Serbische Literatur heute – Weltliteratur aus Serbien
Als Aleksandar Tišma, einer der größten serbischen Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gestorben war, schrieb Ilma Rakusa, dass der Autor der Romane Der Gebrauch des Menschen und Das Buch Blam die Weltliteratur, die aus Serbien kommt, verkörpert. Und tatsächlich: Die Literatur von Tišma hat während der achtziger und neunziger Jahre in den meisten europäischen Sprachen die Rezeption bei Publikum und Literaturkritik erlebt, die sie gleichzeitig und auch schon Jahrzehnte vorher in serbischer Sprache erlebt hat.
Ein Autor wurde als großartige Stimme der zeitgenössischen serbischen Literatur, aber auch als natürlicher Bestandteil der modernen europäischen Literatur erkannt. Und große Autoren sind der entscheidende Grund zu glauben, dass die Weltliteratur trotz all der wertvollen Unterschiede eine Einheit darstellt. In den Büchern dieser Autoren entsteht zunächst ein Dialog, dann auch zwischen ihren Büchern und den Lesern, die aus verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen stammen und über verschiedene historische Erfahrungen verfügen. Das ist wichtig hinsichtlich der Themen, mit denen sich eine Literatur befasst, und auch, wenn es um ihr Verständnis geht. Durch all das entsteht eine neue Tradition, die Tradition sowohl der europäischen Literatur als auch der Weltliteratur als gemeinsames Erbe und als konkrete gemeinsame Erfahrung.
Fokussiert auf das große Thema der Gewalt als Ausdruck der inneren Natur des Menschen und als Ausdruck der Geschichte, in der der Mensch lebt, hat die Literatur Aleksandar Tišmas einer großen Erzählung des Leidens und der Lager Gestalt gegeben, jener Geschichte, der der europäische Mensch des 20. Jahrhunderts so existentiell und vernichtend gegenüber stand. Bei dieser Gegenüberstellung hilft ihm die suggestive Prosa Tišmas, die unbarmherzig sowohl die Natur des Menschen als auch die Natur der Geschichte demaskiert. Ohne ethische Korrektive und ohne oberflächlichen anthropologischen Optimismus zeigt sich Tišmas Prosa als außerordentlich wichtiges literarisches Zeugnis einer Zeit; sie gehört somit zur serbischen wie auch zur europäischen Tradition der Begegnung zwischen der besten Literatur und der verheerendsten Geschichte im 20. Jahrhundert.
Diese Begegnung ist nach den Worten von Danilo Kiš, eines weiteren Autors der Weltliteratur aus Serbien, charakteristisch geformt als „der bittere Bodensatz der Erfahrung“. Die Werke von Kiš befinden sich auf der poetologischen Grenze zwischen Hochmoderne und Postmoderne. In seinen Büchern aus der zweiten Hälfte der sechziger und der ersten Hälfte der siebziger Jahre ist er dem modernen Paradigma näher; nach dem novellistischen Buch Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch (1976) und nach dem polemisch-poetischen Werk Anatomiestunde (1978) führt er die serbische Literatur in die Zone der Postmoderne. In seinen Erzählungen und Romanen schrieb Danilo Kiš die Kapitel einer „gemeinsamen Geschichte“, in der die tragische Erfahrung des 20. Jahrhunderts, die von Lagern, historischer Gewalt, bewegten Leiden, unbarmherzigen Verfolgungen und schwersten moralischen Zweifeln geprägt ist, zum zentralen thematischen Faden wird. Die Themen seiner Literatur sind immer Bestandteil einer tief durchlebten Erfahrung und thematisieren meistens Fragen der Ethik und der Poetik (eines seiner essayistischen Bücher heißt sogar PoEthik); sie zeichnen sich stets durch herausragenden Stil und selbstbewusste Poetik aus.
