Rechtsradikale Erscheinungen in Ost- und Westeuropa
Zusammenfassung
Die Verbreitung des Rechtsradikalismus und seine destruktive Kraft rufen zu einer eindringlicheren Beschäftigung mit dem Phänomen auf. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die radikale Rechte in Ost- und Westeuropa vermitteln. Er bietet eine Übersicht zu Struktur und Stärke ebenso wie zu Entstehungsbedingungen und Zielen.
Rechtsradikale sind im 21. Jahrhundert angekommen. Sie argumentieren heute dicht an den Ängsten unserer Zeit und positionieren sich neu in den europäischen Gesellschaften.
Die Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ in Deutschland und die Attentate Anders Breiviks in Norwegen sind nur der Gipfel anhaltender rechtsradikaler Gewalt, die aufgrund ihrer außerordentlichen Brisanz auch die Öffentlichkeit beschäftigt. In vielen Ländern Europas gehören Gewalttaten gegen Migranten, politische Feinde, Roma, Muslime und Juden zum Alltag. Neben gewaltsamen Übergriffen sind es die Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien, die die aktuelle Bedeutung des Rechtsradikalismus in Ländern Ost- und Westeuropas belegen. Rechtsradikale Parteien sitzen in vielen nationalen Parlamenten und ebenso im Europäischen Parlament. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich zeigte sich jüngst erneut die Stärke der radikalen Rechten: Im April 2012 stimmten 17,9 Prozent der Franzosen im ersten Wahlgang für die Kandidatin des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen.
Die Akteure
Um das Phänomen besser zu verstehen, ist es hilfreich, seine verschiedenen Erscheinungsformen zu kennen und seine Entstehungsbedingungen zu reflektieren. Die radikale Rechte lässt sich nach Michael Minkenberg1 in vier ideologische Kategorien einteilen:
Die extreme Rechte: Sie zeichnet sich durch ideologische Nähe zu faschistischen Regimen, dem Nationalsozialismus oder autokratischen Regimen der Zwischenkriegszeit aus. Sie ist milizenhaft strukturiert und auf eine „Führer“-Figur ausgerichtet. Beispiele hierfür sind die deutsche NPD, die griechische Morgenröte (7 Prozent im Mai 2012)2 und die ungarische Jobbik (16,7 Prozent im April 2010).
Die ethnozentrische oder rassistische Rechte: Ihre Agenda ist insbesondere die Trennung von Ethnien, „Rassen“ und Kulturen. Sie propagiert die Unvereinbarkeit von Kulturen und Ethnien und glaubt an die Überlegenheit der eigenen Ethnie. Beispiele für entsprechende Parteien sind der französische Front National (4,3 Prozent im Juni 2007), der belgische Vlaams Belang (7,8 Prozent Juni 2010), die österreichische FPÖ (17,5 Prozent im September 2008), ebenso die Italienische Lega Nord (8,3 Prozent im April 2008).
Die populistische Rechte: Sie ist programmatisch flexibler, ist auf eine charismatische Führerfigur ausgerichtet und tritt als „Vertreter“ zur Umsetzung des „Volkswillens“ auf. Als Parteientyp ist die populistische Rechte in Westeuropa am erfolgreichsten. Es fällt auf, dass sie in den nordischen Ländern besonders stark ist. In den nationalen Parlamenten sitzen u. a. die Wahren Finnen (19,1 Prozent im April 2011), die Schweizerische Volkspartei (26,6 Prozent Oktober 2011), die Dänische Volkspartei (12,3 Prozent September 2011), die norwegische Fortschrittspartei (22,9 Prozent September 2009), und die niederländische Partei für die Freiheit (15,5 Prozent Juni 2010).
Die religiös-fundamentalistische Rechte argumentiert primär religiös und verbindet nationalistische und exklusive Forderungen mit dem Anspruch religiöser Vormachtsstellung. Sie ist in Polen verbreitet, etwa in der Liga der Polnischen Familien.
