Der Kosovo vor seiner Rehabilitierung in Europa

Die Zukunft eines kleinen europäischen Landes (Reportage)
aus OWEP 4/2007  •  von Rupert Neudeck

Dr. Rupert Neudeck, Theologe und Journalist, war Gründer und langjähriger Sprecher des deutschen Not-Ärzte-Komitees Cap Anamur. Seit 2003 ist er Vorsitzender von „Grünhelme e. V.“ (Peace-Corps von jungen Deutschen – Muslimen und Christen; www.gruenhelme.de).

Der Kosovo (die Albaner sagen „Kosova“) wird eines der kleinsten Länder werden, die wir in Europa bekommen: Es ist halb so groß wie Hessen – 10.887 qkm mit 1,95 Millionen Einwohnern. Es ist halb so groß wie das nächst kleinere Land des Balkans Slowenien: 20.251 km2 und 1,97 Miliionen Einwohner, während das baltische Estland, ein Musterknabe der Europäischen Union, doch schon ein Staatsgebiet von 45.214 qkm hat bei einer Bevölkerung von 1,6 Millionen Einwohnern. Israel als kleines, aber mächtiges Land verfügt in den Grenzen, die ihm das Völkerrecht und die UNO als Exekutor des Völkerrechts zugewiesen hat, über 20.770 qkm und beweist, was ein geopolitisch und geophysikalisch kleines Land alles an militärischer, ökonomischer und politischer Macht auf dieser Welt entfalten kann.

Der Charakter der Region liegt darin: Der Balkan wurde früher als das Landstück Europas verachtet, das – nach den legendär gewordenen Worten von Otto von Bismarck beim Berliner Kongress 1878 – „nicht den Knochen eines pommerschen Grenadiers wert“ war. Heute ist der Balkan zu einem potenziellen und akuten Teilhaber der Europäischen Union aufgestiegen. Aber die Albaner sind und bleiben die „Neger“ der Region, denen alle Verachtung zukommen darf, sie haben sie verdient.

Im Grad der Verachtung gibt es graduelle Unterschiede, aber im Grundkontext sind sich die balkanischen Völker einig. Eigentlich gehören die Albaner in die Türkei oder nach Afrika. Ich zitiere aus dem Beitrag des serbischen Journalisten und Schriftstellers Vladimir Arsenijević „Unsere Neger, unsere Gegner“: „Für alle Ex-Jugoslawen, aber besonders für uns Serben waren die Kosovo-Albaner vor allem eines: ‚Unsere Neger‘.“ „Was wir“, so der Autor, „damals im ehemaligen Jugoslawien über die Albaner zu wissen glaubten, war zusammengeklittert aus beleidigenden Klischees. Abfällig nannten wir sie im Alltag nur ‚Schiptaren’, also Skiptaren. Wenn wir die Schiptaren nicht offen gehasst haben, dann nur darum, weil wir sie nicht einmal unseres Hasses für würdig befanden.“ Und: „Zwischen denen und uns gab es selbst zu besten Zeiten keinen Dialog.“1

Ich hatte nach dem Ende des NATO-Krieges gegen Milošević und Serbien und der Rückkehr der Albaner in ihre meist total zerstörten und abgebrannten Dörfer und Städte ein symptomatisches Erlebnis: Es kamen Journalisten, Humanitäre und Politiker aus Europa, die oft den Kosovaren das Mikrofon unter die Nase hielten und sie gleichsam wenige Tage nach der Rückkehr fragten: Wann sie denn ihre serbischen Nachbarn wieder zu sich in das Dorf zurückbitten würden. Diese Kosovo-Albaner waren oft noch in einem regelrechten Trauma, sie hatten die Vernichtungs- und Vertreibungsabsicht der serbischen Führung und Armee noch lange nicht verarbeitet. Wir wollten viel zu schnell unser politisches Ziel des Zusammenlebens von Albanern, Serben, Roma, Ashkali2 wenige Tage nach Ende des Krieges hergestellt sehen.