Die Logik der historischen Erfahrung, angefangen vom Drama der beiden Weltkriege über die autoritäre kommunistische Gesellschaftsordnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zu den Kriegen um das jugoslawische Erbe, die im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts gewütet haben, machte aus der Geschichte eine der Schlüsselfragen der modernen serbischen Literatur. Das ist jedoch in der Regel keine abstrakte Geschichte oder die Geschichte einer längst verschwundenen Vergangenheit, sondern die gerade beendete, immer noch brodelnde Geschichte. Die serbische Literatur hat nicht viel Glück mit dem historischen Roman in seiner reinen Form, mit jener Gattung, die sich auf historische Forschung sowie auf zuverlässige Darstellung der zugänglichen historischen Tatsachen gründet. Doch die Geschichte als provokantes Thema zeigt sich – in sehr verschiedenen literarischen Ausführungen, vom realistischen Erzählen über die modernen Begegnungen mit der Geschichte bis hin zur postmodernen historiographischen Metafiktion – als herausragender Bereich der thematischen Übereinstimmung der zeitgenössischen serbischen Literatur.
Das ist in der Literatur der wichtigsten serbischen Autoren früherer Zeiten ebenso sichtbar wie bei den modernen Klassikern der serbischen Literatur: vom Nobelpreisträger Ivo Andrić und Miloš Crnjanski, Meša Selimović und Vladan Desnica, Danilo Kiš und Borislav Pekić bis zu Miodrag Bulatović und Aleksandar Tišma. Die Neigung zum Historischen und zur Chronik sind wichtige Eigenschaften der serbischen Literatur in ihrer gesamten Geschichte und in der Gegenwart. Es ist unumstritten, dass diese Merkmale bei Autoren verschiedener Epochen und verschiedener Poetiken vorzufinden sind, auch in verschiedenen Gattungen, wobei die Unterschiede schon wegen der Natur einer jeden Gattung selbstverständlich sind. Das Historische ist freilich am stärksten in der Prosa vorhanden, und zwar im Roman mehr als in den Erzählungen, aber es ist auch in der Lyrik und im Drama deutlich erkennbar.
Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts war die serbische Literatur ebenso wie andere europäische Literaturen, vor allem in so genannten kleinen Sprachen, von der Erfahrung der historischen Verspätung gekennzeichnet. Die neuen poetologischen Erfahrungen, manchmal auch neue Themen, wurden im Vergleich zu anderen europäischen Literaturen mit mehr oder weniger großer Verzögerung in die serbische Literatur eingeführt. In den zwanziger Jahren stellte sich die poetische Erfahrung der ersten Moderne, dann eine ganze Reihe der modernen und avantgardistischen Stilrichtungen sowie das große Thema des Zusammenbruchs des europäischen Aufklärungsprojektes, das auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs endete, beinah gleichzeitig mit führenden europäischen Literaturen jener Zeit ein.
Einmal erobert, blieb dieser Horizont dauerhaftes Erbe der modernen serbischen Literatur. Es war natürlich vor allem in der Mitte des 20. Jahrhunderts in der Zeit des ideologisch verpflichtenden Konzepts des „Sozialistischen Realismus“ auf die Probe gestellt, aber es wurde nie vollständig verdrängt. Die wichtigsten Romane von Ivo Andrić, die im okkupierten Belgrad im Zweiten Weltkrieg entstanden sind und direkt nach der Kriegsende veröffentlicht wurden, bilden eine der wichtigsten Grundlagen für die literarische Modernität in serbischer Sprache. In der Poesie fand die moderne Erneuerung bereits Anfang der fünfziger Jahre statt, in den ersten Büchern von Vasko Popa und Miodrag Pavlović sowie in der Lyrik von Stevan Raičković.
Die Hochmoderne der fünfziger und der ersten Hälfte der sechziger Jahre in der serbischen Prosa und Lyrik, die realistische Erzählart (in der serbischen Kritik als „Wirklichkeitsprosa“ bekannt), der soziale Verismus und die neuavantgardistische Erforschung in der Poesie der siebziger Jahre bis zur Postmoderne in der Poesie und Prosa der achtziger Jahre stellen den historisch-poetologischen Rahmen dar, in dem die zeitgenössische serbische Literatur entsteht. Ein Blick auf die Geschichte der serbischen Literatur zeigt, dass sich neue poetologische Erfahrungen gewöhnlich in zehnjährigen Wellen geformt haben, wonach es zur Entstehung neuer Paradigmen kam, nachdem die notwendige literarisch-kritische Neubewertung durchgeführt wurde.
