Die Ukrainische Katholische Kirche in der Diaspora als pilgernde Kirche

aus OWEP 3/2005  •  von Svyatoslav Kyyak

Dr. Svyatoslav Kyyak ist Priester der Ukrainischen Katholischen Kirche und Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Iwano-Frankiwsk (Ukraine).

Emigration kann Zeichen der pilgernden Kirche sein, die „nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt“ (Kol 3,1) ihren Weg ausrichtet. Emigranten zeigen, umgeben von Fremden, durch ihre Wanderung die Pilgerfahrt des ganzen Volkes Gottes zur Himmelsheimat, sie sind Kinder der Kirche und haben das Recht, sich als Abgesandte Gottes und der Kirche im Ausland zu fühlen. Man kann sie Verbreiter des Glaubens nennen, weil sie durch ihr Leben zeigen, was der Glaube in sich selber enthält: das Verlassen von Heimat und Verwandten. Ein Zwang zur Assimilation und zur Veränderung ihres Lebens ist die Notwendigkeit der Kommunikation, der neuen Sprache, die Suche nach einem Wohnort, nach Einheit und Brüderlichkeit unter ethnischer und kultureller Verschiedenartigkeit. Diese Einheit ist Zeichen der ökumenischen Kirche, die in der Vielfältigkeit der Kulturen und Sprachen ihre Zusammengehörigkeit bezeugt.

Die ukrainischen Emigranten sind als Erben des ukrainischen Volkes Zeichen des Pluralismus der Völker und Kulturen in der katholischen Kirche. Die pastorale Sorge der Ukrainischen Katholischen Kirche (UKK) für die Emigranten ist andauernde und integrale Missionstätigkeit. Im pastoralen Verständnis bilden sie die Diaspora, weil sie aus verschiedenen Ursachen ständig oder für kürzer wie ihre Vorfahren in der ersten bis dritten Generation emigriert sind und darum spezielle Hilfe brauchen. Die Verantwortung für die pastorale Sorge um die Emigranten liegt bei der UKK der Diaspora, doch ist dafür besonders die Kirche im Immigrationsland verantwortlich; der Bischof des Territoriums, wo die Emigranten wohnen, ist für sie Hirt und soll auf besondere Weise Sorge für sie tragen.1

Die UKK hat die Pflicht der Vorbereitung der Emigranten auf das Leben in der neuen religiös-kulturellen Situation. Sie trägt Sorge für die Vorbereitung der Priester, Kapläne und Seelsorger, die Berufung der Ordensleute, die Teilnahme der Laien am pastoralen Leben der Kirche und für die Kultur- und Sozialfürsorge ihrer Gläubigen. Die Kirche soll auch ihre seelsorgerische Arbeit mit der Tätigkeit der römisch-katholischen Kirche im Wohnland der Emigranten verbinden, und die Emigranten sollen sich im Ortsleben integrieren, ohne dabei ihre geistlich-kulturelle Identität zu verlieren. Hier spielt die Zusammenarbeit der West- und Ostkirchen in der Diaspora eine wichtige Rolle in der Verbreitung und im Austausch seelsorgerischer Information, in der Mission, in der Entwicklung und Verteidigung der menschlichen Rechte. Anstoß dafür ist die Notwendigkeit, sich auf die gemeinsame Seelsorge zu konzentrieren.

Für die Lösung der mit der Zusammenarbeit der West- und Ostkirche verbundenen Probleme entwarf die Synode der römisch-katholischen Kirche der Teilkirchen auf dem amerikanischen Kontinent den Plan brüderlicher Hilfe für die Ostkirche:

  • Diensthilfe bei Feiern der östlichen Liturgie als Vertreter in der Pfarrei, in der keine Priester sind;
  • Schaffung einer bilateralen Kommission bei der Bischofskonferenz der Teilkirchen für die Zusammenarbeit und das Kennenlernen der gemeinsamen seelsorgerischen Probleme;
  • Vertiefung der Kenntnisse über die lebendige Überlieferung des christlichen Ostens in der Katechese und theologischen Ausbildung der Seminaristen und Laien der römisch-katholischen Kirche;
  • Teilnahme der Bischöfe der Ostkirchen an der Bischofskonferenz der Teilkirchen.