Wir gewöhnten uns daran, den Konflikt nach dem NATO-Krieg und der Übergabe des Kosovo an die Interimsregierung der UNO (= UNMIK) immer zunächst mit dem Blick auf die Serben und die serbischen Enklaven zu sehen: Immer geht es um die wenigen Enklaven innerhalb des Kosovo, in denen die Serben anfangs wirklich geschützt werden mussten. Dann aber fanden sich immer weniger Serben bereit, irgendetwas mit der neuen von der UNO rehabilitierten und legitimierten Gesellschaft des Kosovo zu tun zu haben. Sie wählten in den Jahren von 2000 bis 2007 ganz ausdrücklich die Anbindung an Serbien, sowohl was die Bezahlung verschiedener Verwaltungsfunktionen anging, was die Kosovo-„plate numbers“, also die Autoschilder und Nummern anging, als auch was die Wahlen zum gemeinsamen Parlament der Kosovaren anging. Überall weigerten sich die Serben in ihrer Mehrheit, an der neuen Gesellschaft teilzunehmen, wenn sie nicht eine von Serben regierte und beherrschte ist. Denn der Hass scheint ähnlich dem zu sein, wie ihn Arsenijević beschreibt aus der Titozeit: Die Albaner waren der Anstrengung des Hasses nicht würdig.

So wenig aber die Anwesenheit der verachteten Albaner ins Bewusstsein des durchschnittlichen Jugoslawen der Titozeit gedrungen war, so sehr erscheint der lässige Kultur-Rassismus von damals aus heutiger Perspektive geradezu harmlos, verglichen mit dem mörderischen Hass auf die „Schiptaren“, wie er die Serben nach dem Tod Titos und den ersten „Unruhen“ im Kosovo am Ende des vergangenen Jahrhunderts ergriff.

Mir als einem, der seit 1998 immer wieder vor Ort war, ist es unbegreiflich, wie sich das Unrechtsbewusstsein wieder so einseitig zugunsten der stärkeren Serben, verbündet mit den Russen und mit der griechischen Orthodoxie, hat wandeln können. Es gibt bei den Serben bisher nicht das geringste Unrechtsbewusstsein, das sich je kollektiv in einer Entschuldigung für die genozidale Aktion der Vertreibung, der Unterdrückung, der Demütigung aller Albaner im Kosovo geäußert hätte.

Pater Walter Happel SJ, der das in den letzten beiden Jahren errichtete und im April 2007 eröffnete große Loyola-Gymnasium in Prizren leitet, berichtete mir, dass er bei Vorträgen in Deutschland immer wieder nur gefragt wird, ob die Schule auch Serben unter ihren Schülern habe. Wenn er das verneint, dann wird ihm gleich gesagt, die Schule sei also nicht multiethnisch!? Was aber doppelt falsch ist, wie Pater Happel dann versucht zu erklären: Einmal gibt es an dieser Schule bosnische Kinder, Roma und Ashkali, türkische und ägyptische Schülerinnen und Schüler. Selbst wenn in Deutschland ein betuchter Sponsor fünf oder zehn serbischen Kindern ein Stipendium geben würde für die Schule, würden diese Kinder das nicht annehmen. Die Serben lehnen diese von Albanern geleitete Gesellschaft schlicht ab und beteiligen sich nicht an ihr.

Es kam erschwerend dazu, dass der NATO-Luftangriff mit einer Vereinbarung endete, derzufolge niemand den Krieg verloren hatte. Dieser Vertrag von Kumanovo erlaubte der serbischen Armee die Version, sich auf die Brust zu schlagen und – wie die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg zu ihrer Armee – zu sagen: „Im Felde unbesiegt“ kehren wir siegreich aus der Schlacht zurück, die wir eigentlich gewonnen haben. Wie in Deutschland zu Ende des Ersten Weltkriegs war damit eine serbische „Dolchstoßlegende“ geboren. Und an deren Züchtung und Aufblühen trägt die Europäische Union ein gerüttelt Maß an Schuld.