„Um die Vorherrschaft einer Poetik zu kämpfen, ist wie um die Vorherrschaft einer Jahreszeit zu kämpfen“, sagt Ivo Andrić in einer der Notizen in seiner meditativen Prosa Zeichen am Wegesrand. So ist es: Eine Poetik löste die andere ab, manchmal bestritt eine die andere, manchmal waren sie voneinander durchdrungen oder die eine lebte in der anderen fort. Doch wichtiger als das sind zwei Tatsachen. Die erste Tatsache erklärt uns, wie all das zum Ausdrucksreichtum und der poetologischen Vielfalt der modernen serbischen Literatur beigetragen hat. Die zweite Tatsache zeigt, dass sich diese poetologischen Veränderungen gleichzeitig mit jenen im europäischen und weltliterarischen Kontext abgespielt haben. Aus diesem Blickwinkel zeigte sich die serbische Literatur in ihrer modernen Zeit und in ihrem zeitgenössischen Moment im Einklang mit Formen, Themen, Ausdrücken und Erkenntnissen der modernen Weltliteratur.
Noch eine wichtige Eigenschaft der serbischen Literatur steht in enger Verbindung mit der erwähnten Neigung zum Historischen. Das ist die Frage der gesellschaftlichen Funktion der Literatur, die vor allem in der Zeit des „real existierenden Sozialismus“ präsent war. In diesen Staaten glaubte man, die Literatur sei wichtig für die Legitimierung der gesellschaftlichen Ordnung, weshalb sie ständig kontrolliert und nötigenfalls auch bestraft wurde, wenn sie die Grenzen der ideologischen Toleranz überschritt. Andererseits wurde die Literatur eben wegen dieser Position seitens der Öffentlichkeit als die einzig mögliche Stimme erlebt, die über die gesellschaftlichen Einschränkungen redete, als legale Möglichkeit der Überprüfung der ideologischen Tabuthemen und der politischen und gesellschaftlichen Zwänge.
Eine derartige Position forderte gleichzeitig von der Literatur bestimmte, manchmal auch sehr ernsthafte Opfer und zwang ihr eine soziale Verantwortung auf, die zum Beispiel die Literatur im Westen Europas seit langer Zeit nicht mehr hat, da derartige Verantwortung im Zuständigkeitsbereich anderer Institutionen und anderer Mediendiskurse liegt. Wegen dieser Position mit ihrer doppelten Rolle hatte die Literatur im Osten Europas auch einen größeren öffentlichen Wirkungsraum; sie war nicht nur die private Angelegenheit von Schriftstellern und interessierten Lesern, sondern sie hatte eine klare gesellschaftliche Dimension und Funktion. Dieser Zustand dauerte bis zum Fall der Berliner Mauer. Der symbolische Augenblick der Zerstörung der autoritären kommunistischen Gesellschaften bezeichnete auch den Augenblick des Verschwindens der gesellschaftlichen Funktion der Literatur. Damit verschwanden die Zwänge, die die historischen Gegebenheiten und die gesellschaftlichen Umstände der Literatur auferlegten, aber es verschwand auch jenes erhöhte Interesse der Öffentlichkeit, das in den literarischen Formen die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses zu erkennen suchte.
Nach dem Verlust ihrer gesellschaftlichen Funktion fand sich die zeitgenössische serbische Literatur in der Position eines plötzlich verkleinerten Interesses von Öffentlichkeit und Medien wieder. Sie wurde dem wirklichen Interesse der Leser überlassen, ohne jedwede Möglichkeit, ein gesellschaftliches Korrektiv zu sein. Bezüglich ihres öffentlichen Status befindet sich also die zeitgenössische serbische Literatur in derselben Position wie jede andere europäische Literatur. Einerseits wurden die Schriftsteller mit dem Markt konfrontiert, andererseits verlangt dieser Markt von der Literatur wie auch von den anderen Kommunikationsformen eine endlose Unterhaltung. Aber das ist die große Herausforderung, die die serbische Literatur mit anderen europäischen Literaturen teilt.
