Auf den Spuren des „homo sovieticus“.

Der lange Schatten des Kommunismus
aus OWEP 4/2001  •  von Jarosław Makowski

Jarosław Makowski ist Philosoph und Redakteur der in Krakau erscheinenden katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“.

Kann man heute sinnvoll nach Spuren des Kommunismus in der polnischen Gesellschaft fragen, sie etwa unter jenen Menschen suchen, die – nach allgemeinem Urteil – als erste dem Kommunismus ein „Nein“ entgegensetzten? Seit dem Fall der Berliner Mauer sind zwölf Jahre vergangen. Die Volksrepublik Polen ist ein Land, das weit entfernt liegt, ein wenig mythisch ist, unbegreiflich für jene, die nicht in ihm lebten. Die Übergangszeit, die Periode der radikalen Transformation, nähert sich ihrem Ende. Was vor allem ins Auge fällt, ist die Veränderung der Institutionen – in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch in der Kirche. Zwar reagieren die Menschen unterschiedlich auf die neuen Normen, nach denen Staat und Wirtschaft funktionieren, doch werden die demokratischen Prozeduren grundsätzlich akzeptiert. Man kann also den Eindruck haben, es gäbe keine wesentlichen Prämissen, um nach Spuren des Kommunismus im polnischen Bewusstsein und in der heutigen Existenzweise der Polen zu suchen.

Aber das, was man auf den ersten Blick sieht und was alle Zeichen von positiven und tiefgreifenden Veränderungen trägt, ist – wenn man es so sagen kann – eine Art äußerer Vorhang. Viel wichtiger ist, was sich hinter jenem Vorhang verbirgt und dem oberflächlichen Blick entzieht. Nach außen herrscht ein relativer Friede: Alles weist sozusagen darauf hin, dass der Kommunismus mit seinen schädlichen Konsequenzen für das gesellschaftliche und individuelle Leben auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurde. Scheinbar erinnert in Polen nichts an die Gesellschaft des totalitären Systems. Mehr noch: Wir unterscheiden uns nicht radikal von jenen westlichen Gesellschaften, die das Übel des Kommunismus nicht erfahren mussten. Das bestätigen auch meine deutschen Freunde, die Polen besuchen.

Das Problem steckt jedoch in dem, was hinter diesem äußeren Vorhang geschieht. Dort tobt, wie in der Mitte eines Sees, ein wahrer Sturm. Von Zeit zu Zeit steckt jemand ganz allein, manchmal eine Gruppe, den Kopf aus dem Wasser, schreit Fragen hinaus, schwimmt weiter oder verschwindet ganz einfach in der Tiefe. Die Menschen schreien nicht so sehr aufgrund dessen, was sie sehen, sondern eher aufgrund dessen, was sie nicht sehen, in dem sie aber weiterhin tief versunken sind. Versunken sind sie in einer kommunistischen Schmiermasse. Zwar haben wir äußerlich keinen Kommunismus mehr, aber – wie der Krakauer Theologe und Philosoph Józef Tischner schreibt – man spürt ihn in der Tiefe, im Bewusstsein des Menschen, das geprägt wurde von einem System der Lüge und der fehlenden Verantwortung, ein System, wie es der Kommunismus mit Sicherheit war. Kann man also die Rechnung des Kommunismus abschließen, wenn – sobald Schwierigkeiten in Wirtschaft, Gesellschaft oder bei der Evangelisierung auftauchen – die regierenden Politiker (vielleicht außer den Postkommunisten) wie auch die Vertreter der Kirche gebetsmühlenartig die Formel wiederholen „Das ist ein Erbe des Kommunismus“? Ein Zeugnis dafür, inwieweit der Kommunismus von den Polen wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurde, wird der Versuch sein, eine fundamentale Frage zu beantworten, die Józef Tischner gestellt hat: Nagt der homo sovieticus weiterhin am Bewusstsein der Polen?

