OWEP 3/2005
Schwerpunkt:
Konflikte und Konfliktregelungen
Editorial
Täglich führen die Medien sie uns vor Augen: Konflikte zwischen sozialen Gruppen, innerhalb von Gesellschaften, zwischen Staaten. So wird der Eindruck vermittelt, dass sie zunehmen, ausufern, immer weniger beherrschbar sind. Die Kriege und Terrorakte der letzten Jahre verfestigen das Bild von Hilflosigkeit.
Dieses Heft von „OST-WEST. Europäische Perspektiven“ untersucht die Ursachen und Erscheinungsformen von Konflikten, nennt Möglichkeiten ihrer Bewältigung, Beispiele von ziviler Krisenverhütung und Konfliktbearbeitung. Wir sehen, wie Gegensätze zwischen Gruppen und Gesellschaften langsam wachsen, zu Feindseligkeit führen und schließlich zu einem blutigen Zusammenstoß eskalieren. In den letzten fünfzehn Jahren hat Europa das hautnah erlebt. Wichtig ist die Erkenntnis, dass es für die Konflikte „keine einfachen und keine schnellen Lösungen gibt“. Die Situation am Balkan beweist, dass notfalls auch der Einsatz militärischer Gewalt erforderlich wird. Danach beginnt der schwierigere Teil: das zivile Konfliktmanagement. EU, OSZE und NATO haben einige Herde wenn nicht gelöscht, so doch eingedämmt. Vieles bleibt ungelöst. Nicht übersehen werden darf, dass Konfliktbewältigung „nicht ‚reine‘ Friedenspolitik, sondern auch handfeste Interessenpolitik“ ist.
Inwieweit Religion ein Konfliktpotenzial sein kann, wird am Beispiel Jugoslawiens verdeutlicht. Überhaupt bleibt die grundsätzliche Frage, wie sich „Kirche im Konflikt“ verhält, ob sie „Teil des Problems oder Teil der Lösung“ ist. Fallbeispiele zeigen, wie mit alten und neuen Konflikten in Europa umgegangen wird. Da ist das Verhältnis der Polen und Ukrainer – eine oft blutige Geschichte, die im westlichen Europa kaum zur Kenntnis genommen wird und dennoch schwer auf den Völkern lastet. „Wem gehört das Kosovo?“ – eine offene Frage. Der Transnistrienkonflikt schwelt immer noch, trotz der Vermittlungsversuche z. B. der OSZE. Der Streit um den national-katholischen Sender „Radio Maryja“ in Polen verweist schließlich darauf, wie Probleme innerhalb einer großen Ortskirche aufbrechen und perpetuiert werden, wenn es am entschiedenen Willen fehlt, Feindseligkeit und Hass aus dem kirchlichen Raum zu verbannen.
Die Redaktion
Kurzinfo
Man mag es bedauern, man mag es ignorieren: Die ideale konfliktfreie Gesellschaft gibt es nicht und wird es wohl auch niemals geben. Im Zusammenleben von Menschen, sei es auf der Ebene der Familie und Nachbarschaft, sei es auf internationaler oder globaler Ebene, kommt es immer wieder zu größeren oder kleineren Zusammenstößen. Es bleibt zu fragen, ob sich die Menschheit damit abfinden muss oder ob es nicht vielleicht doch Wege aus der Spirale der Auseinandersetzung oder sogar Gewalt gibt.
Wenn vorliegendes Heft hierzu Stellung bezieht, dann können natürlich keine Patentlösungen angeboten werden. Überlegungen zur Begrifflichkeit führen jedoch hin zu Versuchen, Konflikte schon im Keim einzudämmen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Dies belegen die Ausführungen von Prof. Dr. Thomas Hoppe, Universität der Bundeswehr Hamburg, der auch historische und aktuelle Beispiele analysiert. Dr. Wilhelm Höynck, erster Generalsekretär der OSZE, bietet in seinem Beitrag einen breiten Überblick über die verschiedenen Organisationen und Instrumentarien, die speziell in Europa im Laufe der letzten fünfzig Jahre zum Abbau von Konflikten geschaffen worden sind. Sein immerhin ermutigendes Fazit: „Wir sind wohl nicht auf dem Weg zum ‚ewigen Frieden‘, aber doch zu einer Welt mit weniger Gewalt und mit besseren Chancen, Konflikte friedlich zu lösen“.
Leider spielt die Religion häufig eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entstehung von Konflikten – und sie ist nicht immer hilfreich, wenn Konflikte beigelegt werden sollen. Stefan Kube, Doktorand an der Universität Münster, zeigt dies am Beispiel des Zerfalls Jugoslawiens. „Kirche im Konflikt“, als Teil des Problems oder Teil der Lösung steht auch im Mittelpunkt der Ausführungen von Jörg Lüer, Referent bei der Deutschen Kommission Justitia et Pax in Berlin.
Schließlich stellt das Heft drei besondere Konfliktfelder im östlichen Teil Europas vor, bei denen historische, politische, ethnische und wirtschaftliche Aspekte in unterschiedlicher Gemengelage zusammenfließen. Die polnische Autorin Bogumiła Berdychowska widmet sich dem Verhältnis zwischen ihrer Heimat und der Ukraine; hier geht es besonders um die Stadt und das Umland von Lviv/Lwów, worauf beide Nationen aus guten Gründen Ansprüche erheben. Denis Drobyshev, Student an der Universität München, entfaltet Ursachen und Entwicklung des Kosovo-Konflikts im ehemaligen Jugoslawien. Dr. Klemens Büscher, Mitarbeiter der OSZE, skizziert den fast vergessenen Transnistrienkonflikt, d. h. die Krise um die separatistische Bewegung im Osten der Republik Moldawien.
Abgeschlossen wird der Schwerpunkt „Konflikte und Konfliktregelungen“ mit Auszügen aus dem in Krakau erschienenen Buch „Kirche ohne Narkose. Mit Bischof Tadeusz Pieronek spricht Marek Zając“. Hier geht es um Probleme innerhalb der katholischen Kirche Polens. Außerhalb des Schwerpunkts – aber auch nicht ohne Bezug zum Thema – steht der Beitrag des ukrainischen Dozenten Svyatoslav Kyyak über die Situation der Ukrainischenen Katholischen Kirche in der Diaspora.
Dr. Christof Dahm