss libealer Ideen wurde schon 1861 und 1862 die türkische Verfassung gründlich geändert, so dass zum ersten Mal eine Volksversammlung (Parlament) als ständige Einrichtung eingeführt wurde, obwohl sie am Anfang nur beratenden Charakter hatte. Bereits 1869 wurde eine neue Verfassung erlassen, die dem Parlament gesetzgeberische Macht (wenn auch sehr beschränkt) verlieh. Es wurden Parlamentswahlen für jedes vierte Jahr vorgeschrieben, was zu einer Aktivierung des Volkes beitrug, und zahlreiche Bürgerrechte wurden verkündet.

In den nächsten 20 Jahren kam es zu einer intensiven Entwicklung Serbiens. In dieser Periode wurde es zu einem unabhängigen Staat in der Form eines Königreiches (1878). Es entstanden politische Parteien, und unter dem Eindruck des Aufstands von Timok und des verlorenen Krieges gegen Bulgarien kam es zu einem neuen demokratischen Aufschwung, der sich vor allem in der Verfassung von 1888 zeigte. Das war eine Verfassung, die im wahrsten Sinne des Wortes die Bildung einer parlamentarischen Demokratie ermöglichte: Das Parlament hatte volle gesetzgeberische Aktivität und das Recht, den Staatsetat zu erlassen; die Regierung musste sich vor dem Parlament verantworten, alle Rechte und Freiheiten der Bürger waren anerkannt, das Gerichtssystem war unabhängig usw. Bereits 1893 kam es zur Suspendierung der fortschrittlichen Verfassung, worauf eine ähnliche Verfassung erneut erst 1903 erlassen wurde, als das goldene Zeitalter der serbischen Demokratie begann, welches bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges dauerte.

Jugoslawien: Demokratisches Bewusstsein am Rand

An den Rändern des politischen Lebens in den beiden ersten jugoslawischen Staaten (beide waren undemokratisch, wobei der zweite die Demokratie nach dem Modell der Sowjetunion abgeschafft hat) entstanden demokratische Bewegungen, Koalitionen, politische Konzeptionen und Dissidentengruppe. Eine institutionelle Entwicklung von Demokratie hat nicht nur nicht bestanden, sondern ist von einem halbdemokratischen Staat, wie Jugoslawien es am Anfang und am Ende war, bis zur Diktatur des Proletariats und einem Einparteienmonopol immer geringer geworden.

Die Demokratie hatte im ersten Jugoslawien keine Chance. Es begann als Verfassungsmonarchie (die Veitstagsverfassung wurde am Tag des Hl. Veit, am 28. Juni 1919 erlassen), aber der König verfügte über einige Vollmachten, die im Widerspruch zur parlamentarischen Demokratie standen. Doch die Verfassung wurde vor allem deswegen sabotiert, weil die Kroaten sie nicht akzeptierten und sie überhaupt nur mit einer geringen Mehrheit (welche die Muslime ermöglichten) verabschiedet wurde. Tatsächlich begannen sofort nach der Vereinigung die nationalen Konflikte und Unzufriedenheiten. Wegen der ständigen nationalen Querelen hatte König Alexander einen fatalen Fehler begangen und 1929 eine Diktatur eingeführt, womit praktisch die Idee des Jugoslawentums in den Augen der nichtserbischen Völker, vor allem der Kroaten, zerstört war. Erst 1935 kam es zu einer gewissen Rückkehr der Demokratie (nach der Ermordung von König Alexander 1934), als Wahlen ausgeschrieben wurden, zu denen eine vereinigte kroatisch-serbische Opposition mit einer einheitlichen Liste antrat. Diese Opposition und die übernationale Koalition bildeten 1937 einen Block der nationalen Übereinstimmung und verlangte Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung. Zu wirklichen Veränderungen kam es 1939, als der Sporazum unterschrieben wurde, die Übereinkunft über die Bildung der Banschaft Kroatien, durch die den Kroaten ein hoher Grad an Autonomie gewährt wurde. Aber da war es bereits zu spät, der Krieg hatte begonnen. In diesem Krieg wurde das erste Jugoslawien überrollt und durch Deutschland und seine Bündnispartner in Stücke geteilt. Der erste jugoslawische Staat ist auch im Blut des Bürgerkriegs und des Völkermordes untergegangen, den der Unabhängige Staat Kroatien an Serben, Juden und anderen beging.