Außer einer derartigen Stellung in der Öffentlichkeit teilt die zeitgenössische serbische Literatur mit anderen europäischen Literaturen auch das Verhältnis im Gattungssystem des literarischen Schaffens. Die zeitgenössische serbische Literatur ist zwar in vieler Hinsicht vielfältig, aber im Bereich der Gattungen steht der Roman in ihrem Zentrum. Der Roman ist die wichtigste Form der zeitgenössischen serbischen Literatur, was an der Rezeption durch die Leser und durch die Literaturkritik, aber auch an der Anzahl der Romane, die jährlich in serbischer Sprache geschrieben werden, sichtbar wird. Seit zwanzig Jahren werden jährlich zwischen 100 und 150 Romane geschrieben, was bedeutend mehr ist als die Zahl der Romane, die früher in ganzen Epochen veröffentlicht wurden, etwa zwischen den beiden Weltkriegen. Als Ausdruck des bürgerlichen Zeitalters und seiner technischen Standards und Bedürfnisse ist der Roman seiner Struktur nach demokratisch offen. Er ist eine ungewöhnlich demokratische Form, auch daran sichtbar, wer ihn alles schreibt. Mit dem Roman beschäftigen sich nicht nur professionelle Schriftsteller, sondern auch all diejenigen, die glauben, dass man mit Hilfe der Literatur immer noch etwas Wichtiges sagen kann: Wissenschaftler und Journalisten, Medienstars und sogar Politiker. Es ist charakteristisch, dass in den letzen 15 Jahren viele Lyriker begonnen haben, Romane zu schreiben; einige von ihnen haben sich dieser Gattung ganz gewidmet.
Eine der vitalsten und wichtigsten Gattungen in der Vergangenheit wie auch heute ist traditionell die Erzählung, von der Kurzgeschichte bis zur Novelle. Obwohl sie in der Öffentlichkeit weniger präsent ist und sicher weniger als der Roman geschrieben wird, bleibt die Erzählung eine hochgeschätzte Gattung.
Hingegen wird das Drama in der serbischen Sprache in der Regel vor allem als Vorlage für das Theater erlebt und nur sehr selten als natürlicher Bestandteil der Literatur. Obwohl es in der Geschichte der serbischen Literatur nicht allzu viele große Dramenautoren gibt, sind doch einige von ihnen ausgesprochen bedeutungsvoll: vom klassizistischen Autor Jovan Sterija Popović aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über den Komödienautor Branislav Nušić aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zu unseren Zeitgenossen wie Ljubomir Simović, Vida Ognjenović oder Dušan Kovačević.
Obwohl die Lyrik bis in die jüngste Zeit der Schwerpunkt der poetologischen und thematischen Entwicklung der serbischen Literatur war, herrschte gegenüber der zeitgenössischen serbischen Lyrik trotz ihrer unzweifelhaften Werte in der breiteren Öffentlichkeit geradezu Gleichgültigkeit. Auch die Literaturkritik schreibt viel weniger über die Lyrik als über den Roman oder die Erzählung – auch das teilt die serbische Literatur mit anderen Literaturen. Einen ähnlichen Status innerhalb des literarischen Gattungssystems haben auch Essay, Literaturkritik, Literaturgeschichte oder die Literaturtheorie inne.
Die poetologische Szene der zeitgenössischen serbischen Literatur ist merkbar vielgestaltiger, wenn man will: ungewisser und damit auch spannender. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis Anfang der neunziger Jahre konnte man in der serbischen Literatur sehr leicht den Wechsel der dominanten Poetiken verfolgen. In den fünfziger Jahren handelt es sich um die Spätmoderne, in den Sechzigern um eine Art von Moderne namens Neosymbolismus, in den Siebzigern entsteht die „Wirklichkeitsprosa“ und in der Poesie der soziale Verismus, die achtziger Jahre gehören sowohl in der Lyrik als auch in der Prosa der Postmoderne. Aber seit den neunziger Jahren bis heute hat man den Eindruck, dass alle denkbaren Poetiken der modernen Literatur nebeneinander existieren, bisweilen mit einem polemischen Abstand, aber meist in einer Form von Koexistenz und ausgeprägter Toleranz.