Der Mensch des Menschen Wolf

Recht hatte Johannes Paul II., der als Philosoph und Mensch das Wirken des totalitären Systems gut verstand und die Überzeugung vertrat, dass der Hauptstreit mit der totalitären Ideologie weder um Politik noch um Wirtschaft, sondern um den Menschen geführt werde. Diesem Denkansatz folgt auch Tischner in seinen Ausführungen über das Erbe des Kommunismus im freien Polen. Überzeugend legt er dar, dass der Kommunismus ein ausgesprochen pessimistisches Menschenbild hatte. Worauf beruhte dieser Pessimismus?

Tischner, der Autor des Werks „Ethik der Solidarität“, nennt diesen anthropologischen Fehler „Neomanichäismus“.1 Demnach ist der Mensch für den Kommunismus ein Wesen, das tiefstes Misstrauen erweckt. Unter dem Anschein von Tugend verbirgt sich ökonomisches Interesse. Je höher die gesellschaftliche Position eines Menschen ist, desto mehr Gründe für Misstrauen gibt es. Vertrauen wird nicht als gesellschaftliches Kapital gesehen, als Band, das Menschen vereint, sie zu einer Gemeinschaft von Individuen zusammenschweißt, die für das Gemeinwohl wirken. Immerzu muss man auf der Hut sein, dem Nachbarn auf die Finger schauen. Er stellt eine unmittelbare Gefahr für mein Sein dar. Der Glaube an die Gegenwart des Bösen, so charakteristisch für den Manichäismus, gestattet es – im Kommunismus wie auch heute –, die böse Seite jeder Sache zu entdecken. Wenn das manchmal nicht leicht ist, dann nur wegen der unerhörten „Heuchelei der Welt“. Paradoxerweise lebt die „Heuchelei“, die Tischner im kommunistischen System ausmacht, fort. Heuchelei ist die Methode, das Böse unter dem Anschein der Tugend zu verbergen. Es gibt keine Unschuldigen. Wehe den Helden, wenn sie leben! Dass sie überlebt haben, ist die Anklage gegen sie. Die manichäische Art, die Gegenwart zu lesen, weiß, dass sich „eigentlich nichts verändert hat“. Die Kommunisten haben sich in die „Nomenklatura“ verwandelt, und die „Nomenklatura“ regiert.

Die andere Seite des Manichäismus reduziert sich nach Tischner auf den Moralismus. Er tritt in der Überzeugung zutage „Wenn wir alle moralisch wären, wäre es besser.“ Da es aber damit nicht zum Besten steht, sind offensichtlich alle unmoralisch. Der Moralismus erkennt keinen qualitativen Unterschied zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beziehungen. Dadurch sind Formen wie Staat oder sogar Kirche für den Moralismus keine autonomen Einheiten. Von daher hat er das einfache Weltrezept: „Man muss die Welt moralisch machen.“ Aber eine solche Denkweise hat praktische Konsequenzen. „Die Konsequenz“, schreibt der Krakauer Philosoph, „ist, dass Menschen an die Macht kommen sollen, denen man unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Moral nichts vorwerfen kann, die jedoch oft völlige Ignoranten in Fragen der Wirtschaft, des Staates, der Gewerkschaften oder Medien sind.“

Wenig tröstlich ist die Tatsache, dass Tischners Worte von ihrer Aktualität nichts verloren haben. Jener pathologische Zustand verstärkt sich eher. Um sich davon zu überzeugen, muss man nur die Tagespresse aufschlagen, die fast jeden Tag von Korruptionsaffären berichtet und die Geschichten jener ausbreitet, die gestern noch anderen Böses und Heuchelei vorwarfen, um heute auf der Anklagebank wegen ähnlicher Sünden zu sitzen. Polen ist, wie der Politologe Aleksander Smolar bemerkt, heute ein „Land sündiger Moralisten“. Wir haben noch immer nicht die Versuchung überwunden, den anderen Menschen durch das Prisma des manichäischen Fehlers zu sehen.

Der bittere Geschmack der Freiheit

Wenn es tatsächlich so ist, dann erhebt sich sofort die nächste Frage: Kann ein Mensch, der in sich das Merkmal der „manichäischen Mentalität“ trägt, ein wirklich freier Mensch sein? Wurde die nach 1989 wieder gewonnene Freiheit gut genutzt, oder empfinden wir noch immer Furcht und Unvermögen vor einem Leben in Freiheit?