Nie wurden der Staat Serbien und die wechselnden Regierungen in Belgrad mit der gleichen Härte angepackt wie (z. B.) Kroatien. Mit Serbien redet die EU und redet Brüssel andauernd, obwohl die beiden Völkermord-Verbrecher Radovan Karadžić und General Radko Mladić sich immer noch in Serbien oder der Republika Srpska aufhalten, was den serbischen Behörden, der Regierung und Polizei alles wohlbekannt ist.

Die Albaner nur „Gäste“ im serbisch beherrschten Kosovo

Ich erinnere mich an die dramatischen Tage noch vor dem Eingriff der NATO in den Kosovo und der Region, als der spätere Außenminister Vuk Drasković zu einer Reise in den Kosovo (KOSMET lautet die für albanische Ohren hässlich klingende serbische Abkürzung für die Provinz „Kosovo i Metohija“) aufbrach und dabei, wie ich den Bildern im serbischen Fernsehen entnehmen konnte, fast ausschließlich serbische Klöster und Gemeinden aufsuchte. Die Albaner kamen in dem Land, durch das er ging, wie seinerzeit Pieter Willem Botha durch sein weißes Südafrika, einfach nicht vor.

Er erklärte allerdings vor den serbischen Popen und Bürgern: Es gäbe hier schon die Albaner, man konnte sie nur auf den serbischen Fernsehbildern nicht sehen, weil sie dafür nicht würdig waren. Sie seien, so Vuk Drasković – hier im serbischen Kosovo – „Gäste“. „Gäste“ müssen sich entsprechend benehmen, sie sind nun mal nicht die Gastgeber und Besitzer des Landes. Und wenn sie sich schlecht benehmen, fliegen sie raus aus dem Kosovo.

So ticken die Köpfe der serbischen Politiker noch heute. Es wurden Massaker verübt, Apartheid-Verhältnisse geschaffen, die allein schon ausreichen, das moralische Recht für eine Minderheit zu begrenzen, die Herrschaftsverhältnisse zu ändern. Aber bis heute halten sich die Serben für andere Menschen, die nicht gleich zu gleich mit Albanern gezählt werden können. Die Albaner im Kosovo haben noch nie eine staatliche oder gesellschaftlich-politische Selbstbestimmung erlebt. Sie wurden von den Versailles-Nachfolgekonferenzen als das behandelt, als was Albaner bisher immer in Europa und auf dem Balkan behandelt wurden: als Parias, nicht als gleichberechtigte Europäer. Deshalb bekamen sie ein kleines Land, in dem die Mehrheit der Albaner zu Hause war, aber große Gruppen dieses sehr geburtenstarken Volkes hielten sich in der Landschaft auf, die man Kosovo nannte, außerdem in Teilen dessen, was wir uns später, nach dem Zerfall Jugoslawiens, angewöhnten, als Mazedonien und Republik Serbien zu bezeichnen.

Das Ende Jugoslawiens begann mit dem Kassieren der substanziellen Autonomie des Kosovo 1989, das Ende vom Ende Jugoslawiens wurde eingeläutet durch den Angriff der NATO am 24. März 1999 auf das Gebiet von Serbien und Kosovo und mit der Vertreibung der Albaner aus dem Gebiet des Kosovo.

Apartheid im Kosovo bis 1999

Als ich 1994 das erste Mal nach Priština, der Hauptstadt des Kosovo, kam, zog ich mit dem Kollegen Peter Sartorius von der „Süddeutschen Zeitung“ in das einzige große Hotel am Platze: Das war das „Grand Hotel“. Unsere albanischen Gesprächspartner mussten wir an einer Bannmeile verabschieden. Sie durften sich weder in der Nähe des Hotels noch in demselben blicken lassen. Das war ein Hotel „for Serbs only“.