Die UKK und die Westkirche sollen nach der Empfehlung des Zweiten Vatikanums ein gemeinsames pastorales Programm und geeignete Unternehmungen einleiten, „durch die die Berufe zum Diözesanklerus und zu den Orden zahlenmäßig vermehrt, sorgfaltiger ausgewählt und wirksamer gepflegt werden, sodass sie allmählich für sich selber sorgen und anderen Hilfe bringen können“.2 Da die Kirche in der Diaspora ein getreues Abbild der Mutter- und Gesamtkirche sein muss, soll sie sich auch ihrer Sendung zu denjenigen, die mit ihr im gleichen Raum leben und noch nicht an Christus glauben, wohl bewusst sein, damit sie durch das Zeugnis des Lebens – der Einzelnen wie der ganzen Gemeinde – ein Zeichen sei, das auf Christus hinweist.

Das persönliche Apostolat der ukrainischen Katholiken hat ein besonderes Wirkungsfeld in der Diaspora, wo sie eine Minderheit bilden. Hier kann es nützlich sein, wenn Laien, die nur als Einzelne apostolisch tätig sind – sei es aus den oben erwähnten, sei es aus besonderen, auch in der eigenen beruflichen Tätigkeit liegenden Gründen – sich in kleineren Gruppen zum Gespräch oder zur freiwilligen karitativen Tätigkeit zusammenfinden; jedoch soll dies so geschehen, dass immer das Zeichen der Gemeinschaft der Kirche vor den anderen als ein wahres Zeugnis der Liebe in Erscheinung tritt. So helfen die ukrainischen Katholiken ihren Nächsten durch Freundschaft und Erfahrungsaustausch geistlich einander, gewinnen Kraft zur Überwindung der Unannehmlichkeiten eines allzu isolierten Lebens und Tuns, und dadurch bringt auch ihr Apostolat reiche Frucht.

Trotzdem kennt die pastorale Zusammenarbeit der West- und Ostkirche, insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent, auch Probleme und Konflikte. Diese Kollisionen ergaben sich in den Anfängen der ukrainischen Diaspora in Nordamerika Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus Unwissenheit über die ukrainische kirchlich-geschichtliche Tradition (insbesondere das verheiratete Priestertum) häufig, die in dieser Zeit dort benachteiligt war. Diese Missverständnisse führten zu Massenübertritten von ukrainischen Katholiken in den USA zur Orthodoxie, wo sie dann 65 Prozent der ukrainischen orthodoxen Gläubigen gebildet haben. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat die Ukrainische Katholische Kirche in der Diaspora noch eine weitere Krise durchgemacht, die mit dem Übergang der Kirche zum gregorianischen Kalender verbunden war. Unter den Bedingungen der Emigration hatte dieser Übergang einen rationalen Grund: die Zweckmäßigkeit, die großen christlichen Feste mit der lateinischen Kirche und in Verbindung mit dem staatlichen Arbeitskalender zu feiern. Diese Veränderung des Kalenders führte jedoch zur Verletzung der Einheit des liturgischen Lebens in einigen Metropolien und Eparchien. So sagten sich in der Metropolie Philadelphia ungefähr 3 Prozent der Pfarreien bei Einführung des gregorianischen Kalenders los, in der Eparchie Stamford betrug die Zahl rund 40 Prozent der Pfarreien. Das illustriert die Wünsche der ukrainischen katholischen Gläubigen, ihre kirchliche Identität zu erhalten.

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten bildet die UKK der Diaspora einen einzigen Organismus, der ganz mit der Mutterkirche verbunden ist. Der Anfang ihrer Entwicklung liegt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, als der Prozess der wirtschaftlich verursachten Massenemigration aus der Westukraine nach Westeuropa, Amerika und Australien begann. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die sogenannte dritte politische Welle der Emigration hinzu, und gegenwärtig gibt es wegen der ökonomischen Probleme und Schwierigkeiten in der Ukraine eine vierte Welle der Emigration. Ungefähr 2 Millionen ukrainische Katholiken wohnen in Amerika, Westeuropa und Australien, 0,5 Millionen in Polen, 150.000 in Tschechien und der Slowakei, 60.000 im ehemaligen Jugoslawien, 300.000 in Rumänien. Die angeführten Angaben spiegeln jedoch nur annähernd die aktuelle Repräsentation der ukrainischen Katholiken in der westlichen Diaspora wider, weil es keine genauen Angaben über die andauernde so genannte „vierte Welle“ der Emigration gibt (z. B. arbeiten in Italien jetzt illegal mehr als 300.000 Ukrainer und in Spanien 30.000 - 40.000 usw.).3

