Die Republik Moldau vor dem Umschwung
Die Republik Moldau (offizielle Bezeichnung „Republica Moldova“, nicht zu verwechseln mit der rumänischen Region Moldau) liegt zwischen Rumänien und der Ukraine und umfasst 33.700 km² mit ca. 3,6 Millionen Einwohnern (gegliedert in 32 Bezirke und das autonome Gebiet der Gagausen; 78 Prozent der Bevölkerung sind rumänischstämmig, daneben Russen, Ukrainer und Gagausen, eine christianisierte türkische Volksgruppe). Hauptstadt (und größte Stadt) ist Chişinau (ca. 785.000 Einwohner). Politisch und wirtschaftlich ist das Land trotz vieler Reformansätze in den neunziger Jahre recht instabil, was u. a. zur Massenabwanderung junger Arbeitssuchender ins westliche Ausland geführt hat. Zu den wichtigsten Erzeugnissen gehören Obst, Gemüse, Wein und Tabak, die nach Russland und in andere Länder der GUS exportiert werden. – Bis 1940 gehörte die Region zu Rumänien, danach zur Sowjetunion. Bereits 1990 spaltete sich Transnistrien (Hauptstadt Tiraspol; Bevölkerung zu zwei Dritteln russisch und ukrainisch) ab; der Konflikt ist bis heute nicht gelöst.
Die im Südosten Europas zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Republik Moldau war von 1940 bis 1991 unter dem Namen „Sozialistische Moldavische Sowjetrepublik“ eine der 15 Republiken der UdSSR. Vor 1940 gehörte das heutige Territorium zwischen Prut und Dnjestr (rumänisch „Nistru“) zu Rumänien. Nach dem Zerfall der Sowjetunion tauchte es 1991 als eigenständiger Staat auf der Weltkarte auf, 1992 wurde es Mitglied der Vereinten Nationen und gehört seit 1993 auch der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) an.
Politische Strukturen
Staatssprache ist gemäß der Verfassung das Rumänische – nach einem 1994 verabschiedeten Beschluss des Parlaments, das damals mehrheitlich kommunistisch orientiert war, „Moldavisch“ genannt. Die Hauptstadt Chişinau mit (2008) ca. 785.100 Einwohnern liegt etwa 100 km von der rumänischen Grenze entfernt. Im Osten der Republik hat sich 1990 ein schmaler Streifen entlang des linken Dnjestr-Ufers zusammen mit einigen Ortschaften auf der rechten Flussseite zur „Unabhängigen Republik Transnistrien“ (ca. 560.000 Einwohner) mit der Hauptstadt Tiraspol ausgerufen, der jedoch bisher die internationale Anerkennung fehlt.
Seit 1999 ist die Republik Moldau eine parlamentarische Republik mit einem Parlament mit 101 Abgeordneten, die alle 4 Jahre über Parteilisten gewählt werden. Das Parlament wählt den Staatspräsidenten als Staatschef für 4 Jahre; der Präsident legt dem Parlament seinen Kandidatenvorschlag für das Amt des Premierministers (= Regierungschef) zur Genehmigung vor; der Premierminister wiederum lässt das von ihm zusammengestellte Regierungskabinett vom Parlament bestätigen. Im gegenwärtigen, am 6. März 2005 gewählten Parlament gehört eine Mehrheit von 55 Abgeordneten der Kommunistischen Partei (PCRM) an. Die alte kommunistische Partei war 1991 als verfassungsfeindlich verboten worden, sie wurde jedoch im November 1993 unter dem Namen „Partidul Comuniştilor din Republica Moldova“ wiederbelebt und kam bei den Wahlen 2001 an die Regierung.
Die parlamentarische Opposition repräsentieren vier politische Gruppierungen: das „Bündnis Moldova Noastra“ (AMN), die Demokratische Partei (PDM), die Christlich Demokratische Volkspartei (PPCD) und die Sozialliberale Partei (PSL) sowie einige parteiunabhängige Abgeordnete. Die politische Zersplitterung wird daran erkennbar, dass es noch weitere, nicht im Parlament vertretene Parteien gibt.
Am 4. April 2005 wurde der Vorsitzende der kommunistischen PCRM, Vladimir Voronin, mit den Stimmen der eigentlich der Opposition angehörenden Abgeordneten von PPCD, PDM und PSL im Widerspruch zu deren antikommunistischen Wahlversprechen zum zweiten Mal zum Staatspräsident gewählt. Dieses zugunsten der Kommunisten abgegebene Votum löste in der Wählerschaft große Enttäuschung aus und zog eine jahrelange politische Apathie nach sich. Die gegenwärtige Regierung gibt zwar vor, rein „technokratisch“ zu handeln, tatsächlich aber sind Premierminister und Kabinett überzeugte PCRM-Anhänger.