Präsent ist freilich auch weiterhin die Postmoderne, vor allem in der Form der historiographischen Metafunktion, wobei natürlich der Einfluss der Postmoderne nicht annähernd so sichtbar ist wie in den achtziger Jahren oder wenige Jahre später. Auch die modernisierte realistische Erzählweise, der psychologische Realismus, die Moderne nach der Moderne, die reine Lyrik und der Verismus, der kritische und der magische Verismus, das Metadrama oder das politische Drama – all diese Poetiken sind präsent, aber keine ist dominant. Wenn wir einige der besten Bücher aus dieser Periode näher betrachten, sehen wir, dass die poetologischen Unterschiede zwischen ihnen riesig sind. Es genügt schon, die Gedichtbände von Ivan V. Lalić mit jenen von Vojislav Karanović oder Vladimir Kopicl zu vergleichen, die Romane von Radislav Petković mit den Romanen von Srdjan Valjarević, die Erzählungen von Mihajlo Pantić mit Erzählungen von Jovica Aćin, die Dramen von Dušan Kovačević mit den Dramen von Milena Marković. In der Literaturkritik wurde kein Rahmenkonsens hergestellt, um eine eventuelle Hierarchie bezüglich der Aussagekraft und Präsenz der einzelnen Poetiken festzulegen. Ein derartiger Konsens ist gar nicht möglich, denn die literarische Wirklichkeit dementiert ihn überzeugender als jedes Argument. Die Unterschiede sind einfach da. Sie weisen die Dynamik, die Mannigfaltigkeit und den poetischen, morphologischen, thematischen und den Bewusstseinsreichtum der zeitgenössischen serbischen Literatur auf.
Wenn wir über die zeitgenössische serbische Prosa sprechen, sehen wir, dass die historiographische Metafiktion, die vor allem in den Romanen und Erzählungen von Borislav Pekić ein besonders hohes Niveau erreicht hat, sehr präsent ist. Die Erforschung der literarischen Form – charakteristisch für die serbische Prosa nach 1980 – hat hingegen an Anziehungskraft verloren. Man könnte sogar sagen, dass die Rückkehr zur Erzählung einer der offensichtlichsten Trends in der zeitgenössischen serbischen Prosa ist, und zwar ungeachtet dessen, um was für eine Poetik es sich handelt. Das sieht man auch in der Tatsache, dass einige der wichtigsten Postmodernisten der achtziger Jahre in der neueren Zeit begonnen haben, ihre früheren poetologischen Erfahrungen mit realistisch begründeten Erzählungen zu verknüpfen. Das ist etwa charakteristisch für die neuen Erzählungen von Mihajlo Pantić oder für Erzählungen und Romane von Mileta Prodanović. Die wichtigsten Autoren der Postmoderne in der serbischen Literatur sind Milorad Pavić, vor allem mit dem Roman Das chasarische Wörterbuch und einigen seiner Erzählbände aus früheren Jahren, David Albahari, Autor einer Reihe hervorragender Erzählbände und Romane, die in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurden, Radoslav Petković, Erzähler und Romanautor, dessen Roman Schicksal und Anmerkungen einer der besten serbischen Romane der letzen Jahrzehnte ist, sowie Svetislav Basara, Goran Petrović oder Vladimir Tasić. Die herausragenden Schriftsteller der realistischen Prosa sind Dragoslav Mihajlović, Danilo Nikolić und Miroslav Josić Višnjić. Moderne Prosa, in der Erfahrungen einiger Poetiken kombiniert werden, vor allem die Erfahrung der modernisierten realistischen Erzählweise und der Postmoderne, schreiben Svetlana Velmar-Janković, Vida Ognjenović, Mihajlo Pantić, Dragan Velikić, Vladislav Bajac und Veselin Marković.
