Leben und Studium in Deutschland

(Erfahrungen)
aus OWEP 4/2005  •  von Kamila Zielinska

Kamila Zielinska ist Doktorandin an der Universität Rostock; sie promoviert über ein Thema des europäischen Wirtschaftsrechts.

Mein Name ist Kamila Zielinska, ich komme aus Stettin in Polen. Seit April 2003 studiere ich, ermöglicht durch ein Partner-Abkommen zwischen der Universität Rostock und der Universität Stettin, in Rostock. Ursprünglich hatte ich nicht vor, länger als für ein Socrates-Semester in Deutschland zu bleiben. Der halbjährige Aufenthalt in Rostock hat aber das Interesse an einem weiterem Studium im Ausland geweckt und durch Aufzeigen einiger Möglichkeiten sehr gefördert. Da ich in Polen mit dem Grundstudium fertig war, entschied ich mich für den durch die juristische Fakultät der Universität Rostock angebotenen interdisziplinären Masterstudiengang. Diesen Masterstudiengang habe ich im Oktober 2004 absolviert. Zurzeit promoviere ich im Bereich des „Europäischen Wirtschaftsrechts“ mit der finanziellen Unterstützung des Katholischen Akademischen Ausländerdienstes.

Als ich vor zwei Jahren nach Deutschland kam, um die Ausbildung in einer fremden Stadt abzuschließen, war die Umstellung im Vergleich zu Polen sehr groß und nicht immer einfach. Zweifellos begibt man sich in eine neue Lebenssituation mit vielen Unbekannten. Selbst der Beginn des Studiums war für mich eine sehr große Herausforderung, denn ich war gezwungen, mich in einer neuen Umgebung zurecht zu finden und einen neuen Freundeskreis aufzubauen.

Mit Blick auf das Studium in Rostock kann ich nur sagen, dass ich völlig begeistert bin. Das deutsche Universitätssystem unterscheidet sich grundlegend vom polnischen. Die freie Wahl der Seminare und Professoren, die Möglichkeit, den Studienplan selber zusammen zu stellen, waren für mich eine sehr angenehme Überraschung. In Polen gibt es strengere Vorgaben und weniger freie Wahl im Studium. Der Verlauf der Seminare hat mich sehr überrascht. Sie sind im Gegensatz zu den Seminaren an der Stettiner Universität überdurchschnittlich interaktiv, die deutschen Studenten sind äußerst engagiert und interessiert. An der Universität Rostock können jederzeit Fragen gestellt werden, jeder kann das Wort ergreifen. Am Anfang traute ich mich nicht, den Mund aufzumachen. Ich dachte, dass jeder über meine Wortwahl oder meinen polnischen Akzent lachen würde. Wie es sich später erwiesen hat, war die Befürchtung völlig grundlos.

Das Lehrangebot an der Universität Rostock ist sehr groß. Neben den klassischen Rechtsgebieten werden hier auch Europarecht, Internationales Öffentliches Recht und Kartellrecht angeboten. Das fachliche Niveau der angebotenen Veranstaltungen ist sehr hoch. Da ich selbst die deutsche Sprache sehr mag, ist es schön, die Veranstaltungen in rein deutscher Sprache zu hören und die Bücher im Originaltext zu lesen. Ich finde es sehr lehrreich, neue Lehrmethoden kennen zu lernen und in zwei Systemen studieren zu können.

Die juristische Fakultät der Universität Rostock hat auch eine relativ gut ausgestattete Bibliothek, in der abgesehen von den deutschen Titeln auch viele englische und französische Bücher vertreten sind. Als PC-Pool stehen 50 Computer zur Verfügung, die sieben Tage der Woche zugänglich sind.

