OWEP 4/2005
Schwerpunkt:
Polen und Deutschland – Nachbarn in Europa
Editorial
Mit dem Tod Johannes Pauls II. ging ein Pontifikat ging zu Ende, der dem zurückliegenden Vierteljahrhundert seinen besonderen Stempel aufgedrückt hatte, im Inneren der Kirche, im Verhältnis der Kirche zur Welt und besonders in seinen politischen Auswirkungen. Ohne das Wirken Karol Wojtyłas wäre es wohl kaum denkbar, dass diese Zeitschrift in immer engerem Austausch von Ost und West über gemeinsame europäische Perspektiven reflektiert.
Dieser Bedeutung würde es freilich nicht gerecht, dem großen Polen und Europäer auf dem Stuhl Petri lediglich einen weiteren der zahllosen Nachrufe zu widmen. Die Redaktion möchte vielmehr einige besonders bezeichnende Aspekte der Person und des Wirkens Johannes Paul II. betrachten. Die Artikel von Tomasz Węcławski, Klaus Müller und Janusz Poniewierski beschäftigen sich mit dem theologischen Stellenwert, der philosophischen Grundlegung und der politischen Dimension seines Werkes.
Auch für das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen kommt dem drittlängsten Pontifikat der Kirchengeschichte eine Schlüsselbedeutung zu. Vor vierzig Jahren schrieben die polnischen Bischöfe ihren historischen Brief an ihre deutschen Mitbrüder, zu dessen Unterzeichnern auch Erzbischof Karol Wojtyła gehörte. Der – unabgeschlossenen – Wirkungsgeschichte dieses Ereignisses widmen sich die Darstellung von Karl-Joseph Hummel und die Erinnerungen von Wolfgang Grycz. In diesen Zusammenhang gehört auch das Porträt von Erzbischof Alfons Nossol, eines der unermüdlichsten Brückenbauer zwischen den Nachbarvölkern.
Um wieviel unbefangener sich heute die Begegnung zwischen jungen Polen und Deutschen vollziehen kann, zeigen die Erfahrungsberichte und der Beitrag von Gesine Schwan, der Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Auch hier spürt man freilich stets die bleibende Herausforderung der zukunftsfähigen Gestaltung dieses Nachbarverhältnisses und seine Tragweite für ganz Europa. Das noch bis Mai 2006 dauernde Deutsch-Polnische Jahr ist dieser Aufgabe gewidmet. Im Zeichen dieser Initiative wird die vorliegende Nummer unserer Zeitschrift auch in polnischer Sprache erscheinen.
Die Redaktion
Kurzinfo
Nur wenige Völker in Europa sind geschichtlich und geographisch derart eng miteinander verbunden wie Deutsche und Polen. Gleichzeitig ist diese Verbindung durch eine deutliche Ungleichgewichtigkeit gekennzeichnet: Die Sicht des „Großen“ gegenüber dem östlichen Nachbarn wird weitgehend von Desinteresse und damit verbundener Unkenntnis geprägt – die Sicht des „Kleinen“ gegenüber dem westlichen Nachbarn ist geprägt aus einer Mischung von Abscheu und Bewunderung. Nach Jahrhunderten friedlichen Zusammenlebens – u. a. daran zu erkennen, dass die Ostgrenze des alten Römisch-Deutschen Reiches zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert zu den stabilsten Grenzen innerhalb Europas zählte – drifteten die nationalen Interessen beider Völker im 19. und 20. Jahrhundert immer weiter auseinander und führten zwischen 1939 und 1945 zur Katastrophe, die letztlich beide traf. Polen wurde zum ersten und am stärksten betroffenen Opfer des Zweiten Weltkriegs, an dessen Ende das Pendel umschlug und dazu führte, dass das historische Ostdeutschland jenseits von Oder und Lausitzer Neiße heute ein integraler Bestandteil Polens ist, in dem nur noch wenig an fast eintausend Jahre deutscher Geschichte erinnert.
Seit dem Erscheinen unserer Zeitschrift ist die gesellschaftliche und auch kirchliche Entwicklung Polens immer wieder Thema einzelner OWEP-Beiträge gewesen. Bei der Wahl des Themenheftes kamen mehrere Gründe zusammen. Die ersten drei Beiträge des Heftes widmen sich in unterschiedlichen Zugängen der Persönlichkeit des am 2. April 2005 verstorbenen Papst Johannes Paul II. Der Posener Theologe Prof. Dr. Tomasz Wecławski untersucht die theologischen Leitlinien, sein deutscher Kollege Prof. Dr. Klaus Müller, Münster, erörtert den philosophischen Ansatz des Papstes. Einen anderen Zugang sucht der Journalist Janusz Poniewierski; er zieht eine Bilanz des Politikers Johannes Paul II.
Im Jahr 2005 jährt sich zum 60. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges, zum 40. Mal das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils. Polen und Deutsche haben in den ersten Jahrzehnten nach 1945 nur sehr mühselig zueinander gefunden. Viele Vorurteile waren auch auf kirchlicher Seite auf beiden Seiten zu überwinden, und der Ost-West-Konflikt und die daraus entstandene deutsche Teilung erschwerten zusätzlich die Annäherung. Der Historiker Dr. Karl-Joseph Hummel, Bonn, zeichnet in seinem Beitrag die ersten Schritte bis zur „neuen Ostpolitik“ der siebziger Jahre nach. Einen Meilenstein bildete dabei der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe gegen Ende des Konzils im November und Dezember 1965. Wolfgang Grycz, Redaktionsmitglied, beschreibt in seinem Beitrag als Zeitzeuge, wie er diese Entwicklung miterlebt hat.
Seit der Wende von 1989/90 haben sich, auch wenn immer wieder die Schatten der Vergangenheit nachwirken, vielfältige neue und ermutigende Perspektiven ergeben, die das Verhältnis der Nachbarn an Oder und Neiße verbessern. Dem Austausch der Jugend kommt eine entscheidende Rolle zu; so studieren Deutsche in Polen und Polen in Deutschland und überbrücken manch Trennendes. Vorbildfunktion kommt dabei der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder zu; ihre Präsidentin, Prof. Dr. Gesine Schwan, beschreibt in ihrem Beitrag Aufgaben und Ziele dieser grenzüberschreitenden Einrichtung. Vier junge Akademiker, zwei Polen und zwei Deutsche, skizzieren dann offen und ungeschminkt ihre persönlichen Erfahrungen vom Leben im „anderen Land“. Aktuelle Informationen über Land und Leute bietet das „Länderinfo Polen“, das Martin Buschermöhle, Renovabis-Länderreferent für Polen, verfasst hat. Abgeschlossen wird das Heft mit einem Interview und einem Porträt. Dr. Matthias Kneip, Publizist und Mitarbeiter des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, stellt seine Arbeitsschwerpunkte vor, besonders den Bereich „Schule“ (Unterrichtsmaterialien, Sprachkurse) und Lesungen zu deutsch-polnischen Themen. Dr. Michael Hirschfeld, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Vechta, beschreibt Leben und Werk von Erzbischof Alfons Nossol, Bischof von Oppeln, der zu den Pionieren der deutsch-polnischen Verständigung zählt.
Das Heft „Polen und Deutschland – Nachbarn und Europa“ erschien im Rahmen des deutsch-polnischen Jahres 2005/2006 im Frühjahr 2006 auch in polnischer Sprache.
Dr. Christof Dahm