Im Osten Europas ist die radikale Rechte organisatorisch weniger entwickelt als in Westeuropa – ein Schicksal, das sie mit den meisten politischen Parteien in der Region teilt. Wahlerfolge sind hier weniger stark ausgeprägt bzw. weisen weniger Kontinuität auf.
Neben politischen Parteien, die oben bereits als Beispiele für die verschiedenen ideologischen Ausformungen erwähnt wurden, umfasst die radikale Rechte weitere Organisationsformen:
Zum einen gibt es bewegungsförmige Organisationen, die auf Mobilisierung der Öffentlichkeit zielen und bestehende, feste Organisationsformen ablehnen. Sie bilden häufig neue Strukturen wie Vereine, Verbände und Initiativen. Ein Beispiel dafür ist die transnationale Initiative Cities against Islamisation, die mit Demonstrationen in Großstädten Westeuropas auf sich aufmerksam macht und „Bürgerprotest“ organisiert. Hinter ihr stehen allerdings vor allem rechtsradikale Parteien; hierzu gehören aber auch gewalttätige Gruppen wie die Ungarische Garde (und entsprechend agierende „Bürgerwehren“).
Zum anderen ist das subkulturelle Milieu eine nicht zu vernachlässigende Größe. Es zeichnet sich durch lose Strukturen ebenso wie durch ein hohes Gewaltpotenzial aus. Hierzu sind die Neonazi-Musikszene zu rechnen, ebenso rechte Hooligans, Neonazi-Kameradschaften und Autonome Nationalisten. Die subkulturell gewaltbereite Szene ist besonders stark in Ostmitteleuropa und Osteuropa verbreitet, allerdings auch in Deutschland und Schweden. In Deutschland entwickelte Organisationsformen wie die Neonazi-Kameradschaften und die Autonomen Nationalisten sind beispielsweise in der Tschechischen Republik inzwischen übernommen worden.
Themen, Zielgruppen und Entstehungshintergründe in Ost und West
Zentral für die rechtradikale Ideologie ist, dass die Gemeinschaft oder „das Volk“ ethnisch, religiös und national definiert und als homogener Körper begriffen wird.3 Es wird ein „Wir“ etabliert, aus dem durch spezifische Exklusionsmechanismen „Das Andere“, „Das Fremde“ als Schlechtes, Böses und an gesellschaftlichen und individuellen Problemlagen Schuldiges ausgeschlossen wird. Charakteristisch ist eine Überzeugung, die ich als „regressive Utopie“ bezeichne: Die Akteure beschwören etwas angeblich Vergangenes, eine ethnisch und religiös homogene Gesellschaft, die es freilich in der Realität nie gab. Europa und die Staaten Europas sind über die Jahrhunderte gekennzeichnet von Wanderungsbewegungen und geprägt durch diverse religiöse Glaubensrichtungen. Rechtsradikale klammern sich an den Begriff von Nation und Volk und definieren ihn ethnisch und religiös. Jeder, der nach den so definierten Kriterien nicht dazugehört, wird als „fremd“ ausgegrenzt, wenn nötig gewaltsam. In dieser „Logik“ muss alles „Fremde“ ausgeschlossen werden, um das eigene Überleben zu sichern.
Identität und Exklusion
Fragen der eigenen Identität gewinnen in Zeiten rapiden gesellschaftlichen Wandels sowie neuer und globaler Kommunikations-, Informations- und Arbeitsmöglichkeiten an Relevanz und betreffen jeden. Während einige Bevölkerungsgruppen Veränderungsprozesse weitgehend als positiv empfinden, fühlen sich andere davon überfordert oder lehnen sie schlicht ab. Rechtsradikale Akteure empfinden diese Veränderungen als eine Bedrohung ihrer Identität und bieten ihre „regressive Utopie“ als Allheilmittel für individuelle wie gesellschaftliche Probleme an. Das Thema „(nationale) Identität“ wird von der radikalen Rechten kulturell und ethnisch interpretiert und stellt ein wichtiges Feld ihrer Agitation dar. Es ist besonders anschlussfähig an den gesellschaftlichen Mainstream, weil es zum einen sehr existenziell thematisiert werden kann und zum anderen alle Mitglieder der (Mehrheits-) Gesellschaft betrifft. Sehr früh hatten der französische Front National und sein Vorsitzender Jean-Marie Le Pen die Bedeutung des Themas „Identität“ für die radikale Rechte erkannt und „die weiße Rasse“ als Kernkonzept europäischer Identität propagiert. Das, was als „fremd“ herausgegriffen wird, ist dabei zum Teil variabel und dem Zeitgeist unterlegen.