Die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo unter den nächtlichen Angriffen der NATO-Flugzeuge in den Monaten März, April, Mai 1999 war eine der grausamsten Aktionen, die sich ein europäisches Volk seit dem Holocaust ausgedacht hatte. An die 850.000 Menschen wurden aus ihrem Land, die übrigen aus ihren Dörfern in die umliegenden Wälder verbracht.

Bis heute haben die serbische Nation und die serbische öffentliche Meinung nicht annähernd das aufgearbeitet, was da in ihrem Namen geschehen ist. Die serbische öffentliche Meinung ist bis heute unverändert davon bestimmt, dass das alles den Albanern zu Recht geschah, denn sie hatten sich ja gegen das serbische Regime gewehrt. Deshalb kann die Nation, die dort die Apartheid durchführte, weiter darauf beharren, den „status quo ante“ (also den Zustand entweder vor dem NATO-Krieg oder zumindest den unter Tito) dort wieder einzuführen. Das wäre niemals mehr möglich, denn die Albaner im Kosovo würden sich so etwas ja nicht mehr gefallen lassen.

Für die politische Einordnung der Unabhängigkeitsfrage sind diese Daten der zeitgeschichtlichen Vergangenheit von entscheidender Bedeutung. Die Deutschen können das sehr gut einschätzen: Es war seit der Potsdamer Konferenz klar, dass es für Deutschland keine Rückkehr zu den Grenzen von 1937 geben wird. Auch wenn es noch eine geraume Zeit dauerte, bis das völkerrechtlich unter Dach und Fach war, so war es für die Deutschen klar: Nach unserem misslungenen Versuch, gleich zwei Völker auszurotten, die Juden und dann noch die Polen, gab es keine Begründung mehr für die Rückkehr zu den Grenzen Deutschlands von 1937.

Allerdings hat man es den Serben nicht klargemacht, dass es nach dem genozidalen Versuch, alle Albaner aus der Provinz zu vertreiben, in der sie die 90 Prozent-Mehrheit hatten und haben, nicht mehr möglich ist, den Anspruch auf den Kosovo aufrechtzuerhalten. Nicht mal mehr in einer titoistischen Form, das heißt in dem Monstrum, in dem der Kosovo eine jugoslawische Teilrepublik wie Kroatien oder Serbien war und zugleich ein bisschen weniger.

„UNMIKistan“

Die UNO hat schlechte Arbeit geleistet im Kosovo. Man kann das umso leichter sagen, als man das System UNO damit meint, nicht die UNO-Mitarbeiter. Das System erlebte seine schlimmstmögliche Wendung und darf eigentlich so nie wieder auftreten:

  1. Die UNO ist nie dazu verpflichtet, einen Erfolg zu haben; sie macht ihre höchstdotierte Arbeit immer dann am liebsten, wenn sie keine Lieferbedingungen und keine Produktions- und Herstellungsdaten kennt. Am liebsten ist der UNO ein Einsatz in die Ewigkeit.

  2. Die Mentalität der UNO-Mitarbeiter geht darauf hinaus, die Albaner in ihrem Lande alle für unzuverlässig und unfähig zur eigenen Regierung zu halten. Man tut Einiges dazu, diesen Eindruck zu untermauern. Man setzt eine Parallelregierung ein, die nichts zu sagen hat, außer dass sie ihrer Neigung zur Korruption nachgeben kann.

  3. Die UNO hat in diesem winzigen Kosovo Vertreter aus 51 Nationen stationiert gehabt. Darunter waren Bürgermeister und Polizisten aus afrikanischen Ländern, die selbst nicht in der Lage sind, einen Rechtsstaat aufzubauen.