Rückblick auf die Zeit der Wende
Nach beinahe acht Jahren neokommunistischer Regierung befindet sich die Republik Moldau heute in einer akuten wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere die nichtkommunistische Wählerschaft, ist zutiefst frustriert, hatte doch das Land, bis es am 27. August 1991 unabhängig wurde, eine bereits 1988 mit Gorbatschows Perestroika einsetzende dramatische Phase nationaler Wiedergeburt durchlaufen, in der die fortschrittlichen Kreise der Gesellschaft in einer Volksfront die unter der Sowjetherrschaft verlorenen Rechte eingefordert hatten, in erster Linie das Recht auf den Gebrauch der eigenen (rumänischen) Muttersprache in Schulen, Rechtssystem, Gesundheitswesen, öffentlichem Dienst usw., das Recht auf Benutzung des lateinischen Alphabets anstelle des von den Sowjets verordneten kyrillischen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit und vieles andere mehr.
Obgleich sie sich dem massiven Widerstand seitens der Sowjetmacht ausgesetzt sahen, beteiligten sich Hunderttausende an den Protest- und Solidaritätskundgebungen; ein grenzenloser Enthusiasmus hatte die Aufständischen gepackt. Tatsächlich fasste die Legislative – der Oberste Sowjet, ab 1990 das Parlament –zahlreiche Entscheidungen von nationaler Bedeutung: Rumänisch als Staatssprache in lateinischer Schrift (1989), eine neue dreifarbige Flagge anstelle der sowjetischen rot-grünen (1990), eine neue Hymne (1991) sowie Beschlüsse hinsichtlich Demokratisierung und Entideologisierung von Unterricht und Kultur. Diese Erfolge beflügelten die Menschen. Ihre Erwartungen hinsichtlich der Durchsetzung demokratischer Reformen richteten sich auf das erste, 1990 demokratisch gewählte Parlament. Nur stammten leider die meisten Abgeordneten nicht aus den Reihen der demokratischen Volksfront, sondern aus politischen Formationen der ehemaligen Nomenklatur und sowjetischer Funktionäre und hatten sich vorgenommen, die Ausführung demokratischer Parlamentsbeschlüsse zu verschleppen und zu torpedieren. Dennoch kam es bis 1994 zur Verabschiedung und Umsetzung tiefgreifender demokratischer Reformen, u. a. im Rechtswesen, in der Verwaltung, in der Wirtschaft und im Bildungsbereich.
Selbstverständlich hofften die Menschen, dass sich mit den politischen Reformen und der Demokratisierung der sozialen Beziehungen auch ihre ökonomische Situation und ihr Lebensstandard verbessern würden. In dieser Hoffnung wurden sie jedoch getäuscht, weil einerseits die Vertreter der Marktwirtschaft aus Unkenntnis viele Fehler begingen, andererseits deren Gegner die entsprechenden Maßnahmen oft behinderten.
Auch die Lage in Transnistrien trägt zur Destabilisierung bei. Nach der von der Russischen Föderation 1990 unterstützten Ausrufung der Unabhängigen Republik verfolgte die Separatistenregierung eine derart isolationistische und destruktive Politik, dass sie sogar einen Bruderkrieg zwischen den Bewohnern des linken und des rechten Dnjestrufers provozierte, der sich über vier Monate hinzog. Der Konflikt ist bis heute nicht beigelegt, sodass die Region an der Grenze zur EU einen andauernden nicht nur regionalen, sondern auch europäischen Krisenherd sozialpolitischer und wirtschaftlicher Instabilität darstellt. Hier werden immer wieder Menschenrechte verletzt, wird Kindern moldavischer Herkunft Schulunterricht in rumänischer Sprache verwehrt und den Moldaviern aus den benachbarten Ortschaften untersagt, ihre Äcker und Felder zu bestellen, weil sich diese auf transnistrischem Gebiet befinden.