Heute gilt in Westeuropa als „das Fremde“ insbesondere „das Muslimische“. Antisemitismus stellt allerdings weiterhin ein Kernelement der radikalen Rechten dar, jedoch hat er bei verschiedenen Akteuren der radikalen Rechten unterschiedliche Gesichter:
- Von zu Gewalt aufrufendem und offenem Hass bei der extremen Rechten (etwa in Ungarn) und der fundamentalistisch-katholischen Rechten (etwa in Polen)
- bis zu Codes und sekundäre Anspielungen (etwa in der Referenz zur „amerikanischen Ostküste“) bei den gemäßigteren Rechtsradikalen.
- Widersprüchlich sind diesbezüglich Entwicklungen bei rechtspopulistischen Parteien, etwa in den Niederlanden und Dänemark: Hier wird Antisemitismus ausgeklammert und sogar die Nähe zu Juden oder dem Staat Israel gesucht. Der Holocaust wird als historischer und nationaler Bezugspunkt anerkannt.4
Neben der Ausgrenzung von Gruppen nach Religionszuordnung umfasst das von Rechtsradikalen ausgemachte „Fremde“ auch Minderheiten wie Roma sowie behinderte, obdachlose, arme oder arbeitslose Menschen. In Osteuropa ist das Repertoire der Feindgruppen deutlich breiter und die Ablehnung der Gruppen aggressiver: Neben Roma trifft rechtsradikaler Hass vor allem Juden, ethnische Minderheiten (wie die Türken in Bulgarien) und Homosexuelle.
Zu den heutigen Feindgruppen in den westlichen Gesellschaften gehören neben der „multikulturellen“ Gesellschaft auch die „Achtundsechziger“- Bewegung und ihre Vertreter, die nach Ansicht der radikalen Rechten als unzumutbar empfundene kulturelle und politische Veränderungen verursacht haben, u. a. eine stärkere Individualisierung der Gesellschaften, die Emanzipation von Frauen, Schwulen und Lesben. Schaut man sich die rechtspopulistischen Diskurse in westlichen Ländern an, findet man immer wieder das gleiche Muster: Die Ablehnung der Einwanderungsbewegungen seit den fünfziger und sechziger Jahren und des kulturellen Wandels, als deren Verkörperung die „Achtundsechziger“ begriffen werden. Ihre Anliegen werden als „Political Correctness“ gebrandmarkt und diskreditiert.
Fragen nach der eigenen Identität werden im östlichen Europa mit deutlich höherer Dramatik gestellt: Die dortigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse waren gegenüber denen Westeuropas ungleich gravierender und vollzogen sich noch dazu rasant. Infolge traumatischer Erfahrungen der osteuropäischen Transformation nach Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion kam es fast überall zu sozialen Spannungen und Frustrationen, zu politischen Konflikten und Identitätskrisen, die u. a. ein Erstarken des Nationalismus zur Folge hatten. Beklagt werden die Auflösung gemeinschaftlicher Solidarität und eine allgemeine politische Entfremdung. Ängste gegenüber der neuen, beschleunigten, globalen Welt sind hier besonders verbreitet.5
Gegen Politiker, Politik und die repräsentative Demokratie
In ihren populistischen Slogans und Kampagnen zweifeln Rechtsradikale an, dass „das Volk“ tatsächlich von den regierenden Politikern vertreten wird. Sie stellen diese sowie weitere gesellschaftspolitische Akteure als korrupt oder unglaubwürdig, als raffgierig und elitär dar. Sie diskreditieren Politiker, politische Parteien und schließlich die Demokratie selbst.