  4. Es gab das Versprechen der UNMIK 1999, die Energie und Wasserversorgung der Bewohner des Kosovo nach europäischem Standard zu sichern. Dafür wurden mehr als eine Milliarde Dollar bereitgestellt. Als ich jetzt 2007 im August wieder im Kosovo war, erlebte ich eine Gesellschaft, deren Energiebudget rationiert ist: Vier Stunden gibt es Strom, dann wieder zwei Stunden Dunkelheit.

  5. Die Gesellschaft wurde trotz riesiger und höchstdotierter Bataillone der OSZE und anderer UNO-Töchter nicht für die demokratischen Regelmechanismen vorbereitet. Das, was die internationale Gemeinschaft immer schafft, sind formale Wahlen. Dass aber formale Wahlen ohne Parteien, die der Grundstock zur Demokratie sind, keinen Sinn ergeben, dürfte einleuchten. Die Parteien im Kosovo sind von einer Person geführte Honoratiorenvereine, die nichts von innerparteilicher Demokratie, nichts von der Wahl von Kandidaten, nichts von jährlichen Parteikongressen wissen.

Die internationale Völkergemeinschaft hat sich mit großer Wucht und Verve für die zurückkehrenden Menschen im Kosovo eingesetzt. Der Kosovo wurde von Anfang an nicht so besetzt und eingerichtet, wie es die UNO-Resolution 1244 vorschrieb. Weder haben die starken KFOR-Streitkräfte der UNO den Kosovo in seiner integralen Form ganz besetzt, noch wurden die Regeln der international eingesetzten Interimsregierung für den Kosovo (UNMIK) in allen Teilen des Landes befolgt. So blieben die französischen Blauhelm-KFOR-Truppen, ganz sicher nach internationaler Übereinkunft, kurz vor der Eroberung und der Einnahme von ganz Mitrovica stehen. Sie haben den Teil des Nordwestens jenseits des Flusses, der Mitrovica in den albanischen und den serbischen Sektor teilt, nicht besetzt. So lautete aber der internationale Auftrag.

Sodann: In den ausgegrenzten Enklaven, in denen immer weniger Serben wohnten, hielten sich die Bewohner an keine Verkehrs- und Verhaltensregel, die von Prištinas UNMIK-Regierung eingeführt wurde. Die Autokennzeichen und Plate-numbers wurden von den Serben in den Enklaven nicht anerkannt, auch nicht die Curricula in den Schulen. In manchen Serben-Enklaven wurden die Lehrer weiter von Belgrad bezahlt.

Wirtschaft

Sie ist so lange eine Katastrophe, als der Status nicht gesichert und klar ist. Der weltberühmte Amselfelder Wein, der im Original aus dem Kosovo (aus der Gegend von Orahovac) kommt wie auch andere Weine, durfte nie mit dem Label „Made in Kosovo“, sie mussten immer mit dem Label „Made in Republic of Jugoslavia“ verkauft werden.

Der Kosovo könnte sich allenfalls für den Balkan-Raum eine Spezialisierung in einer der Hochtechnologien zulegen. Die Wirtschaft würde bei diesen sehr fleißigen Menschen einen gehörigen Schwung bekommen, aber sie brauchen dazu den sicheren Status.

Das Land lebt im Moment total von internationalen Subventionen. Einzig der Status könnte die Eigenaktivität der Albaner im Kosovo wie der großen Diaspora in Deutschland, Österreich und der Schweiz herausfordern.

Es gibt bei den beiden Regierungen, der UNMIK-Regierung und der kosovarischen Parallelregierung, keine erkennbare Wirtschafts- oder Finanzpolitik. Deshalb sind viele Investitionen im Lande von Diaspora-Kosovaren völlig daneben gegangen und werden sich in den nächsten Jahren rächen. Es gibt viel zu viele Tankstellen im Lande. Es gibt auch zu viele Supermärkte und Restaurants im Lande. Es wird im Kosovo buchstäblich nichts produziert. Aller Handel, aller Export und Import gilt dem Konsum.

Wir haben immer gespottet: Der Kosovo ist das Land mit der weltweit höchsten Dichte von bereitstehenden und funktionierenden Tankstellen!