Um das Brandmal des Kommunismus zu überwinden, muss man nicht so sehr verstehen, was er war, sondern man muss sich darüber klar werden, was Freiheit von ihm ist. Denn niemand wird mit einer fertigen Form von Freiheit in der Seele geboren. Der Mensch ist nur potenziell frei. Wirklich frei wird er erst. Und er wird dank dessen frei, dass er die Formen seiner Versklavung erkennen kann, die er dann von sich abwirft. Aber die Versklavung abzustreifen, erweist sich als eine Aufgabe, die schwieriger ist, als man zu Beginn der Transformation meinte.

Werden wir heute nicht zu Opfern einer neuen, uns bisher unbekannten Furcht – der Furcht vor der Freiheit? –, fragt Józef Tischner rhetorisch in seinem berühmten Text „Das unglückliche Geschenk der Freiheit“ aus der Mitte der neunziger Jahre. Und weiter: „Noch vor kurzem bestätigten wir kühn unsere Identität im Widerstand gegen die Gewalt. Heute aber ... sind wir außer stande, die Tiefe der wiedergewonnenen Freiheit zu schauen.“ Und schließlich die sehr dramatische Frage: War das, worum wir solange kämpften, für uns die Ankündigung der Hölle selbst?

Die Frage der Affirmation von Freiheit in der postkommunistischen Welt stellt sich nicht einfach dar. Denn es ist ja gar nicht so, dass die Menschen die Freiheit wählen, nachdem sie entdeckt haben, sie würden nicht sie selbst sein, wenn sie sie nicht wählten. Es ist auch nicht so, dass sie die Unfreiheit ablehnen, weil sie bewirkt, dass sie nicht sie selbst sind. Die Ablehnung der Unfreiheit und die Wahl der Freiheit hatten vor allem ökonomische Gründe. Zum Maß der Freiheit wurde der ökonomische Erfolg, nicht das Ideal echten Menschentums. Aber hat die liberale Revolution, die das kommunistische System beseitigte, sich nicht als halbherzige Revolution erwiesen? Spricht dafür nicht die Tatsache, dass manche in Polen Freiheit immer noch mit sündhaftem Konsumdenken, Pornographie oder Abtreibung gleichsetzen? Die Freiheit bewirke, dass „überall Kommunisten sich breit machen“, dass die Gefühle von Gläubigen verletzt werden, dass die Autorität des Hl. Vaters untergraben werde. Langsam und unmerklich wird in diesem Denken die Schuld der Freiheit genau so groß, vielleicht sogar größer als die Schuld des Kommunismus. Weiterhin kann man den Eindruck haben, dass die Furcht vor der Freiheit heute größer ist als die vor der Gewalt. Aber ist diese Furcht vor der Freiheit nicht die Kehrseite der Sehnsucht nach sklavischer Unschuld? „Die Freiheit lieben bedeutet, im Menschen nach ‚Ereignissen der Freiheit‘ zu suchen“, schreibt Józef Tischner. Heute müsste man ergänzen, dass die Freiheit lieben auch bedeutet, Verantwortung für sie zu übernehmen. Gegenwärtig sieht man viel besser und deutlicher, dass unsere Furcht vor der Freiheit sich tatsächlich als Furcht vor der Verantwortung erweist. Hier ist die Quelle für die Suche nach dem Sündenbock, eine Suche, die darin besteht, dass man die grundlegende Verantwortung für begangene Fehler vor sich herschiebt, ihr aus dem Wege geht. Vielleicht ist dieser fundamentale Mangel an Verantwortung – der zugleich eine Weigerung darstellt, das authentische Geschenk der Freiheit anzunehmen – heute das spürbarste Zeichen für Spuren des Kommunismus in der polnischen Mentalität: im gesellschaftlichen wie im individuellen Leben.