Mir gefällt, dass das Studium sehr praxisorientiert ist. Es werden Vertreter aus verschiedenen Kanzleien, Firmen und Ämtern eingeladen, die von ihrer Arbeit berichten, und so entsteht ein Dialog zwischen ihnen und den Studenten. Die Professoren und die Dozenten sind verständnisvoll, aufgeschlossen, hilfsbereit und stehen für die Fragen nicht nur in fachlicher Hinsicht zur Verfügung. Termine müssen dabei nicht unbedingt vereinbart werden, die Türen zum Büro stehen vielfach offen, die Professoren sind insbesondere für die ausländischen Studenten sehr zugänglich. Noch unkomplizierter erfolgt die Kommunikation per Email, man bekommt meist umgehend die Antwort, auch wenn der Professor nicht erreichbar ist. Was mich immer an den deutschen Universitäten wundert und fasziniert, ist das offene und sehr gute Verhältnis zwischen den Professoren und Studenten. Diese Atmosphäre empfinde ich als sehr angenehm und motivierend. Das Studieren an der Universität Rostock macht mir sehr viel Spaß, aber es ist auch harte Arbeit. Wenn man den Leistungsnachweis erwerben will, muss man sich richtig anstrengen.

Etwas weniger angenehme Erfahrungen habe ich mit den administrativen Angelegenheiten in Rostock gemacht. Am Anfang ist man gezwungen, zahlreiche Ämter auszusuchen und etliche Formulare auszufüllen. Deutschland ist sehr bürokratisch. Dabei habe ich sehr schnell zwei Grundregeln gelernt: pünktlich zu sein und bei offiziellen Gesprächen möglichst sofort zum Punkt kommen.

Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt meines Aufenthaltes in Deutschland ist das Leben außerhalb der Universität. Mir war von Anfang an klar, dass ich nicht nur wegen des Studiums und der Sprache nach Rostock gekommen bin. Ich wollte erleben, was es bedeutet, in einem fremden Land zu leben und seine Menschen, deren Mentalität und Kultur hautnah kennen zu lernen. Ich habe sehr schnell Kontakt zu den ausländischen Studierenden gefunden. Da die meisten dieser Studenten sich in der gleichen Situation befinden (fremd in einem fremden land, ohne soziales Netz), fällt der Kontakt sehr leicht. Das Klima zwischen ihnen ist sehr gut und solidarisch. Man verbringt viel Zeit miteinander, gibt sich gegenseitig Tipps, lernt zusammen, und beim Mittagessen in der Mensa kommt es zu regem Erfahrungsaustausch. Die gemeinsam unternommenen Ausflüge in nahegelegene Städte, Kino- und Theaterbesuche, gemeinsame Videoabende und vieles mehr führen dazu, dass sich aus den Bekanntschaften teilweise enge Freundschaften entwickeln. Um den ausländischen Studenten das Leben im Ausland leichter zu machen und das Kennenlernen zu erleichtern, funktioniert an der Universität Rostock die so genannte LEI1. Das ist ein freiwilliger Verband auslandserfahrener Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen. Ihr Ziel ist Beratung, Betreuung und Information. Sie organisieren Partys für die Ausländer, Ausflüge nach Berlin, Dresden, Rügen und auch verschiedene Vortragsabende.

Mit den einheimischen Studenten war das Kennenlernen ein bisschen komplizierter. In den Vorlesungen waren sie sehr hilfsbereit und kompetent. Ich konnte jederzeit Notizen entleihen oder einige Fragen stellen. In den persönlichen Kontakten waren sie dagegen eher schweigsam und zurückhaltend. Ich bemerkte, dass die deutschen Studenten, die bereits einen Auslandsaufenthalt hinter sich hatten, offener mit den Ausländern umgegangen sind als die anderen. Viele der Studenten haben außer in Rostock nicht studiert und wirken leicht desinteressiert gegenüber uns Ausländern. Man braucht hier ein bisschen Geduld und vor allem Eigeninitiative, um ihre Freundschaft zu gewinnen. Inzwischen habe ich einige Leute kennen gelernt, auf die ich mich völlig verlassen kann.