Sowohl im ersten als auch im zweiten Jugoslawien gab es eine gewisse Kontinuität mit den liberalen und demokratischen Ideen, welche in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Serbien entstanden sind. Die einzelnen Punkte dieser Kontinuität wurden nicht so verstanden, sondern man könnte eher sagen, dass sie eine Verteidigungslinie der inneren Freiheit und des Widerstandes gegen die Diktatur gehalten haben. Besonders lässt sich die Tradition der Bewegung junger Intellektueller beobachten, in deren Rahmen die Idee von Freiheit wieder aufgegriffen wurde. Im kommunistischen Serbien entstand bereits 1954 die erste Studentenbewegung, die trotz ihrer begrenzten Wirkung den Beginn der weiteren Einschränkung von Freiheiten verschieben konnte. Später hat die Studentenbewegung von 1968 vor allem in Belgrad die sozialistische Beschaulichkeit massiv beunruhigt. Vor allem durch ihr selbstständiges Wirken (also unabhängig von der kommunistischen Partei) und durch das Potential, sich von einer radikal linken zu einer liberalen Bewegung zu entwickeln, hat die Studentenbewegung von 1968 eine Schlüsselrolle in der Erneuerung des demokratischen Bewusstseins in Serbien gespielt. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurde der Kern der 68er zu einer liberalen "Petitionsbewegung", welche alle wesentlichen Fragen von Bürgerrechten und des Mehrparteiensystems artikulierte.

Wenn man nach der Kontinuität liberaler Ideen in der serbischen Tradition sucht, muss man unbedingt den ersten Dissidentenkreis um Milovan Djilas erwähnen, den berühmtesten Dissidenten in der gesamten kommunistischen Welt. Djilas lässt sich als Erneuerer der liberalen Ideen in Serbien betrachten, ungeachtet der Tatsache, dass ein Bewusstsein über diese Kontinuität nicht vorhanden war. Djilas hatte zahlreiche Nachfolger in Dissidentenkreisen, aber in einem weiteren Sinne waren seine besten Schüler die "serbischen Liberalen", die unter der Führung von Marko Nikezić und Latinka Perović Ende der 60er Jahre äußerst wichtigen Einfluss in Serbien hatten. Das Wesen des serbischen Liberalismus ließ sich in der Konzeption einer wirtschaftlichen Entwicklung Serbiens und seiner Modernisierung betrachten. Die Entwicklungskonzeption war auch das Wesen der nationalen Politik. Wenn Serbien sich auf die eigene Entwicklung konzentriert hätte, hätte es radikal auf die Kontrolle des jugoslawischen Zentrums verzichtet, zum Nutzen von gleichberechtigten Absprachen der Völker darüber, was der gemeinsame Staat in seiner Verantwortung haben sollte.

Damit lässt sich die Hypothese vom serbischen Zentralismus und vom besonderen Interesse Serbiens bestreiten, den Polizisten für den gemeinsamen Staat zu spielen. Diese weitreichenden Ideen wurden durch die Säuberungen von Tito und durch die Vertreibung einiger hundert fähiger und gebildeter Menschen aus führenden Positionen aufgehalten. Durch die Einsetzung einer gehorsamen serbischen Führung geriet Serbien für lange Zeit in eine Sackgasse. Die Vermutung ist nicht übertrieben, dass die gewaltsame Absetzung der serbischen Liberalen 1972 das Phänomen eines serbischen Ressentiments und die Erneuerung des Nationalismus ermöglicht hat. Als die Berliner Mauer fiel und als ganz Osteuropa eine neue Chance bekam, eine demokratische Entwicklung zu nehmen, entschied sich Serbien dafür, sich auf den Ruinen Jugoslawiens territorial zu vergrößern und alle Serben unter einer Staatsmacht zu versammeln.