Unfreie Hirten

Man kann nicht über die polnische Spielart des Kommunismus, genauer über seine Brandmale im Leben und Denken der Polen, schreiben, ohne die Rolle der Kirche zu berücksichtigen. Das ist unmöglich, denn der Zusammenbruch des Kommunismus ist unvorstellbar ohne den bedeutenden Anteil, den die Kirche daran hatte. Denn diese letztere führte einen hartnäckigen „Kampf um den Menschen“. Worauf beruhte er exakt? Die Zeiten des Kommunismus waren für die Christen eine Periode schwerer Prüfung. Der Kommunismus war, wie Tischner bemerkt, nicht nur eine Verneinung des Christentums wie Atheismus oder Nihilismus, sondern auch, und vor allem, seine Imitation. Er versprach, wenn er Gewaltmittel gemäß der „historischen Notwendigkeit“ anwende, so werde er Probleme lösen, die das Christentum nicht imstande war zu bewältigen. Mit der Schaffung eines Himmels auf Erden werde der Kommunismus erreichen, dass der Glaube an einen anderen als den irdischen Himmel absterbe. So beruhte also der Kampf des Kommunismus gegen die Religion nicht nur auf rationalistischer Kritik an ihr, nicht nur auf Verfolgung der Kirche, sondern auf dem Bau einer neuen gesellschaftlichen Ordnung. Jeder Erfolg im Kampf gegen Not sollte eine Niederlage für das Christentum sein.

Aber dieser Plan scheiterte. Im Gegenteil, der Kommunismus führte zu Verbrechen gegen die Menschheit, die Imitation des Christentums erwies sich als dessen Parodie, und der Versuch, den Himmel auf Erden zu errichten, legte das Fundament für den „Archipel Gulag“. Der Glaube verschwand nicht, eher wurde er bestätigt. Die Autorität der Kirche wuchs. In der Bedrohung durch den Kommunismus griff der Mensch zum Text des Evangeliums, zur „Frohen Botschaft“ auf dem Weg zur Rettung.

Heute gehören die Zeiten des „einzig richtigen Systems“ der Vergangenheit an. Aber zusammen damit verflüchtigen sich aus dem Gedächtnis fundamentale Erfahrungen, deren Ursache der Kommunismus war. Auch die alten Quellen des Glaubens trocknen aus. Mehr noch: heute sprechen wir schon von einer Krise des Glaubens, vom Verfall seiner Autorität, von selektiver Behandlung der kirchlichen Morallehre und vom Auszug der jungen Generation aus der Kirche. Was geschieht da eigentlich, haben Christentum und Kirche die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht?

Gegenwärtig ist die Kirche in Polen an einem für sie ungewöhnlichen Ort und Zeitpunkt. Sie hat optimale Bedingungen für eine wirksame Verkündigung des Evangeliums. Dank der Demokratie erfreut sie sich voller Freiheit, die ihr niemand nehmen will. Niemand behauptet auch in Polen mehr – es sei denn aus bösem Willen –, dass die Kirche in der modernen Gesellschaft überflüssig sei. Doch diese Situation hat, besonders unter Bischöfen, das Gefühl einer seltsamen Ruhe geschaffen, die nicht nur trügerisch ist, sondern sich auf lange Sicht als gefährlich erweisen kann. Worin besteht diese Gefahr? Die polnische Kirche ist gegenwärtig nicht, wie im Kommunismus, ein Monolith. Vor allem deshalb, weil sie nicht mehr ihren Widerstand gegen ein böses und gefährliches System manifestieren muss. Heute muss sie verschiedenartigen Herausforderungen die Stirn bieten, die zur Landschaft einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft gehören. Wenn sie das nicht tut – so Alain Besançon, französischer Historiker und Politologe –, wird sie sich selbst aus dem Kampf um die Seelen hinauskatapultieren. Vertreter der Kirche, vor allem die Hirten, reduzieren ihre Rolle darauf, das Böse und die Verderbnis dieser Welt anzuprangern. Aber heute kann man sich nicht den Luxus leisten – wenngleich das natürlich die einfachste Methode ist –, auf Gebiete der Verderbnis zu verweisen und gleichzeitig der Verantwortung für deren Überwindung aus dem Wege zu gehen.