Hingegen präsentieren sich die rechtsradikalen Parteien in populistischer Manier selbst als die „wahre Stimme des Volkes“ und „Vertreter des einfachen Mannes“, den sie in einen „Volkskörper“ entindividualisieren und damit für sich vereinnahmen. Dabei unterstreichen sie beispielsweise in der Schweiz ihr Politikverständnis durch geschickt inszenierte Volksbegehren wie das über das „Minarettverbot“. Plädoyers für mehr direkte Demokratie – und vor allem für weniger Parlamentarismus – sind auch in anderen Ländern Westeuropas vonseiten der radikalen Rechten nicht unüblich. Über Unterschriftenlisten und Bürgerbegehren bringen sie ihre politischen Anliegen ein. So initiieren Rechtsradikale in Westeuropa beispielsweise Initiativen gegen den „Islam“ und „die Moslems“, insbesondere gegen den Bau von Moscheen. Während sie soziale Problemlagen „des Volkes“ beklagen, rufen sie dazu auf, zur Durchsetzung der Interessen des Volks müsse „hart durchgegriffen“ werden. Gängige Feindbilder sind dabei zum einen der angebliche „Parteien-Filz“, zum anderen bestimmte Gruppen, denen ihr kriminelles Treiben erst durch die etablierten Parteien ermöglicht werde („Ausländer“ und „Sozialschmarotzer“). Dabei entwerfen rechtsradikale Politiker wie beispielsweise der Franzose Jean-Marie Le Pen eine Art Polizeistaat als Vision, in dem politische Parteien keine zentrale Rolle spielen. In Osteuropa ist die verbale Aggressivität gegen Politiker meist spitzer und hat in vielen Ländern (etwa in Bulgarien und Ungarn) in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.6
Allerdings unterscheiden sich die radikalen Rechten in verschiedenen Ländern Europas in Bezug auf ihr Politik- und Staatsverständnis: Während die Rechtsradikalen in den jungen Demokratien Osteuropas eine nationalsozialistische/faschistische und kommunistische Vergangenheit haben und sich auf autoritäre Politikkonzepte der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert beziehen, stellen sich die radikalen Rechten in den alten (weitgehend) ungebrochenen Demokratien (Dänemark, Niederlande, Norwegen und Schweden) offensiv in die demokratische Tradition ihres Landes. Die Schwedischen Demokraten, die Dänische Volkspartei oder Geert Wilders Partei für die Freiheit (Niederlande) begreifen sich daher als die eigentlichen Vertreter der demokratischen Werte ihres Landes. Ein Beispiel für ihre Selbstinszenierung als „Anwalt“ demokratisch-liberaler Werte stellen Kampagnen dar, in denen sie sich gegen vermeintlich autoritäre und frauendiskriminierende muslimische Einwanderer zur Wehr setzen. Dabei stellen sich diese Parteien bewusst in den demokratischen Diskurs, fordern Meinungsfreiheit für sich ein und beschimpfen Gegner als Rassisten, die ihnen die gleichberechtigte Teilhabe am politischen Prozess des Landes verwehren wollen.
Insgesamt orientiert sich die radikale Rechte in Osteuropa mehr an der Vergangenheit als ihr westliches Pendant. Sie lehnt damit nicht nur die parlamentarische liberale Demokratie ab, sondern ist häufig per se antidemokratisch. Selbst in den konsolidierten Demokratien Osteuropas ist die Demokratie nicht als „einzige Alternative“ anerkannt, was der radikalen Rechten Möglichkeiten eröffnet, die sie im Westen nicht hat. Jedoch nähren auch westeuropäische Akteure durch die pauschale Abwertung der Politik – insbesondere durch den Vorwurf, dass „Volkes Stimme“ durch einen elitären Parlamentarismus ungehört bleibe – antidemokratische bzw. antiparlamentarische Gefühle.