Die Krise der neunziger Jahre
So kam es zu einer langanhaltenden Stagnation des gesamten Wirtschaftsgeschehens, einer Krise mit galoppierender Inflation und rapider Verarmung eines Großteils der Bevölkerung. Für den „kleinen Mann“ war das derart enttäuschend, dass die Wahlen von 1994 eine parlamentarische Mehrheit für den Revanchisten-Flügel (frühere kommunistische Parteisekretäre, Kolchosenvorsitzende u. a., die sich in der Demokratischen Landwirtschaftspartei PDAM zusammengefunden hatten) erbrachten. Anstatt sich aber ernsthaft um die Probleme der Bevölkerung zu kümmern, setzte die PDAM alles daran, die Reformen der letzten Wahlperiode wieder rückgängig zu machen, vor allem die besonders sensiblen Bereiche wie Staatssprache, Hymne usw. In Reaktion darauf kam es zu heftigen Studentenunruhen, die von weiten Kreisen der Bevölkerung unterstützt wurden und dazu führten, dass bei den Wahlen von 1998 die Landwirtschaftspartei die 4-Prozent-Hürde ins Parlament nicht mehr schaffte und von der politischen Bühne verschwand. Gewinner war die „Allianz für Demokratie und Reformen“ (ADR), die eine proeuropäische Regierung mit einem jungen, energischen Premierminister, Ion Sturza, an der Spitze einsetzte. Doch dann gelang es den antieuropäisch orientierten Abgeordneten um die kommunistische Partei, ganze Gruppen aus der „Allianz“ zu sich hinüberzuziehen und so zu beeinflussen, dass 1999 ein Gesetz verabschiedet werden konnte, das aus der Präsidialrepublik eine parlamentarische Republik machte. Die antieuropäischen Kräfte erzwangen dann im November 1999 auch den Rücktritt von Premierminister Ion Sturza, wenige Tage bevor er nach Helsinki fahren und offiziell die Aufnahme der Republik Moldau in die EU und die NATO beantragen sollte. Die Chance auf eine Annäherung an die Europäische Union war damit verspielt.
Nach einem aggressiven Wahlkampf, in dem unrealistische wirtschaftliche und politische Versprechungen dominierten, errang die Kommunistische Partei bei den Wahlen 2001 „auf demokratische Weise“ die konstitutionelle Mehrheit im Parlament. Seither zielt die neokommunistische Offensive darauf ab, die Errungenschaften der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wieder rückgängig zu machen.
Schlaglichter zur gegenwärtigen Lage
Da die Regierung ihre Wahlversprechen – Lösung der drängendsten wirtschaftlichen Probleme durch Schaffung von Arbeitsplätzen, Förderung ausländischer Investitionen und Beendigung des Transnistrienkonflikts – nicht eingehalten hat, hat sich die ökonomische Lage der Bevölkerung seither weiter verschlechtert. Zugenommen haben Korruption und Arbeitslosigkeit, letztere vor allem bei Jugendlichen, die gezwungenermaßen (und häufiger illegal als legal) in anderen europäischen Ländern – Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern usw. – Arbeit suchen mussten. Zur Zeit beläuft sich die Zahl derer, die im Ausland arbeiten, auf etwa eine Million Menschen. Dieser Massenexodus von Arbeitskräften brachte große soziale Probleme mit sich: Entvölkerung der Dörfer, sinkende Geburtenraten, Kinder, die in der Obhut der Großeltern zurückgelassen wurden, Schulen ohne Lehrer, weil auch diese jetzt im Ausland ihr Geld verdienen, Menschenhandel – Mädchen zur sexuellen Ausbeutung, Jungen für den Organhandel. Unter derart schlechten Bedingungen müsste, da die Wirtschaft überhaupt nicht mehr funktioniert, eigentlich alles längst zusammengebrochen sein, aber paradoxerweise halten nun gerade die, die im Land keine Zukunft hatten und jetzt für finanzielle Rückflüsse aus dem Ausland sorgen, den Staat aufrecht. Die Summe der solchermaßen – legal – ins Land transferierten Gelder macht mit ca. 1,7 Milliarden US-Dollar den größten Teil des Sozialprodukts aus. Die Folge davon war eine künstliche Hochbewertung der Landeswährung, die Kaufkraft des Leu sank und die Preise schossen in die Höhe – die Moldavier sagen dazu: „Europäische Preise gibt es schon bei uns, europäische Löhne noch nicht.“ Bei extrem niedrigen Einkommen, überhöhten Preisen für Lebensmittel, Waren aller Art und Dienstleistungen ist der Lebensstandard auf ein nie zuvor gekanntes Niveau abgesunken.