Was anderes als ein Wegschieben der Probleme war die Äußerung von Kardinal Józef Glemp im Jahre 2000 anlässlich des Festes Maria Himmelfahrt in Tschenstochau, wo der Primas zu 200.000 Pilgern sagte: „Geben wir zu, dass unter uns Banditen und Räuber sind, Betrüger und Lügner. Wir wissen auch, dass moralisches Übel weder mit perfekten Gesetzen noch mit effektivster Polizei ausgerottet werden kann. Es ist gut, dass wir die Ursachen für das moralische Scheitern des Polen suchen.“ Es erhebt sich die Frage, was die Ursache für das „moralische Scheitern“ ist. Die Antwort ist bezeichnend: Der Primas sieht den Grund im Kommunismus als einem „System, das die Gewissen stärker als vermutet vergiftete“. Aus der Art und Weise, in der er betont, dass der Kommunismus die Herzen und Hirne der Menschen durchdrang, kann man den Eindruck gewinnen, jene Ordnung sei wirksamer gewesen als das Evangelium. Vielleicht liegt die Ursache dieses moralischen Scheiterns des Polen eher in der Art und Weise, wie die Frohbotschaft verkündigt wird, als im Kommunismus, den es schon lange nicht mehr gibt, oder im Liberalismus.

Wie man sieht, fällt es auch dem polnischen Klerus schwer, sich vom unablässigen Bezug auf die kommunistische Vergangenheit frei zu machen. Aber so werden wir nicht imstande sein, aus dem Schatten des Kommunismus herauszutreten. Darüber hinaus hat die Kirche in der Zeit der Freiheit große Probleme damit, eine Sprache zu finden, die besonders junge und gebildete Menschen erreicht. Deshalb müssen die Priester – davon will uns der polnische Philosoph Leszek Kołakowski überzeugen – das Bewusstsein haben, dass von ihrer Fähigkeit, das Evangelium weiterzugeben, die Vitalität des Glaubens abhängt: „Wenn die Priester aber auf Macht setzen, auf laute Verdammung, auf Drohungen, darauf, dass sie den Glauben wirksam stützen, wenn sie ihn mit verschiedenerlei Aberglaube und Magie, mehr noch mit sozialem und ethnischem Hass verbinden, dann werden sie schnell zur Überzeugung kommen, dass sie auf den eigenen Untergang hinarbeiten.“ Die Aufgabe, die heute auf den Bischöfen und Priestern lastet, ist nicht leicht. Doch die polnischen Seelsorger müssen das Bewusstsein haben, dass hauptsächlich von ihrer Lehre und Weitergabe der Frohbotschaft über Jesus Christus der Stand des Glaubens in Polen abhängt. Davon wird – vielleicht vor allem – abhängen, ob das, was Tischner mit homo sovieticus bezeichnet hat, verschwindet.

Die Antwort auf die Frage, ob der homo sovieticus in Polen existiert und wie es um ihn steht, entspricht in hohem Maße der Klärung, ob der Postkommunismus beendet ist – nicht so sehr, was das Funktionieren der Mechanismen eines demokratischen Staates ausmacht, denn auf dieser Ebene haben wir manchen Erfolg aufzuweisen, als vielmehr im Bereich der Mentalität und der Alltagssitten. Zwar ist es nicht möglich, Ort und Ausmaß genau anzugeben, inwieweit kommunistische Mentalität noch immer unser Bewusstsein beeinflusst. Es steht aber außer Zweifel, dass der Kommunismus sich so lange als Schatten auf unser Bewusstsein legen wird, wie wir uns auf das kommunistische Erbe berufen werden, um heutige Fehler und Misserfolge zu rechtfertigen.

Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.


Fußnote:


  1. Anspielung auf den Manichäismus, eine aus Persien stammende und im 4. Jahrhundert sehr erfolgreiche Lehre, die dem frühen Christentum zeitweise ernsthaft Konkurrenz machte. Kennzeichen ist ein streng dualistisches Weltbild, demzufolge der gesamte Kosmos von zwei ewigen gleichrangigen Prinzipien, dem Guten und dem Bösen, beherrscht wird (Anm. d. Redaktion). ↩︎