Die Serbische Orthodoxe Kirche und die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo
Der heilige Synod der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) hat am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo als Gewaltakt gegen die Gerechtigkeit verurteilt. Ein international anerkanntes Recht Serbiens auf die Provinz sei damit verletzt, ein für die serbische kulturelle, geschichtliche und spirituelle Identität bedeutendes Land gehe für Serbien verloren. Der verständliche Schmerz über diesen Verlust hat die serbische Kirchenführung aber auch zu fragwürdigen Vergleichen geführt und alte Stereotypen und Feindbilder implizit geweckt.
Auf der Sitzung vom 19. Februar 2008 verurteilten die versammelten Bischöfe die Länder, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben. Unter Bezugnahme auf das Wort aus dem Hebräerbrief „Wen der Herr liebt, den züchtigt er“ (Hebr 12,6) deuten die Bischöfe die so entstandene politische Situation als Strafe Gottes für die Serben und zugleich als ein Zeichen der Liebe Gottes zu diesem Volk. Die Zuversicht auf „Wiederherstellung der Gerechtigkeit im Kosovo“ bekräftigen sie mit dem Hinweis auf die Unterstützung durch Russland, China und andere Länder. Dieses Vokabular erinnert an die neunziger Jahre, als das Land isoliert war und verschiedene Freunde stilisiert wurden. Die Behandlung der Serben in den heutigen politischen Prozessen wurde wie schon früher mit fragwürdigen christologischen Vergleichen beschrieben, indem die Bischöfe davon sprechen, dass das serbische Volk „Bespeiung, Geißelungen und Kreuz“ zu erdulden habe.
Am 21. Februar 2008 wurde in der Kirche des Hl. Sava in Belgrad erneut für das serbische Volk auf dem Kosovo gebetet. In seiner Ansprache betonte der Metropolit von Montenegro Amfilohije (Radović), dass das Kosovo für die Serben keine geographische Bedeutung habe, sondern sinnstiftend sei. Sehr emotional betonte er, Kosovo sei „unser Augapfel, unser Herz, unser Jerusalem“, sodass die Serben weder in diesem noch im himmlischen Leben darauf verzichten können. Jetzt sollen die Serben aufrecht vor Gott stehen und, wenn es nötig sei, für die Freiheit Kosovos sterben. Es bleibt dem Bischof vorbehalten, den Widerspruch aufzuklären, wenn er anschließend die Gläubigen aufrief, würdig und gewaltlos nach Hause zu gehen.
Dieser Missbrauch der orthodoxen Religion zu nationalen Zwecken bestätigt alle Vorurteile, wonach die Kirche seit den frühen achtziger Jahren ein Teil des Problems in den jüngsten Jugoslawienkriegen war. Ein antimodernes, nationales Denkmuster mag eine Folge der jahrzehntelangen Isolation der Kirche in der kommunistischen Zeit sein, doch scheint eine Umorientierung oder ein Generationswechsel nötig. In einem offenen Dialog sollte über die Verantwortung der Serben diskutiert werden. Auch manche kirchliche Würdenträger sollten sich fragen, inwieweit sie zum ethnischen Hass und zum intoleranten gesellschaftlichen Klima beigetragen haben. Erst durch die mentale Vorbereitung, an der auch ein Teil der kirchlichen Führer teilgenommen hat, sind die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit auf dem Balkan möglich geworden. Diese Verstrickung hat letztlich auch zum Verlust des Kosovo beigetragen.
Die Identitätskrise der Serben ist ohne europäische Solidarität nicht zu überwinden. Nur im „europäischen Haus“ kann sich die Identität der Serben richtig entfalten. Hilfreich für die europäische Integration ist die ethnische Vielfalt des Landes und die historische Erfahrung jahrhundertelangen friedlichen Zusammenlebens. Das serbische kulturelle Erbe im Kosovo wird hoffentlich auch unabhängig vom Namen des Staates wie bisher existieren. Und wenn die westlichen Schutzmächte die serbischen Klöster im Kosovo besser schützen als bisher, werden sie nach wie vor die spirituelle Identität der Gläubigen stärken. Die jetzige Identitätskrise kann nur in Gemeinschaft mit dem restlichen Europa als Chance genutzt werden.