Dieser Prozess der spontanen Emigration der Ukrainer birgt in sich die Gefahr eines Verlustes der religiös-kulturellen Identität durch den aktiven Assimilationsprozess, der ständig jeder Emigration folgt. Die ersten drei Generationen der ukrainischen Emigration haben gewissermaßen ihre geistlich-kulturelle Identität schon herausgebildet. In diesem Kontext steht die UKK vor einer großen Aufgabe, für die sie bereits während der sowjetischen Epoche ein großes Potenzial an Sensibilität entwickelt hat. Jetzt setzt sie ihre Arbeit unter den neuen Bedingungen fort. Ganz aktuell ist dies auch im Kontext der starken Assimilation der Ukrainer im Gefolge einer Abnahme der Schülerzahlen in den ukrainischen Schulen und der Mitglieder ukrainischer Pfarreien zusammen mit den heutigen sozio-kulturellen Bedingungen des westlichen Lebens einzuordnen, was zur Abnahme der Priester- und Ordensberufungen beiträgt. So ergab eine soziologische Untersuchung in den USA 1990, dass unter 2.442 Priestern nur 184 Priester waren, die ganz oder teilweise mit dem Priestertum zufrieden sind, und nur 166 Priester behaupten klar, dass sie bei einer neuen Berufswahl wieder das priesterliche Amt wählen würden.4 Darum sind in den beiden Priesterseminaren der UKK in den USA (in Washington und Stamford) von 32 bzw. 47 Priesterkandidaten nur drei Studenten aus den USA, alle anderen sind Ukrainer, d. h. ehemalige Studenten der Priesterseminare in der Ukraine.

Dennoch bekam und bekommt die ukrainische Diaspora dank der UKK verschiedene geistlich-kulturelle und soziale Hilfen. Die Kirche war und ist der Mittelpunkt der Beibehaltung der Muttersprache, des Brauchtums und der gegenseitigen Unterstützung, das Zentrum der Neigung und Beibehaltung der ethnischen Identität für alle Ukrainer in der Diaspora. Die UKK war in der Emigration nicht nur ein Element, das die Ukrainer mit dem Heimatland verbunden hat, sondern ihre Tätigkeit trug auch zur Konsolidierung der ukrainischen Gemeinde bei und bildete ein Gegengewicht zur Assimilation im Versuch neuer Formen der Zusammenarbeit mit den ukrainischen Gläubigen und der englischsprachigen Umgebung (so besteht z. B. besteht ein Bedürfnis, im liturgischen Leben die englische Sprache parallel zur ukrainischen Sprache einzuführen, um junge Menschen der dritten Generation der Emigration und Mischehen in unserer Kirche und Gemeinde zu beheimaten).

Die UKK leistet in der Diaspora große Ausbildungs- und Erziehungshilfen: sie hat mehr als 30 Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in verschiedenen Ländern (USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Italien, Frankreich, Deutschland, Belgien, England, Polen, Tschechien, Slowakei, Kroatien). Wichtige pastorale Funktionen der ukrainischen Kirche sind die kirchlichen Kommunikationsmittel: Zeitschriften und Zeitungen auf Ukrainisch, Englisch, Spanisch und Portugiesisch, lokale Radio- und Fernsehprogramme und international „Radio Vatikan“, das Programme in ukrainischer Sprache sendet. Die sozio-kulturelle Tätigkeit der UKK realisiert sich durch die christlichen Laienorganisationen: die Ukrainische Christliche Bewegung, den Ukrainischen Patriarchalischen Verein, den Verein der Katholischen Frauen, die katholische Studentengesellschaft „Obnowa“ (Erneuerung), den Verein der ukrainischen Katholiken „Prowydinnja“ (Voraussetzung) in den USA, die Bruderschaft der Ukrainer-Katholiken, die Ukrainische Katholische Jugend (UJC), die Liga der Ukrainischen Frauen in Kanada usw.

Im geistlichen Leben der Emigration spielte die UKK für die westliche Diaspora eine sehr wichtige Rolle und soll es für die östliche Diaspora. Als Organisation ist sie der einzige stabile gesellschaftliche Faktor zwischen verschiedenen Institutionen. Bei der riesigen territorialen Zerstreuung bringt sie als einzige die Leute wirklich zusammen. Für die weitere Verbindung und Erhaltung des Zusammenhalts unserer Diaspora ist die Unterstützung der engen Kontakte mit der Mutterkirche und der Ukraine sehr wichtig. Diese Kontakte der westlichen Diaspora mit der Ukraine trugen zur Erhaltung der religiösen Identität unserer Kirche bei. Nur in der westlichen Emigration war es möglich, einen normalen Ausbildungsprozess für Priester zu schaffen (z. B. in Rom, Amerika und Europa) und ukrainische geistliche, religiöse und liturgische Literatur und Lehrbücher zu veröffentlichen. Nach 55 Jahren sind in den Priesterseminaren in der Diaspora hunderte Priester ausgebildet worden, die jetzt den Grundstock der heutigen Hierarchie bilden. Dieser Ausbildungsprozess hatte eine klare Orientierung: die Erhaltung und Entwicklung des Erbes der religiös-kulturellen Identität unserer Kirche bei den Studenten als zukünftige Priester und ukrainische Bürger. Darum hat z. B. die Hierarchie in Kanada (Ottawa) 1990 das Institut für östlich-christliche Wissenschaften unter dem Namen des Metropoliten Andrej Scheptyzkyj an der katholischen Universität des Hl. Paulus gegründet, und in Rom sind „die östlichen Fächer“ an den päpstlichen Universitäten keine Ergänzungsfächer, sondern Hauptfächer.