Wie unpopulär die Regierung inzwischen ist, zeigte sich bei den Kommunalwahlen 2007, bei denen sowohl im Stadtrat der Hauptstadt Chişinau als auch in den meisten Rathäusern der ländlichen Bezirke die kommunistischen Kandidaten ihre Mandate an die Oppositionsparteien verloren. Aus Rache kürzte die Regierung den mit Oppositionspolitikern besetzten Gemeinderäten daraufhin die Finanzmittel. Der Kampf gegen den Bürgermeister von Chişinau, den zweiten Vorsitzenden der Liberalen Partei, wird bis heute mit unwürdigen Mitteln weitergeführt – mit Verleumdungen in den regierungstreuen Medien, gezielten Falschmeldungen in der Öffentlichkeit und mit Reduzierung der Mittelzuwendungen für die Stadt, womit letztlich die Bürger dafür bestraft werden, dass sie für Kandidaten der Opposition gestimmt haben.
Am 5. April 2009 werden die nächsten Parlamentswahlen stattfinden, und das neue Parlament wird auch einen neuen Staatspräsidenten wählen. Meinungsumfragen zeigen, dass die Menschen politisch dazugelernt haben und einen Wechsel anstreben. Es zeichnet sich eine Tendenz zu den Parteien ab, die sich nicht auf Kompromisse eingelassen haben und deshalb den Wandel herbeiführen könnten: das „Bündnis Moldova Noastra“, die Liberale Partei, die Liberaldemokratische Partei, die Nationalliberale Partei und die „Europäische Aktion“. Auch in der bürgerlichen Gesellschaft tut sich etwas: So hat das vor einigen Jahren gegründete „Demokratische Forum für Rumänen in Moldova“, eine an sich unpolitische Organisation mit etwa 200.000 Anhängern, im Dezember 2006 den Antrag gestellt, die Republik Moldau als EU-Beitrittskandidat aufzunehmen. Doch noch gibt es in der Wählerschaft auch Rückhalt für Kommunisten und Gruppierungen, die einen Wandel ablehnen, und zwar insbesondere bei den Bürgern russischer, ukrainischer und gagausischer Herkunft mit Muttersprache Russisch.
Im übrigen haben Regierungspartei und Christdemokraten sich bestens auf die Wahlen vorbereitet, zum einen durch eine Änderung des Wahlgesetzes, das nun Wahlbündnisse verbietet und die bisherige 4 Prozent-Klausel auf 6 Prozent erhöht. Beide Maßnahmen machen es kleineren Parteien praktisch unmöglich, ihre Kandidaten künftig ins Parlament zu bringen. Außerdem wurde im Dezember 2007 ein Gesetz verabschiedet, das Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft das passive Wahlrecht nimmt. Davon betroffen sind sämtliche Moldavier rumänischer, russischer, ukrainischer oder bulgarischer Herkunft – und das sind nicht wenige. Der Europäische Gerichtshof in Straßburg stellte mit Urteil vom November 2008 im Namen der stellvertretenden Vorsitzenden der Liberalen und der Liberaldemokratischen Partei den diskriminierenden Charakter dieser Einschränkungen fest und verlangte eine Revision des Gesetzes.
Da außerdem die Berichterstattung der freien Presse mit Verfahren überzogen wird und praktisch alle Presseorgane inklusive der öffentlichen Radio- und Fernsehsender den Machthabern unterstehen, haben Vertreter der Opposition keinen Zugang zu den Medien. Es gibt einen einzigen privaten TV- und Radio-Sender, die wenigen regierungsunabhängigen Zeitungen laufen ständig Gefahr, verboten zu werden. In Reaktion darauf organisiert der moldavische Journalistenverband seit letztem Jahr Sonntag für Sonntag eine speakers’ corner-Veranstaltung im Freien, wo Mitgliedern und Anhängern der Opposition die Möglichkeit gegeben wird, sich frei zu aktuellen Problemen zu äußern.
In letzter Zeit werden auch die jungen Leute verstärkt aktiv. So haben sich praktisch in allen demokratischen Parteien Jugendorganisationen gebildet, die sich mit friedlichen Kundgebungen für die Pressefreiheit und die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Die moldavische Jugend will Hand in Hand mit der älteren Generation ihr Land unbedingt in Europa integrieren.
Nach eineinhalb Jahrzehnten mühsamen Vorwärtsschreitens auf dem Weg zur Demokratisierung, nach Auseinandersetzungen und Experimenten, Erfolgen und Rückschlägen sieht es nun also so aus, als würden die Moldavier allmählich doch ihre frühere Sowjetnostalgie und Mentalität ablegen und sich entschließen, 2009 den Wandel herbeizuführen – einen Wandel, der sie mit Sicherheit glücklicher machen wird, als sie heute sind.
Aus dem Rumänischen übersetzt von Elfi Hartenstein.