Ein wichtiger Treffpunkt für die deutschen und ausländischen Studenten ist die Katholische Studentengemeinde in Rostock. Sie ist ein Ort der Begegnung mit Menschen, die der Glaube und die gemeinsamen Interessen verbinden. Hier wird auch sehr viel unternommen. Wir treffen uns einmal in der Woche, essen gemeinsames Abendbrot und verbringen viel Zeit zusammen. Manchmal werden interessante Gäste eingeladen, die von ihrer Arbeit berichten oder andere interessante Geschichten erzählen, und manchmal ist es einfach nur ein gemütliches Beisammensein.

Dass ich mich in Deutschland sehr wohl fühle, verdanke ich nicht nur den netten Leuten – eine große Rolle spielt dabei auch die Stadt Rostock. Rostock ist für mich eine zauberhafte und überschaubare Universitätsstadt, weder zu provinziell noch zu großstädtisch. Besonders mag ich die Altstadt, in der man beeindruckende Backsteinkirchen und viele andere Zeugnisse mittelalterlicher Backsteinarchitektur finden kann. Das schöne Warnemünde zieht nicht nur Studenten, sondern auch Touristen aus aller Welt an. Und die Stadt ist absolut sauber und gepflegt. Rostock ist eine Stadt, in der jeder etwas für sich finden kann. Die Freizeitmöglichkeiten sind in dieser Stadt am Meer und am Fluss sehr groß. Insbesondere Segler, Surfer und Beachvolleyballer sind am Warnemünder Strand sehr häufig zu sehen. Die Universität bietet auch die Möglichkeit, diese und andere Sportarten zu erlernen und zu betreiben. Und wer keine Lust auf Bewegung hat, kann sich einfach an den Strand legen. Außerdem gibt es Theater, Kinos, Museen, verschiedene Veranstaltungen – auf jeden Fall ist es nie langweilig. Worauf ich jedes Jahr mit großer Freude warte, ist die „Hanse Sail“, eine maritime Großveranstaltung im Küstenland Mecklenburg-Vorpommern. Jedes Jahr begegnen sich hier am zweiten Wochenende im August rund 200 Groß- und Traditionssegler, es kommen mehr als eine Million Besucher. Das Ganze ist ein interessantes Volksfest mit interessanten Kultur- und Unterhaltungsangeboten. Jedes Mal ist es für mich ein unvergessliches Erlebnis.

Das Studium in Rostock ist noch nicht vorbei für mich, aber ich kann sagen, dass es bisher die beste Studienzeit für mich gewesen ist. Der Aufenthalt an der Universität Rostock ist für mich eine Phase einer intensiven intellektuellen Auseinandersetzung nicht nur mit dem deutschen Rechtssystem, sondern auch mit der deutschen Kultur, der deutschen Sprache und mit dem studentischen Alltag. Das bedeutet für mich auch eine Begegnung mit Menschen aus aller Welt. Ich habe die Möglichkeit, ihre Kultur, Mentalität und Ansichten kennen zu lernen, was meinen zum Teil sicherlich beschränkten europäischen Blickwinkel erweitert. Das Leben im Ausland ermöglicht es auch, die eigene Kultur aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten und Dinge zu schätzen, die man früher für selbstverständlich gehalten hat. Sehr wichtig sind dabei die erworbenen Sprachkenntnisse und die neu geknüpften Freundschaften.

Was ich für kritisch halte? Das ist bestimmt die ganze Bürokratie. Es ist auch sehr schade, dass die deutschen Studenten reserviert und zurückhaltend gegenüber Ausländern sind. Im Allgemeinen kann ich aber sagen, dass der Aufenthalt in Deutschland mit allen Höhen und Tiefen erlebenswert ist. Ich kann jedem Rostock als Studienort herzlich empfehlen. Der polnische Schriftsteller Ryszard Kapuściński schrieb einmal: „Die Alltäglichkeit und die Gewöhnlichkeit versinken rasch im Vergessen, verschwinden. Bestand hat nur das, was eine Ausnahme darstellt. Nur das kann überdauern.“ Für mich werden bestimmt die Tage, die ich in Rostock verbracht habe, diese Ausnahme sein.


Fußnote:


  1. LEI ist die Abkürzung für die „Lokale Erasmus Initiative“ Rostock (Anm. d. Redaktion). ↩︎