Wenngleich die nationalen Parlamente und der Parlamentarismus mit Schmähungen überzogen werden, so lässt sich der Großteil rechtsradikaler Akteure (vor allem in Westeuropa) auf das „demokratische Spiel“ ein und strebt nach Macht über die Parlamente. Zu einem neuen, besonderen Sündenbock ist die Europäische Union (EU) avanciert, die noch viel grundlegender negiert und verbal attackiert wird. Das Projekt der europäischen Integration wird abgelehnt, die EU selbst mit negativen Zuschreibungen bedacht. Sie gilt als Ausdruck „moralischen und kulturellen Verfalls“, „wirtschaftlichen Ruins“, „sozialer Katastrophe“ und „zügellosen Liberalismus‘“. Wenngleich einige Akteure ihre eigenen, Europa-freundlichen Visionen hegen, empfinden Rechtsradikale eine außerordentliche Bedrohung durch die EU: So sollten für ein „unheilvolles Projekt ... jahrtausendalte, angesehene Nationen ... geopfert“ werden.7
Anhänger, Wähler, Zielgruppen: Die radikale Rechte geriert sich als Verteidiger heutiger „sozialer Fragen“
Einstellungsuntersuchungen und Befragungen zeigen, dass die radikale Rechte heute insbesondere bei den „relativen“ Verlierern aktueller gesellschaftlicher Prozesse zu punkten hofft. Ob bei der British National Party, der Fortschrittspartei in Norwegen oder der Dänischen Volkspartei: Angesprochen werden vor allem diejenigen, denen im Zuge wirtschaftlicher und sozialer Veränderungsprozesse in den Bereichen Arbeit, Einkommen, Prestige, Zugang zu Bildung und Freizeit Verluste drohen, Menschen also, denen es einst besser ging bzw. die Angst haben abzusteigen. Die Hauptzielgruppen der radikalen Rechten sind in Westeuropa vor allem Menschen aus unteren sozialen Schichten und der unteren Mittelschicht. In Osteuropa ist – entsprechend den viel fundamentaleren gesellschaftlichen Veränderungsprozessen – zudem eine breitere Mittelschicht Adressat.
Rechtsextreme und rechtspopulistische Akteure nutzen diese Abstiegs- und Verlustängste und gerieren sich daher vielerorts als vermeintliche „Fürstreiter“ der kleinen Leute bzw. der „relativen“ Verlierer globalisierter Wirtschaftsprozesse. Es ist gar nicht lange her, dass ein Teil der heutigen rechtsradikalen Parteien neoliberale Wirtschaftskonzeptionen begrüßte (Teile dieser Parteien, wie z. B. die österreichische FPÖ oder die Schweizerische Volkspartei, favorisieren auch weiterhin eine Liberalisierung der Märkte und machen sich gegen Steuern stark). Heute propagieren sie in der Öffentlichkeit eine „nationale und soziale“ Politik und begrüßen den Sozialstaat, der (nur) für seine ethnisch-nationalen Bürger sorgt. „Arbeit zuerst für Deutsche“ – das ist ein passender Slogan, der dies verdeutlicht, oder die NPD-Werbung „sozial geht nur national“.8
Insbesondere in den nordischen Ländern, in denen soziale Gerechtigkeit ein hoch anerkanntes Gut ist, wird von der radikalen Rechten offensiv der Abbau des Wohlfahrtstaats kritisiert. Man sehnt sich nach wirtschaftlich prosperierenden Zeiten der 1950er- und 1960er-Jahre, nach einem Land des Aufbaus der öffentlichen Wohlfahrt, nach hoher Erwerbstätigkeit, nach Fortschritt und – das ist der Zusammenhang, den die radikale Rechte herstellt – einer ethnisch-homogenen Gesellschaft ohne Einwanderer. Vor diesem Hintergrund bezeichnen sich Parteien wie die Dänische Volkspartei als „die wahren Sozialdemokraten“ oder die British National Party als die „Vertreter der britischen Arbeiterklasse“. In den postkommunistischen Ländern Osteuropas fordert die radikale Rechte die staatliche Kontrolle des liberalisierten Markts noch deutlich stärker ein als im Westen.9
Weiter fällt auf, dass es sich bei den Wählern und Anhängern vor allem um junge Menschen und zudem überdurchschnittlich häufig um Männer handelt. Beispielsweise wurde in Österreich bei den Nationalratswahlen im September 2008 die rechtspopulistische FPÖ stärkste Partei bei den unter 30-Jährigen. Insgesamt kam die Partei auf 17 Prozent der Stimmen, unter den Erstwählern (16-19-Jährige) waren es 44 Prozent. Die jungen Männer fühlen sich von einem Heinz-Christian Strache (FPÖ) wie von seinen „Kameraden“ in anderen europäischen Ländern (etwa Gábor Vona der ungarischen Jobbik-Partei) besonders angezogen. Das liegt sicherlich auch daran, dass diese sehr moderne Wahlkämpfe führen (etwa Discobesuche und Rap-Rhythmen, mit Einsatz von facebook und dem Angebot einer ganzen Reihe modischer Accessoires).