Insgesamt ist das Leben der ukrainischen Diaspora den unerbittlichen Gesetzen, die dieses Leben charakterisieren, unterworfen: die dramatische Abnahme der ukrainischen Bevölkerung und ständige Assimilation. Darum muss die UKK konstruktive Entscheidungen in dieser Situation suchen, in der die alte national- und religionsbewusste Generation ausstirbt, die in der Diaspora geborene Generation sich weniger für ihr ethnisches Erbe interessiert und die sogenannte vierte (heutige) Welle der Emigration ökonomischen Charakter hat und wenig national- und religionsbewusst ist (im allgemeinen vom totalitären sowjetischen System erzogene Jugend). Diese vierte Emigrationswelle ist noch ein Problem für die alte Emigration, aber gleichzeitig eine neue Chance für ihre Stärkung, weil sie Anlass zur Hoffnung auf zukünftige Bereicherung gibt.

Die ukrainische Kirche in der Diaspora will wie auch in der Heimat intensiver mit anderen Kirchen Communio leben und neue Hoffnung vermitteln, die uns in Jesus Christus geschenkt ist. Dabei strebt sie einerseits an, die Identität als Fundament der Communio beizubehalten und zu pflegen, anderseits weiß sie, dass Identität nur durch die Öffnung zu anderen Völkern und durch die Solidarität mit ihnen wirklich werden kann. Darum ist die UKK gerufen, in der Diaspora mit der lateinischen römisch-katholischen Kirche in vielfältiger Kooperation Versöhnung zu fördern. Die Frage der Neuevangelisierung soll dabei im Kontext der Probleme der Diaspora für die UKK erste Option sein. Sie soll ständig das Evangelium der Hoffnung verkünden, feiern und ihm dienen.

In der heutigen Gesellschaft und Kultur, die oft verschlossen sind für die Transzendenz, erdrückt vom Konsumverhalten, Sklaven alter und neuer Götzen, soll die Kirche mit Erstaunen den Sinn des „Mysteriums“ wiederentdecken und ihr liturgisches Feiern erneuern, damit sie beredtere Zeichen der Gegenwart Christi unseres Herrn sind. Sie will neue Räume für das Schweigen, das Gebet und die Kontemplation schaffen. Hier ist sehr wichtig, zu den Sakramenten zurückkehren, besonders der Eucharistie und der Buße, als Quellen des Heiles und der Versöhnung, der Freiheit und einer neuen Hoffnung.

Die UKK will dem „Evangelium der Hoffnung“ dienen. Sie ruft mit einem Leben, das Spiegel und Zeugnis Gottes ist, die Gläubigen auf, ihr Herz der Liebe zu öffnen. Darum ist für die Neuevangelisierung sehr wesentliches Ziel, dass Christus, einzige Quelle des Heiles, in allen Gläubigen auch im Kontext der veränderten Lebensbedingungen neu erstrahlt. Dabei geht es nicht nur um die Entsendung von Missionaren auf Lebenszeit, um Hilfe durch das Gebet und um finanzielle Unterstützung, sondern auch um das mögliche Engagement von Laien. Besonders zu erwähnen sind die Jugendlichen in der Ukraine, die als Freiwillige auf Zeit in die Mission gehen.

Insgesamt stehen vor der UKK große pastorale Aufgaben in der Diaspora, die sie so schnell wie möglich lösen sollte, weil davon in bedeutendem Ausmaß die Zukunft der Kirche – nicht nur in der Diaspora – abhängig ist.


Fußnoten:


  1. Vgl. Christus Dominus, 18. ↩︎

  2. Ad gentes, 19; vgl. auch Apostolicam actuositatem, 17. ↩︎

  3. Vgl. etwa Encyclopedia of Ukraine, Bd. V, Toronto 1993, Sp. 363. ↩︎

  4. Vgl. Julian J. Katrij OSBM: Erheben wir die Herzen! (ukrainisch), Rom 1993, S. 146. ↩︎