Die Albaner haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht

Bis zum 10. Dezember 2007 laufen die berühmten 120 Tage: Dann sollen die drei neuen Mediatoren der Kontaktgruppe eine Lösung für den Kosovo gefunden haben. Nach der schnöden Absage an den guten Martti-Athisaari-Plan hat die internationale Gemeinschaft eine neue Troika von Vermittlern gebildet: ein US-Amerikaner, ein Russe und ein Deutscher, der Diplomat Wolfgang Ischinger. Bis zum 10. Dezember 2007 sollten die drei fertig werden. Die UNMIK beginnt, ihren viel zu großen Apparat abzubauen. Nichts ist für den Fall vorbereitet, dass die drei Vermittler bei anhaltender Drohung mit einem Nein Russlands und einem Nein der Chinesen zu keinem Ergebnis kommen.

Was war so gut am Athisaari-Plan? Es war ein echter Kompromiss. Für die bedingte Unabhängigkeit, die zum Beispiel keine eigene Kosovo-Armee vorsah, wurden die serbische Minderheit und die serbisch-orthodoxe Kirche innerhalb der souveränen Republik Kosovo mit Rechten und Privilegien ausgestattet, die es in dieser detaillierten Stärke und Dichte in der modernen europäischen Geschichte noch nie gegeben hat.

Die Kosovaren müssen der internationalen Gemeinschaft ihre Hymne, ihre Flagge und ihre Geschichtsauffassung im Curriculum der Schulen liefern. Ohne diese Voraussetzungen wird die internationale Gemeinschaft die Sorge haben, das kleine Land würde sich an Albanien anschließen und die Gebiete mit großer albanischer Bevölkerungsmehrheit in Mazedonien um Tetova mitreißen.

Was ist positiv festzuhalten:

Der Kosovo ist ein Land des friedlichen Miteinanders von Religionen. Die Christen und die Muslime leben unter einem nationalen Dach sehr gut miteinander.

Der Nachholbedarf besteht in Bildungseinrichtungen. Die Universitäten sind schlecht. Aber zumindest hat der Kosovo jetzt zum erstenmal ein großes Elite-Gymnasium. Dieses Elite-Gymnasium ist bereits fertiggestellt und wird mittel- und langfristig die hervorragendste Arbeit leisten. Das Loyola-Gymnasium – das in der Hauptsache von Renovabis finanziert worden ist – gilt jetzt schon als ein pädagogischer Triumph und eine Erstmaligkeit in der Ausbildung einer Kosovo-Elite. Den Jesuiten unter der Leitung von Pater Walter Happel gebührt hier wirklich ein großes Lob. Das Gymnasium sieht wie das Versprechen auf eine zukünftige Entwicklungspolitik aus, die sich ebenfalls auf wenige große wichtige Objekte konzentriert und die Gießkanne ganz weglässt. An dem Gymnasium werden 500 Schülerinnen und Schüler ausgebildet, darunter 140 Kandidaten aus dem ganzen Lande, die also dort wohnen können.

Die europäische Perspektive ist eindeutig und klar: Es geht um die Assoziierung und die Aufnahme nach Europa. Alles, was mit der tragischen Aufspaltung des alten Jugoslawien zusammenhing, wird ja unter anderer Voraussetzung dann in die Scheunen und Scheuern der Europäischen Union gefahren.


Fußnoten:


  1. „DIE ZEIT“, 20.09.2007, S. 10. ↩︎

  2. Die Ashkali sind eine eigenständige Volksgruppe unbekannter Herkunft, die oft den Roma zugeordnet wird. Einer unsicheren Überlieferung zufolge handelt es sich um nordafrikanische Nachkommen des Heeres Alexanders des Großen, woraus sich auch die Selbstbezeichnung „Egÿyptian“ („Ägypter“) ableitet (Anm. d. Redaktion). ↩︎