„Auch die Würde der Frau ist unantastbar!“
Die Gleichberechtigung der Frau, ihre Würde und auch die Forderung nach der Beseitigung der tatsächlichen Benachteiligung sind in den Rechtsordnungen in Europa mittlerweile verankert. Das ist gut und wichtig. Dies gilt auch für die modernen Verfassungen in Mittel- und Osteuropa. Sie haben nicht zuletzt der Arbeit des Europäischen Konvents in Brüssel wertvolle Impulse gegeben, der im Oktober 2000 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verabschiedet hat. Die Charta wird seit ihrer feierlichen Proklamation durch die europäischen Organe im Dezember 2000 in Nizza zurecht als Meilenstein bezeichnet. Sie enthält in Artikel 23 die klare Botschaft: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen sicherzustellen.“
Der Beitrittsprozess zur EU hat die rechtliche Stellung der Frauen in Mittel- und Osteuropa weiter gefestigt. Wir alle wissen: Das EU- Recht, das die Beitrittskandidaten seit mehreren Jahren mit viel Engagement in ihr nationales Recht überführen, ist gerade in Bezug auf die Absicherung der Rechtsstellung der Frauen sehr anspruchsvoll und ehrgeizig. Ich freue mich deshalb sehr, wenn sich auch Prof. Dr. Hanna Suchocka in dem voranstehenden Beitrag zu diesem Thema äußert, hat sie sich doch als polnische Justizministerin sehr engagiert für diesen Prozess eingesetzt.
Wenn wir über die Rolle der Frau in Europa sprechen, auch und gerade über die Frauen in Mittel- und Osteuropa, dann geht es weniger um die Vorgaben unserer Verfassungen. Es geht vor allem um die gesellschaftliche Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit hat für viele Frauen, besonders in Mittel- und Osteuropa, ein hässliches Gesicht, das in dem vorliegenden Heft sehr deutlich ans Licht geholt wird:
Frauen sind nur allzu oft die „Verliererinnen der Wende“. Hanna Suchocka weist deutlich darauf hin: Der Umwandlungsprozess in Mittel- und Osteuropa hat die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erschwert. Von Anfang an wurden mehr Frauen als Männer arbeitslos, da es ihnen schwerer fiel, die Erwartungen der neuen Arbeitgeber in Bezug auf Mobilität, Verfügbarkeit und Arbeitszeiten zu erfüllen.
Gewalt gegen Frauen ist keine Randerscheinung, sondern bittere europäische Realität. So drängend, dass sich eigens eine Ministerinnen- und Ministerkonferenz im Februar 2002 in Santiago de Compostela damit beschäftigt hat; mit Gewalt gegen Frauen in ihren besonders hässlichen Facetten: zu Hause, im Erwerbsleben, in der Sexualität.
Finstere Realität ist leider auch der Menschenhandel. Wir alle wissen: Frauen aus Mittel- und Osteuropa werden als Zwangsprostituierte und billige Haushaltshilfen wie Ware gehandelt und behandelt. Auch sie brauchen dringend unsere Hilfe.
I.
Wir müssen nicht erst auf Mittel- und Osteuropa schauen, um festzustellen, dass Frauen im Beruf noch immer keine allgemein akzeptierte Selbstverständlichkeit sind – auch und gerade nicht in Führungspositionen. Die große internationale Konferenz „World Woman Work“ hat Ende Februar 2002 Frauen aus Führungspositionen in Wirtschaft und Politik in Berlin zusammengebracht, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und sich über ihre Strategien zur Förderung von Frauen auszutauschen. Dabei ist wieder deutlich geworden: Frauen sind heute besser ausgebildet denn je, doch in Führungspositionen sind sie immer noch in der Minderheit. Und dabei wird es doch immer deutlicher, dass Wirtschaft und Politik nicht auf das große Potenzial der Frauen verzichten können.
Sehr aufschlussreich ist dazu die Umfrage, die Hanna Suchocka in ihrem Beitrag vorstellt: Polnische Frauen und Männer sind befragt worden, wie sie die Führungsqualitäten von Frauen im Vergleich zu denen von Männern beurteilen. Das Ergebnis ist verblüffend: Die beeindruckend große Mehrheit der Befragten glaubt, dass Frauen gewissenhafter sind und verantwortlicher handeln, eine angenehmere Arbeitsatmosphäre schaffen, die Arbeit besser organisieren und die Disziplin unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besser wahren als Männer. Trotz dieser hohen Wertschätzung der Führungsqualitäten von Frauen war die Mehrheit der Befragten beiderlei Geschlechts gleichwohl der Auffassung, Führungsaufgaben seien Männersache. Meines Erachtens würden in ganz Europa vergleichbare Umfrageergebnisse erreicht. Daran lässt sich ablesen: Es gibt festgefügte, im Laufe der Jahrhunderte gleichsam versteinerte Auffassungen, die wir mit viel Geduld und großer Beharrlichkeit aufbrechen müssen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg. Wir wollen jetzt auf EU-Ebene das bewährte Recht zur Förderung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern den Erfordernissen unserer Zeit anpassen. Durch den Beitrittsprozess wird dieses EU-Recht auch in Mittel- und Osteuropa seine Wirkung entfalten.
Wichtig bleiben aber auch die Schritte, die jedes Land in eigener Initiative unternimmt. Die Bundesregierung hat 1999 das ressortübergreifende Programm „Frau und Beruf“ beschlossen und seitdem weitgehend umgesetzt:
Bei der Durchsetzung der Gleichstellung geht die Bundesverwaltung mit gutem Beispiel voran. Sie unterstützt Frauen beim Fortkommen im Beruf und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Mit dem neuen Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes treiben wir die Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst weiter voran.