In der zeitgenössischen serbischen Lyrik bestehen parallel die Postmoderne und das Echo der neoavantgardistischen Erfahrungen, die traditionell verstandene Lyrik und die Moderne, die reine Lyrik, die in der Geschichte der serbischen Literatur vital anwesend ist, und der soziale Verismus. Auf einer Seite befinden sich Erfahrungen der modernistischen Generation, die weiterhin in der zeitgenössischen Literatur präsent sind. Nach den modernen Klassikern, dem späten Modernisten Vasko Popa, dem Lyriker Stevan Raičković, dem Dichter des klassizistisch intonierten Opus Jovan Hristić und Ivan V. Lalić, der in der ersten Hälfte der neunziger Jahre eines der besten Bücher der serbischen Lyrik im 20. Jahrhundert veröffentlicht hat, Brief / Schrift, gibt es ferner den Modernisten Miodrag Pavlović, der weiterhin aktiv ist, obwohl seine wichtigsten Lyrikbände in einer früheren Epoche veröffentlicht wurden, sowie Borislav Radović, Ljubomir Simović und Matija Bećković. Die Lyrik von Miroslav Maksimović, Milosav Tešić, Slobodan Zubanović, Milan Djordjević oder Živorad Nedeljković entsteht im Zeichen der reinen Lyrik. Die Dichtungen von Milutin Petrović gestalten sich in der Begegnung zwischen den modernen Topoi und neoavantgardistischen Erfahrungen, die auch für die Lyrik von Vojislav Despotov und Vladimir Kopicl wichtig und anregend sind, zwei Dichter, die von den Neoavantgardisten in den achtziger Jahren zu Postmodernen wurden. Die Verse von Novica Tadić, einem der besten modernen serbischen Dichter, zeigen starke veristische Inspirationen, genau wie jene von Duško Novaković oder Nebojša Vasović. Die Poesie von Radmila Lazić stellt das herausragendste Beispiel für die Hinterfragung der feministischen Topoi und der weiblichen Subjektivität dar. Interessant ist die Position der Dichter, die ihre Stimmen in den neunziger Jahren geformt haben. Diese Dichter (Vojislav Karanović, Saša Radojčić, Dragan Jovanović Danilov, Saša Jelenković oder Laslo Blašković) sind in der Regel im Dialog mit modernen Erfahrungen der Lyrik, aber sie erweitern sie um neue poetologische und thematische Herausforderungen.
Die Dramen von Dušan Kovačević sind von einer starken komödiographischen Inspiration und reichen Ironie gekennzeichnet, die konfrontiert werden mit den Fragen der Charaktere und Mentalitäten, der Gesellschaft und der Politik, des Dramas als Form und des Theaters als Medium. Die Dramen von Ljubomir Simović und Vida Ognjenović produzieren ausgeprochene Formen des Metatheaters. Die neue Generation der Dramenautoren (Biljana Srbljanović, Milena Marković und Uglješa Šajtinac) widmet sich der Begegnung mit den traumatischen Erfahrungen der zeitgenössischen Geschichte und des historisierten Alltags.
Ausgezeichnete essayistische Bücher haben Sreten Marić und Miodrag Pavlović, Danilo Kiš und Borislav Pekić geschrieben. Neben den Essaybänden von Jovan Hristić (Über die Tragödie, Mathematikprofessor und andere Essays, Terrasse über zwei Meere) haben in der serbischen Literatur die Essays von Ljubomir Simović (Der doppelte Boden), Borislav Radović (Über Dichter und Poesie), Vida Ognjenović (Entgegen der Prophezeiung), Jovica Aćin (Zeichenlesen aus der Asche) und Radoslav Petković (Über Michaelangelo sprechend und Das byzantinische Internet) besondere Bedeutung.
Neben einigen Mannschafts- oder individuellen Sportarten sowie einigen Werken aus anderen Künsten ist die Literatur das beste Produkt, das momentan in Serbien entsteht. Denn was ist von dem, was derzeit in Serbien entsteht, besser als Romane von Svetlana Velmar-Janković oder Vida Ognjenović, David Albahari oder Radislav Petković, als Erzählungen von David Albahari oder Mihajlo Pantić, als Gedichte von Ljubomir Simović oder Borislav Radović, Novica Tadić oder Duško Novaković, oder als Dramen von Dušan Kovačević? Diese Schriftsteller stellen die Weltliteratur dar, die aus Serbien kommt, und sie gesellen sich zu den Werken früherer Autoren der Weltliteratur, die in serbischer Sprache entstanden sind.
Aus dem Serbischen von Thomas Bremer.