Beide jugoslawischen Staaten haben bestätigt, dass das wichtigste Hindernis für die Entwicklung zur Demokratie der permanente Versuch war, die nationale Frage zu lösen, und zwar nicht nur die serbische nationale Frage, sondern die aller Völker, die zu Jugoslawien gehörten. Weder dem ersten noch dem zweiten Jugoslawien ist es gelungen, sich als ziviler und demokratischer Staat zu konstituieren bzw. eine zivile Nation zu bilden, welche das ethnische Verständnis von Nation überwunden hätte. Beide jugoslawischen Staaten bestätigen, dass sich Demokratie nur dort entwickeln kann, wo man sich nicht mehr mit der Lösung der nationalen Fragen beschäftigt, wenigstens nicht durch extreme Bewegungen oder durch eine drastische Diskriminierung eigener Bürger nur deswegen, weil sie nicht dem dominanten ethnischen Volk angehören.

Zusammenfassung

Es gibt serbische demokratische Traditionen. Um sie zu aktivieren, ist es notwendig, sie vom Nebengleis auf das Hauptgleis zu verlegen. Damit das geschieht, müssten liberale und demokratische Ideen den Sieg über radikale nationalistische und kommunistische Ideologien davontragen. Dieser Sieg müsste durch eine wirtschaftliche Entwicklung und die Öffnung gegenüber Europa befestigt und bestätigt werden. Die Vergangenheit lehrt uns, dass die Verbindung zwischen der inneren und der äußeren Freiheit als Damm gegen Nationalismus und Kommunismus oft gegenüber den Angriffen extremer Ideologien nachgegeben hat. Dazu haben auch einige ungleichmäßige wirtschaftliche Entwicklungen beigetragen, eine wirtschaftliche Rückständigkeit und die langsame Entwicklung von Kapitalismus und bürgerlicher Schicht. Daraus erwuchsen extreme Kräfte, die in der gesamten neueren Geschichte Serbien zwischen dem nationalistischen und dem kommunistischen Dogma hin- und hergezogen haben. Am Ende des 20. Jahrhunderts haben sich diese beiden unglücklich miteinander verbunden und eine fast undurchdringliche Wand gegenüber der demokratischen Entwicklung gebildet, aber auch gegenüber der eigenen Tradition, die mit der Idee der inneren und äußeren Freiheit verbunden ist.

Die Verwicklung liegt weiterhin in der engen Verbindung zwischen Demokratie und Nation. Das Konzept der fortschrittlichen serbischen Jugend aus dem 19. Jahrhundert ist auch heute noch aktuell, denn es hat keine Wurzeln in Gesellschaft und Staat gefasst. Während der Druck, der von außen auf Serbien ausgeübt wird, eine sehr begrenzte Einflussmöglichkeit auf einen möglichen Sieg der demokratischen Kräfte hat, können die inneren Umstände real dazu beitragen. Es ist möglich geworden, der inneren Freiheit neue Bedeutung zu verleihen, denn Serbien hat sich von der Lösung der nationalen Frage befreit. Es ist im Kampf um Großserbien unterlegen, und zwar nicht nur militärisch, sondern auch moralisch. Diese Tatsache dringt in das Bewusstsein der Menschen ein, besonders nach dem Verlust des Kosovo, so dass sich jetzt als reale Chance die Hinwendung zur Demokratie öffnet. Dazu kann auch die Erinnerung beitragen, dass eine solche Hinwendung in Übereinstimmung mit der serbischen Tradition liegt, die leider so oft vergessen wird.