Mit den neuen Regelungen zur Elternzeit im Bundeserziehungs-geldgesetz und dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge haben wir die Rahmenbedingungen für Frauen und Männer verbessert, Beruf und Familie zu verbinden. Entscheidend ist schließlich oft noch immer, wie weit die aktive Rolle einer Frau von den Mitgliedern ihrer eigenen Familie akzeptiert wird. Hanna Suchocka erinnert in ihren Ausführungen daran: Ohne eine Einigung innerhalb der Familie laufen alle gesetzlichen Bestimmungen über den gleichberechtigten Status von Frau und Mann möglicherweise einfach ins Leere. Deshalb sind Elternzeit und Teilzeit wichtige Signale auch und gerade an die Männer.
Die Bundesregierung und die Spitzenverbände der Wirtschaft haben außerdem im letzten Jahr eine Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit in der Privatwirtschaft unterzeichnet. Damit soll die Gleichstellung von Frauen und Männern auch in diesem Sektor vorangebracht werden.
II.
Auch die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen hat in Europa hohe Priorität: Unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft wird noch in diesem Jahr eine Übersicht über die Aktivitäten der EU-Mitgliedsstaaten erstellt, die die nationalen Regierungen nach den Empfehlungen der Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 ergriffen haben. Dies knüpft an die von Deutschland ausgerichtete EU-Konferenz zur Gewalt gegen Frauen im März 1999 in Köln an.
Seitdem hat die Bundesregierung mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen erstmals ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept zur Gewaltbekämpfung vorgelegt. Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, alle Maßnahmen des Bundes, die wir im Aktionsplan angekündigt haben, zwischenzeitlich anzugehen und umzusetzen. Der Aktionsplan beinhaltet u. a.:
das zivilrechtliche Gewaltschutzgesetz, das am 01.01.2002 in Kraft getreten ist. Es stellt den Opferschutz ins Zentrum. Den Grundsatz „Der Schläger geht, die Geschlagene bleibt“ haben wir mit dem Gewaltschutzgesetz verankert. Wir muten es den Opfern nicht mehr länger zu, den Verlust der vertrauten Wohnung und Umgebung in Kauf nehmen zu müssen. Die Täter können durch eine gerichtliche Entscheidung aus der Wohnung verwiesen werden sowie Kontakt- und Näherungsverbote erhalten.
Wir haben außerdem die Rechtsstellung und die Würde ausländischer Frauen im Ausländerrecht klar gestärkt. Ausländische Frauen erhalten jetzt nach zwei Jahren, in denen die eheliche Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat (zuvor waren vier Jahre nötig) oder in Härtefällen sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht.
Mit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gegen häusliche Gewalt ist ein Kooperationsgremium auf nationaler Ebene entstanden, in dem die jeweils zuständigen Bundes- und Landesministerien, aber auch Nichtregierungsorganisationen wie Beratungsstellen und Frauenhäuser vertreten sind. Sie unterstützen die nationale Umsetzung des Aktionsplans.
III.
Unverändert aktuell und bedrückend ist das Problem des Frauenhandels. Hier musste die EU-Kommission auch in ihrem letzten Fortschrittsbericht feststellen, dass sich die besorgniserregende Entwicklung leider fortgesetzt hat. Mehrere Beitrittskandidaten sind weiterhin Herkunfts-, Transit- und Bestimmungsländer, und eine Lösung des Problems ist nicht absehbar.
Deutschland als eines der Zielländer von Menschenhandel an der Schnittstelle zwischen West- und Osteuropa trägt bei der Bekämpfung dieser besonders widerwärtigen Form der Kriminalität eine außergewöhnliche Verantwortung. Und wir nehmen sie entschlossen wahr:
Die Bekämpfung des Menschenhandels, der auch und gerade Frauenhandel ist, ist einer unserer Schwerpunkte bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union, aber auch in anderen internationalen Gremien, wie etwa den Staaten der G 8. Ich setze mich intensiv für diese Zusammenarbeit ein. Wir haben vor kurzem den europäischen Haftbefehl beschlossen, der die Strafverfolgung innerhalb der EU deutlich erleichtern wird und der auch beim Menschenhandel erlassen werden kann. Ich setze mich dafür ein, dass Deutschland den Europäischen Haftbefehl deutlich vor dem Stichtag „1. Januar 2004“ in Kraft setzen wird.
Ganz wichtig ist aber auch, dass wir nicht bei der Strafverfolgung stehen bleiben. Der bereits erwähnte Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat auch die Arbeit der bundesweiten Arbeitsgruppe Frauenhandel verstetigt. Hier arbeiten die verschiedensten Ministerien, Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen auf Bund-, Länder- und Kommunalebene zusammen. Bisherige Schwerpunktthemen waren u. a. Prävention, Aufklärungsmaterialien, Gewinnabschöpfung, Zeuginnenschutz und die Kosten der Zeuginnenbetreuung.
Mein Wunsch für Pfingsten ist, dass der Geist der Veränderung weitere sichtbare und unsichtbare Mauern aus Vorurteilen, Gleichgültigkeit und Aggression zum Einsturz bringt, hinter denen noch allzu viele Frauen gefangen sind. Ich habe das Forum von Renovabis auf dem Katholikentag 2000 in Hamburg, wo wir leidenschaftlich über das Thema „Die Würde der Frau ist antastbar“ debattiert haben, noch gut in Erinnerung. Viel ist schon geschehen, aber vieles ist auch noch zu tun, damit es in hoffentlich naher Zukunft nicht nur in den europäischen Gesetzblättern, sondern auch überall und lückenlos in der europäischen Rechtswirklichkeit heißt: „Die Würde des Menschen, auch die Würde der Frau, ist unantastbar!“ Das vorliegende Themenheft „Frauen in Mittel- und Osteuropa“ wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten.