Die Freiheit und ihr Preis

Die Medien in Rumänien nach 1989
aus OWEP 2/2010  •  von Radu Preda

Der Autor ist Professor für Theologie und Ethik an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Universität Cluj-Napoca/Klausenburg.

I.

Es gehört zu den banalen Feststellungen, dass die Meinungs- und Pressefreiheit die wichtigsten fördernden Merkmale einer Demokratie sind. Folgerichtig ist die Diktatur in erster Linie durch das Fehlen eines freien öffentlichen Raums und einer unabhängigen Presse gekennzeichnet. Das soll uns nicht wundern, da der politische Totalitarismus, in welcher Form und mit welcher ideologischen Grundlage auch immer, die Umsetzung einer Weltanschauung bedeutet, die so tief von ihrer eigenen Vollkommenheit überzeugt ist, dass sie keine Alternativen braucht und solche auch nicht duldet. Meinungsvielfalt verkörpert für diese Art, die Gesellschaft zu sehen und sie zu gestalten, schlichtweg die potenzielle, ja sogar subversive Verneinung der herrschenden politischen Orthodoxie, also eine Häresie, die es zu bekämpfen gilt. Die Stärke einer Diktatur besteht letztendlich in ihrer Fähigkeit, Pluralität unwirksam bzw. gar nicht erst möglich zu machen.

Von diesem Standpunkt aus lassen sich die Maßnahmen gegen die unmittelbaren politischen Opponenten, aber auch gegen alle Andersdenkenden erklären. Das Bücherverbot, die konsequente Zensur oder die zügellose Propaganda – all dies waren im kommunistischen System systematisch eingesetzte Methoden, die Alleinherrschaft der Partei auf dem Papier, auf den Bildschirmen und auf den Bühnen zu sichern. Die Allgegenwärtigkeit der kommunistischen Ideologie sollte nicht nur behauptet, sondern auch realisiert werden. Obwohl die Kommunisten zugaben, dass auch andere Klassen die Gesellschaft ausmachten, beanspruchte doch das Proletariat den gesamten öffentlichen Raum für sich. Anders gesagt, die militärische und geheimpolizeiliche Macht alleine war nicht genug, um das System zu schützen und sein ewiges Fortwähren glaubhaft zu inszenieren, sondern sie wurde ergänzt durch die Macht der Bilder und Worte. Deswegen waren die häufigsten und wirksamsten Formen des Widerstandes die Lektüre und die Verbreitung von Literatur, die nicht auf der ideologischen Linie lag, das Hören von Sendern wie Radio Free Europe, einem US-Sender aus München, oder westlicher Musik. Das inzwischen in Vergessenheit geratene Phänomen des Samizdats, der Untergrundliteratur, in der Sowjetunion und im ganzen Ostblock bringt sehr deutlich dieses Ringen um die Freiheit des Denkens und des Wortes zum Ausdruck und dokumentiert, wie unsicher und gefährdet sich eine Diktatur trotz weitreichender Kontrolle fühlt. Die immense Kluft zwischen Propaganda und Realität war am Ende des totalitären Regimes nicht mehr zu leugnen oder zu vertuschen, und man darf annehmen, dass gerade diese Diskrepanz zum Fall der Diktatur maßgeblich beigetragen hat.

In diesem hier skizzierten Kontext fand der Fall des Kommunismus 1989 vor allem auf dem Gebiet der politischen Symbolik statt. So betrafen die ersten sichtbaren Veränderungen die sprachliche Ebene (man sprach sich nun mit „Herr“ und „Frau“ und nicht mehr mit „Genosse“ oder „Genossin“ an), die Staatssymbole (neue Hymne und Flagge), die Pressefreiheit (die Fülle neuer Zeitungen) und bald die ersten als frei deklarierten Wahlen. Was unseren medialen Start in die Demokratie angeht, war der rumänische Dezember 1989 schon allein durch die Live-Übertragung im Fernsehen und Radio ein Novum. Vor dem ersten Golfkrieg war der Sturz Nicolae Ceauşescus einer der großen politischen Momente der modernen Geschichte, der Sekunde um Sekunde in Bild und Ton dokumentiert, gesendet und damit beeinflusst worden ist. Die vorletzte öffentliche Rede des Diktators am 20. Dezember 1989 wurde mehrmals durch Zwischenrufe der vor dem Sitz der Kommunistischen Partei versammelten Menschen unterbrochen. Sichtlich verunsichert, verspricht Ceauşescu höhere Löhne und mehr Kindergeld. Die Reaktion der Massen ist alles andere als dankend. Die Live-Übertragungen in Fernsehen und Radio wurden abrupt beendet. Zwei Tage später, nach der Flucht des Ehepaars Ceauşescu, wurden die ersten Bilder eines „Revolutionskomitees“ gesendet und damit der eindeutige und greifbare Beweis für den Umsturz geliefert. Der Film über den kurzen Prozess in der Garnison von Târgovişte und die daran anschließende Erschießung von Nicolae und Elena Ceauşescu Weihnachten 1989 sowie die Bilder des Kampfes gegen die bis heute nicht näher identifizierten „Terroristen” auf den Straßen von Bukarest gingen um die Welt. Eine ganze Nation und dazu die Weltgemeinschaft verfolgten gebannt, wie sich Geschichte ereignete und ein neues Kapitel geschrieben wurde.

So gesehen steht das postkommunistische Rumänien von Anfang an unter dem Zeichen der Medien. Bevor 1989 die wiedererlangten Grundfreiheiten in die Tat umgesetzt wurden, lange also vor der Etablierung eines echten politischen Pluralismus, des Rechtsstaates oder vor der Privatisierung der Wirtschaft war die Pressefreiheit eine unmittelbare Realität, die mit aller Wucht in das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft eingedrungen ist. Nach fast einem halben Jahrhundert der Propaganda, der Zensur und der Angst, die eigene Meinung zu äußern, stand die rumänische Gesellschaft plötzlich vor einer Vielfalt an Medien und Informationsquellen, die sich bald zu widersprechen begannen.

II.

Die ersten Tage des postkommunistischen Rumänien sind auch von den Schlangen vor Zeitschriftenständen geprägt. Die Menschen wollten nicht nur die Bilder sehen oder die Radiobeiträge hören, sondern deren Inhalt auch schwarz auf weiß lesen. Der alte Glaube, nur dem Geschriebenen Vertrauen zu schenken, lebte wieder auf. Fast alle alten wie auch die neuen Zeitschriften trugen in ihrem Titel das Wort „frei“. Für eine gewisse Komik der eingebrochenen Demokratie sorgten die schnellen Umtaufen alter kommunistischer Blätter, die beispielsweise fortan statt „Sozialistisches Leben“ (Viaţa socialistă) einfach „Freies Leben“ (Viaţa liberă) hießen. Nach dem gleichen Muster wurde aus dem KP-Presseorgan „Das Funkeln“ (Scânteia) schlicht „Die Wahrheit“ (Adevărul). Ob dabei auch ein Sinneswandel stattfand in der Art und Weise, wie Journalismus betrieben werden sollte, darf ruhig bezweifelt werden. Der staatliche Sender war ebenfalls „frei“: das „Rumänische Freie Fernsehen (Televiziunea Română Liberă, TVRL). Kurzum: Die Medien wollten sich als frei darstellen und nahmen dafür die Freiheit als ihr Logo, wenn nicht sogar gänzlich als ihr Programm.

Dass nicht alle freien Medien in der Tat auch frei waren oder frei blieben, wurde ziemlich bald klar. Die politische Entwicklung des Landes, gekennzeichnet durch den Neokommunismus des Iliescu-Regimes, das eher auf Kontinuität als auf Erneuerung setzte, hat die mediale Landschaft stark atomisiert. Die nun als frei deklarierte postdiktatorische Politik gestaltete sich als Versuch, die Gegner zu diffamieren, die Diaspora zum Schweigen zu bringen und generell der Welt ein bestimmtes Bild zu liefern. Die Medien reflektierten dementsprechend die Dialektik des Postkommunismus und unterstrichen diese auch zum großen Teil. Aus einem zunächst neutralen Medium ist die Presse schnell zu einem wichtigen und parteiischen Spieler der Demokratie geworden. Die politische Meinungsbildung wurde sehr stark von der Ausrichtung der Medien beeinflusst. Dieser direkte Einfluss wurde durch den Verkauf von Verlagen und Publikationen verstärkt, sodass die politische Ausrichtung einer Zeitung je nach Besitzer wechselte. Wenn diese ideologische und pragmatische Dynamik auch im Westen, in der ebenfalls „freien“ Welt, zur Regel geworden ist und als Vielfalt des Informationsangebotes wahrgenommen wurde, so bedeutete die reine politische Privatisierung der Medien für posttotalitäre Gesellschaften doch eine verpasste Chance, sich eine demokratische, pluralistische Kultur anzueignen.