Resümee
Rechtsradikalismus ist eine Gefahr für den Zusammenhalt und das friedliche Miteinander der europäischen Gesellschaften. Die Einordnung des Phänomens ist Grundvoraussetzung dafür, um diese Herausforderung anzunehmen. Die radikale Rechte hat ganz offensichtlich in Ost- und Westeuropa ähnliche Themen und Feindbilder. Allerdings zeigt sich auch, dass historische Entwicklungen und aktuelle gesellschaftliche Veränderungsprozesse die Struktur der radikalen Rechten, ihre ideologischen Elemente und die Vehemenz, mit der sie vertreten werden, unterschiedlich prägen.
Fußnoten:
-
Vgl. Definition und Akteure der radikalen Rechten bei Michael Minkenberg: Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland. Opladen, Wiesbaden 1998; außerdem Britta Schellenberg: Dispersion and Differentiation: The Structures and Trends of the Radical Right in Europe. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Strategies for Combating Right-Wing-Extremism in Europe. Gütersloh 2009, S. 531-546, besonders S. 531 ff. ↩︎
-
Wenn eine Partei im nationalen Parlament vertreten ist, sind jeweils Prozentzahlen und Wahldatum vermerkt. ↩︎
-
Vgl. zu den Begrifflichkeiten auch den Beitrag von Stefan Borrmann in vorliegendem Heft. ↩︎
-
Vgl. Jaap van Donselaar/Willem Wagenaar: Country Report The Netherlands. In: Bertelsmann Stiftung (wie Anm. 1), S. 375-424; Susi Meret: Country Report Denmark. In: ebd., S. 81-126. ↩︎
-
Vgl. József Bayer: Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Ostmitteleuropa. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 31 (2002), S. 265-280. ↩︎
-
Vgl. Kristian Vigenin: Die radikale Rechte in Bulgarien. ATAKA – Aufstieg, Fall und Nachspiel. In: Nora Langenbacher/Britta Schellenberg (Hrsg.): Europa auf dem „rechten“ Weg? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin 2011, S. 209-215 (die gesamte Publikation ist auch online verfügbar: http://library.fes.de/pdf-files/do/08337.pdf; letzter Zugriff: 16.07.2012); József Bayer: Country Report Hungary. In: Bertelsmann Stiftung (wie Anm. 1), S. 285-326. ↩︎
-
Europäisches Parlament, Plenardebatten. Zukunft Europas (Aussprache), Jean-Marie Le Pen, Straßburg, 19.02.2008. Zitiert nach Sabine Riedel: Nationalismus im EU-Parlament – Parteien, Standpunkte und Gegenstrategien vor den Europawahlen 2009. SWP-Studie, Dezember 2008. ↩︎
-
Vgl. Britta Schellenberg: Die radikale Rechte in Deutschland. Sie wird verboten und erfindet sich neu. In: Langenbacher/Schellenberg (wie Anm. 6), S. 59-83. ↩︎
-
Nora Langenbacher/Britta Schellenberg: Einleitung. Ein Sammelband zu Erscheinungsformen und Entwicklung der radikalen Rechten in Europa. In: Langenbacher/Schellenberg (wie Anm. 6), S. 11-27, S. 12 f. ↩︎