Die Stimmen der Jugend

aus OWEP 1/2005  •  von Vanya Gadelova

Vanya Gadelova ist Englischlehrerin in Aitos (Bulgarien) und Projektmitarbeiterin des „Vereins für demokratische Entwicklung FAR“ in Burgas (Bulgarien).

Ohne Zweifel besteht der größte Reichtum jedes Landes in der Jugend. Jede Nation erneuert sich selbst mit dem Wechsel von Generation zu Generation. Auf diese Weise erhalten sich die Nationen einen jugendlichen Geist, nützliche Kenntnisse und Erfahrungen. Wie alle Teile Südosteuropas hat Bulgarien schwerwiegende historische und politische Veränderungen durchgemacht – und seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems einen erstaunlichen Wandel erlebt. Nun beginnt eine Periode des Wiederaufbaus und der Einrichtung demokratischer Formen und Leitungsstrukturen.

Diese Veränderungen gestalten junge Menschen mit, indem sie sich beispielsweise journalistisch engagieren, z. B. durch Gestaltung einer Zeitung. So entsteht in der Praxis demokratische Teilhabe, und die jungen Leute erfahren außerdem auch von negativen öffentlichen Erscheinungen, die es selbstverständlich gibt. Die unterschiedlichen Bedingungen der Veränderung wirken sich zusätzlich aus. Notwendig ist es eine Vergewisserung und Klärung, wohin die Reise gehen soll – in Richtung Demokratie. All das hinterlässt tiefe Spuren im Bewusstsein der jungen Leute.

Mehr und mehr wird erkannt, dass es notwendig ist, die Jugend in die Gesellschaft von heute zu integrieren und entsprechende Bedingungen dafür zu schaffen. Leider sind die finanziellen Möglichkeiten im heutigen Bulgarien sehr begrenzt. Gerade außerschulische Aktivitäten wie etwa Sport oder soziales Engagement müssten besser gefördert werden. Wenn man diese außerschulischen Aktivitäten entwickelt und das Engagement der Jugend fördert, werden sich nach und nach Antworten auf wichtige Fragen ergeben: Ist die Jugend über ihre eigenen Rechte im Bilde, hat sie ausreichend Informationen im Bereich der Sexualaufklärung, wie sieht sie ihre eigene Zukunft? Am wichtigsten sind die Fragen, denen die Erwartungen der Politiker gelten. Die jungen Leute wissen um die Probleme des Erziehungssystems, der Notwendigkeit einer besseren Ausstattung der Schulen und einer höheren Ausbildungsqualität, können hierüber aber – anders als die Politiker – keine Entscheidung fällen. Außerdem spüren sie, dass kulturelle Programme besser unterstützt werden müssten.

Die Schulen haben es nicht geschafft, ausreichend Informationen und Kenntnisse, Gegenstände und Themen im Bereich der Zivilgesellschaft zu vermitteln. Sie haben es auch nicht geschafft, junge Schüler und Studenten zu mehr Verantwortungsbewusstsein zu erziehen. Unglücklicherweise sind nur 28 Prozent der bulgarischen Jugend in Organisationen, Clubs oder Vereinen tätig. Wenn überhaupt, dann handelt es in der Regel um Sportvereine (18 Prozent männliche Jugend, 10 Prozent weibliche Jugend). In den Städten ist die Lage insgesamt besser als auf dem Land. Interessanterweise haben ähnliche organisierte Einrichtungen wie die früheren sozialistischen Jugendlager, die dem Sport, der Unterhaltung und allgemeinen Jugendentwicklung galten, auf die heutige Jugend keinen Einfluss mehr.

Bulgarien und die bulgarische Jugend leben in dynamischen Zeiten. Die Schulen alleine bereiten die jungen Leute nicht genug auf die Jugend und auf das künftige Leben vor. Viele Studien haben gezeigt, dass die Schulen überwiegend theoretisches Wissen verbreiten; außerschulische Aktivitäten vermitteln Einiges an praktischen Fertigkeiten, doch das ist zu wenig für die Anforderungen der modernen Welt. Obwohl so etwas wie politische Erziehung allmählich zunimmt, ist es immer noch notwendig, dass junge Leute an internationalen Treffen und Seminaren teilnehmen, um mehr Erfahrungen in Gruppen- und Teamarbeit zu gewinnen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die interkulturelle Erziehung als wesentlicher Faktor bei Kampf gegen Vorurteile und Rassismus.

So kann man sehen, dass der Weg der Jugend in Richtung Globalisierung klar und richtig ist. Das gilt natürlich in erster Linie für die großen Städte. In den Kleinstädten und auf dem Land ist leider, wie oben schon bemerkt, vieles noch nicht so gut entwickelt. Das ist ein wichtiger Aspekt für die Jugend in ganz Mittel- und Osteuropa. Dort fehlen gerade für die jungen Leute die Grundlagen zur Entfaltung. In der Kleinstadt Aitos (30.000 Einwohner) sagte ein 17jährige Jugendlicher: „Wir haben ein städtisches Gemeinschaftszentrum, aber es ist letzten Endes ohne großen Wert. Es gibt dort eine Amateurtheatergruppe, die die Räumlichkeiten nutzt, eine Bibliothek, der es aber aus finanziellen Mitteln nicht möglich ist, neue Bücher zu kaufen. So fehlt es einfach an aktuellen Informationen.“ Auch sollte es in der Kleinstadt mehr Möglichkeiten für sportliche Betätigung geben; das Musiktheater sollte auch mehr die Wünsche jüngerer Menschen berücksichtigen. Fazit: Es gibt keinen Ort, wo die jungen Leute ihre Energien mit einem klaren Ziel nützlich einsetzen könnten. Genau das müsste es aber geben – auch in der „Provinz“.

Wenn diese Möglichkeiten geschaffen sind, werden die jungen Leute auch lernen, ihre Meinung ohne Furcht auszudrücken und das sogar schriftlich tun. So gab es z. B. bis in die Mitte der neunziger Jahre fast nirgendwo Schülerzeitungen. Dies ist ein sehr großes Problem, denn die jungen Leute brauchen solche Möglichkeiten, um ihre eigenen Bedürfnisse auszudrücken. Aus diesem Grund habe ich meinen Beitrag „Die Stimmen der Jugend“ genannt. Diese Stimmen – und damit die Meinungen und Ansichten – der Jugend müssen von anderen gehört werden. Sie müssen ihre Meinungen herausschreien.

Die Transformation der bulgarischen Gesellschaft ist schwierig. Vielleicht bedarf es einer ewig wirksamen Kraft, Glauben und Kenntnis einer Gesellschaft zu bewahren – genau das ist die Jugend. Vasil Levski, einer der bedeutendsten Gestalten der bulgarischen Geschichte1, sagte: „Die jungen Leute werden uns die Augen waschen.“ Dieser Satz ist und bleibt wirklich sehr weise. Ein umfassendes Programm der Regierung, das die Bemühungen der Einrichtungen, der Familien, der Gemeinschaften und der Medien bündelt, könnte einen langdauernden und umfassenden Prozess eröffnen, der die Jugend auf den Weg bringt zur Teilhabe an der Entwicklung des Wohlstands Bulgariens.

Aus dem Englischen übersetzt von Christof Dahm.


Fußnote:


  1. Vasil Levksi (1837-1873), Führer im Kampf gegen die türkische Herrschaft, fiel durch Verrat in feindliche Hände und wurde 1873 in Sofia hingerichtet (Anm. d. Redaktion). ↩︎