Dies hat schwerwiegende Folgen. Ein grundsätzliches Misstrauen gegen die Medien ergänzt heute die ebenfalls einstimmige Ablehnung der politischen Klasse als eine korrupte und nur mit sich selbst beschäftigte Klasse. So wenig die Medien als Mittel des objektiven Informationstransfers, sondern vielmehr als Manipulationsinstrumente angesehen werden, umso weniger glaubwürdig für die Bürger sind die wichtigsten politischen Akteure, über die die Medien täglich, ja stündlich berichten. Da Form und Inhalt, Medium und Botschaft gleichermaßen in Verruf geraten sind, wurde die Politik auf ein mediales Theater reduziert. Die letzten Parlamentswahlen 2008 und jene für das Amt des Staatspräsidenten im Jahr 2009 haben diese Tendenz bestätigt und ein neues Niveau der Verschmelzung von Journalismus und Propaganda ans Licht gebracht. Pressefreiheit wird vielerorts als Freiheit begriffen, andere Meinungen nicht mehr hören zu müssen. Das hat zur Bildung regelrechter medialer Kartelle gegen die politischen Gegner geführt. Das normative Eingreifen der Kontrollinstitutionen im Bereich der Medien wirkte wenig überzeugend und blieb in der Regel, von symbolischen Geldbußen abgesehen, ohne konkrete Folgen.

Bezeichnend ist, dass die Medien in Rumänien nur begrenzt das Interesse ausländischer Investoren geweckt haben. Die politische Vereinnahmung der meisten Medien in den neunziger Jahren durch die alten und zugleich neuen Mächtigen hat jede Art von Konkurenz praktisch unmöglich gemacht. Die parlamentarische und die zivilgesellschaftliche Opposition hatten nur sehr begrenzten Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Medien, die eigenen Presseorgane überlebten daher den von den staatlichen Institutionen ausgeübten Druck nicht sehr lange. Die Geschichte einer guten und ausgewogenen Zeitung wie „Die Tagespost“ (Cotidianul), zu Beginn finanziert von dem berühmten Exilrumänen Ion Raţiu, ein Symbol des Widerstandes gegen das alte Regime, ist paradigmatisch für die allzu starke Polarisierung und Politisierung der Medien nach 1989: Sie konnte sich nicht lange auf dem Markt behaupten, wurde nach einer Periode des Verschwindens weiterverkauft und ist 2009 nach den letzten Wahlen ersatzlos eingestellt worden. Das gleiche Schicksal erlitten auch andere hochangesehene Medienprodukte wie „Der Zeitgeist“ (Curentul) oder Kulturzeitschriften wie „Das Wort“ (Cuvântul). Das wenige ausländische Kapital im Bereich der Medien – als Beispiel wäre hier die Präsenz von „Medien Holding“, einem joint venture von „The Nova Group“ und der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) zu erwähnen – kann dieser Tendenz nur begrenzt entgegenwirken. Während sich die rumänische Software- und IT-Industrie fast zu 80 Prozent in den Händen fremder Kapitalgeber befindet, bleiben die klassischen Medien eine hauseigene Branche, die jedoch langsam ausstirbt – Ende 2009 und Anfang 2010 haben mehrere Zeitungen und Zeitschriften auf lokaler und nationaler Ebene ihr Erscheinen eingestellt.

Im Gegenzug dazu und in rasantem Tempo entwickelt sich die digitale Form, Informationen weiterzugeben. Laut Statistik nutzen die Rumänen im europäischen Vergleich immer noch sehr viele mediale Produkte, jedoch zunehmend via Fernsehen und Internet. Die Digitalisierung der Medien bringt aber keine automatische Verbesserung der journalistischen Qualität mit sich. Das größte Problem bleibt nach wie vor das Fehlen einer nur durch entsprechende Recherche und sprachliche Begabung garantierten Objektivität, die unterhaltende Effekte nicht ausschließt. Es kommt nicht von ungefähr, dass zum Beispiel die Reportage eine der wenig praktizierten journalistischen Gattungen bleibt. Dies hat einen einfachen, aber überraschenden Grund: Nicht alle Medienschaffenden sind selbst zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus ausgebildete Journalisten, sondern stammen überwiegend aus den Bereichen der Technik oder Naturwissenschaften. Die inhaltliche Inkompetenz ist am auffälligsten, wenn über kirchliche Angelegenheiten berichtet wird. So schrieben oder bemerkten die Medienleute beispielsweise beim Tod von Papst Johannes Paul II., dass „Millionen von Menschen von ihrem Idol Abschied nehmen“. Die Liste solcher Fehler ist lang und erstreckt sich über ein ganzes Spektrum: von ungewollter Lächerlichkeit bis hin zu monumentaler Dummheit.

III.

Wie erwartet, haben nicht nur die säkularen Medien nach 1989 eine völlig neue Dynamik erlebt, sondern nicht minder die kirchlichen Kommunikationsmittel. Ich möchte hier das Beispiel der orthodoxen Mehrheitskirche nennen. Heute gibt es in Rumänien etwa 115 diözesane Zeitschriften, herausgegeben von 26 kirchlichen Verlagen. Seit einigen Jahren wird eine Tageszeitung, anfangs von der Metropolie von Iaşi und nun vom Patriarchat, herausgegeben, „Lumina“ (Das Licht). Die Publikation rühmt sich selbst mit dem Titel, „die erste rumänische christliche Tageszeitung“ zu sein. Hinzu kommen mehrere Radiosender: „Radio Trinitas“ (mit einem sehr großen Sendegebiet), „Renaşterea“ (Cluj-Napoca/Klausenburg), „Reîntregirea“ (Alba Iulia/Karlsburg), „Radio Dobrogea“ (Constanţa) und „Logos“ (Braşov/Kronstadt). Andere diözesane Radiosender, z. B. in Craiova, haben sich „Radio Trinitas“ angeschlossen. „Radio Trinitas“ wird de facto als gesamtkirchlicher Sender betrachtet. Ein Novum war im Jahr 2007 die Gründung von „Trinitas-TV“. Ebenfalls neu ist die Presseagentur „Basilica“. Auch die Präsenz der Rumänischen Orthodoxen Kirche im Internet ist inzwischen viel stärker als vor nur drei oder vier Jahren.

Ein zentrales Problem der orthodoxen Medien in Rumänien, das in den letzten Jahren verstärkt zum Vorschein kam, ist die Weigerung, delikate Themen, die das Leben der Glaubensgemeinschaft direkt betreffen, anzusprechen. Die angeblichen Kompromisse der Hierarchie gegenüber dem alten Regime und seiner politischen Polizei, die Stellung zur Ökumene, die Finanzierung der Kirche oder die Komplizenschaft mit der Politik – all diese Themen, neben vielen anderen mehr, werden journalistisch kaum aufgearbeitet. Wenn jedoch ein solches Thema als unausweichlich wahrgenommen wird, ist dessen mediale Darstellung in der kirchlichen Presse umhüllt von Halbinformationen, Floskeln und Gegenangriffen. Die profanen Medien werden für ihre als tendenziös gehaltenen Berichterstattungen zu kirchlichen Themen heftig kritisiert (sehr oft auch mit Recht) – die orthodoxen Medien bieten jedoch keine echte Alternative. Den interessierten Mitgliedern der Kirche bleiben als Quelle immer noch die profanen Medien oder die alternativen christlichen Publikationen. Mit anderen Worten: Seitens der offiziellen Kommunikationsorgane der Kirche findet keine Kommunikation, sondern nur eine ganz nach dem weltlichen Muster kopierte mediale „Vernebelung“ statt. Neben dem Persönlichkeitskult des Bischofs bleibt der ausgeprägte reaktive Charakter der kirchlichen Medien ein ernstzunehmendes Hindernis, die Botschaft der Kirche glaubwürdig in die Gesellschaft hinein zu transportieren.

Diese Entwicklung der meisten Medien der Rumänischen Orthodoxen Kirche nach 1989 mit wenigen, allerdings lobenswerten Ausnahmen bedeutet nicht nur für die Kirche als Institution ein Problem, das auf das Erbe des Totalitarismus hinweist, sondern auch für die Gesellschaft, die die Notwendigkeit einer an Werten orientierten Berichterstattung mehr denn je spürt. Als wichtige normative Instanz in einem Land mit einer sich bis zu 98 Prozent als religiös deklarierenden Bevölkerung darf die Mehrheitskirche ihre mediale Mission nicht auf die Selbstinszenierung reduzieren, sondern muss die Kommunikation als eine neue und hoffnungsvolle Art der Diakonie, als Ausdruck ihrer sozialtheologischen Verantwortung betrachten.


Literaturhinweise:

  • Radu Preda: Sozialtheologie. Eine Herausforderung für die orthodoxe Kirche am Beispiel Rumäniens. In: Ingeborg Gabriel/Franz Gassner (Hrsg.): Solidarität und Gerechtigkeit. Ökumenische Perspektiven. Mainz 2007, S. 109-133.

  • Radu Preda: Die orthodoxen Kirchen zwischen nationaler Identität und babylonischer Gefangenschaft in der EU. In: Ingeborg Gabriel (Hrsg.): Politik und Theologie in Europa. Perspektiven ökumenischer Sozialethik. Ostfildern 2008, S. 285-305.

  • Ministerul Culturii şi Cultelor: Viaţa religioasă din România. 3. Aufl. Bukarest 2008. (In rumänischer Sprache).