OWEP 2/2010
Schwerpunkt:
Medien als Macht?
Editorial
Täglich gebrauchen wir Medien der verschiedensten Art, oft unbewusst und oberflächlich. Wir konsumieren Meinungen und Fakten, wie man eine Zigarette raucht. Die Medien sind in aller Munde, Augen und Ohren. Aber sie bedürfen selber dringend der Information und der Reflexion. Denn sie machen etwas mit uns. Durchblick ist gefragt.
Die Medien sind ein weltweites Problem – aber regional sehr verschieden in Umfang, Vielfalt und Wirkung. In dieser Ausgabe von OST-WEST. Europäische Perspektiven nehmen wir die Medien in Europa in den Blick. Wir fragen nach der Macht und dem Einfluss der „vierten Gewalt“, wie die Medien oft genannt werden, in Deutschland, nach den Perspektiven der Medienentwicklung in Mittel- und Osteuropa, schauen nach Polen, Bosnien, Rumänien. Ein wichtiger Blick gilt Russland, nimmt sich dort staatstreue Fernsehsender, gezähmte Printmedien und die blühende Vielfalt im Internet vor, die russische Medienlandschaft also. Wir fragen auch nach dem Medienmarkt und der Pressefreiheit in der Ukraine, die von Wirtschaftsakteuren und Politikern in die Zange genommen wird.
Zwei Fachleute, aus Polen und aus Deutschland, äußern ihre Gedanken zur Ethik der Medien. Ethik: Das ist angesichts der zu beobachtenden, nicht nur europäischen Entwicklung im Medienbereich ein Thema, das immer mehr an Gewicht und Bedeutung gewinnt. Es kann uns nicht gleichgültig sein, welche Kriterien bei den Journalistinnen und Journalisten leitend oder nicht leitend sind.
Auf dem Mediensektor in Ost und West herrscht derzeit das, was die Soziologen die „neue Unübersichtlichkeit“ nennen. Wir versuchen, mit unserem Medium eine Schneise zu schlagen, von der aus man links und rechts in den Wald schauen kann. Wichtig ist und bleibt: Ein Medium ist ein Medium – und nicht, wie ein weit verbreitetes Urteil sagt, die Botschaft.
Die Redaktion
Kurzinfo
Innerhalb weniger Jahre haben die elektronischen Medien die Welt verändert. Verbreiteten sich Informationen aus Zeitungen und Zeitschriften früher im Tages- und Wochenrhythmus (je nach Häufigkeit des Erscheinens noch langsamer), so kann der heutige „User“ in Sekundenschnelle Nachrichten und Informationen empfangen. Manche Ereignisse finden gewissermaßen in „Echtzeit“ statt – man denke nur an die Zerstörung des World Trade Centers in New York am 11. September 2001, wo der Einschlag des zweiten Flugzeugs weltweit auf allen Kanälen mitverfolgt werden konnte. Die Medien, sei es das Internet mit den neuesten interaktiven Kommunikationsformen, sei es TV, Zeitung, Zeitschrift, selbst das gute alte „Dampfradio“, sind ständig präsent und wirken als „vierte Gewalt“ auf die Gesellschaft ebenso wie auf das Individuum. Die Medien üben Macht auf den Menschen aus, er kann sich ihnen nicht entziehen. Aber wie wirken sie genau? Wie ist ihr Einfluss zu bewerten? Welche Rolle spielen sie in den Transformationsländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas? Im aktuellen OWEP-Heft sind Beiträge vereint, die wenigstens einige dieser Fragen zu beantworten suchen.
Eröffnet wird das Heft mit einer Hinführung zum Thema durch Werner D’Inka, Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der kurz das Grunddilemma jedes Journalismus’ geschildert wird, die Spannung zwischen unabhängiger Darstellung und Rücksichtnahme auf äußere Faktoren wie politische oder wirtschaftliche Gegebenheiten. Zwei ausführliche Beiträge widmen sich dann den Medien und ihrer Rolle in Deutschland und im Bereich der Transformationsländer. Christian Klenk, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Eichstätt-Ingolstadt, definiert die Medien, umreißt ihre Funktion im gesellschaftlichen Leben und entfaltet dann ein Panorama der deutschen Medienszene, wie sie sich seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart entwickelt hat. Sofie Jannusch, Mitarbeiterin des Catholic Media Council (CAMECO), richtet den Blick auf Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Nach 1989 entstanden dort neue unabhängige Strukturen, die jedoch in den letzten Jahren vermehrt Einflüssen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausgesetzt sind, was schon mehrfach zu massiven Behinderungen der freien Berichterstattung geführt hat, z. B. in Russland und Weißrussland. Andererseits gibt es auch hoffnungsvolle Beispiele dafür, dass die Medien mitgeholfen habe, Missstände aller Art aufzudecken und damit ihrer Rolle als kritische Instanz durchaus gerecht werden.
Für den deutschen Leser ist aus mehreren Gründen die Situation in Polen besonders interessant, schlägt sich doch das Auf und Ab in den bilateralen Beziehungen der letzten zwanzig Jahre immer auch in den Medien nieder. Deutsche Medienkonzerne spielen in Polen ebenso wie auch in Tschechien und Rumänien eine bedeutende Rolle, doch wäre es, wie Dr. Andrzej Kaluza, Mitarbeiter des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, in seinem Beitrag darlegt, übertrieben zu behaupten, die polnische Presse sei „fest in deutscher Hand“. Polen stellte in kommunistischer Zeit hinsichtlich der Presse einen Sonderfall dar, weil es dort trotz aller Einschränkungen ein blühendes katholisches Pressewesen gab, das seit der „Wende“ stark expandiert ist und nach wie vor einen großen Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs in Polen ausübt. Ausführlich informiert darüber der Beitrag von Joanna Bątkiewicz-Brożek und Maciej Müller, Redaktionsmitglieder der in Krakau erscheinenden katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“. Große Bedeutung hat die kirchliche Presse auch in der Slowakei, muss sich allerdings mit einer insgesamt ziemlich kirchenfernen weltlichen Presse auseinandersetzen. Welche Wege von der kirchlichen Presse seit 1989 beschritten wurden, zeichnet Prälat Marián Gavenda, langjähriger Chefredakteur der „Katholischen Zeitung“ (Katolícke noviny) in Bratislava, nach.
Weniger positiv ist leider das Bild, das sich in einigen Ländern Südosteuropas zeigt. Damir Banović, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Sarajevo, und Saša Gavrić, Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Sarajevo, erläutern die Szene in Bosnien und Herzegowina, wo Presse, Rundfunk und Fernsehen es bis heute schwer haben, eine neutrale Berichterstattung zu gewährleisten. Etwas besser ist, wie Prof. Dr. Radu Preda, Universität Cluj-Napoca, darlegt, die Lage in Rumänien, jedoch ist auch dort die freie Berichterstattung immer wieder in der Gefahr, den Interessen von Politikern, Wirtschaftsführern und Kirchenoberen geopfert zu werden.
In Russland und der Ukraine hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren eine vielfältige und recht unübersichtliche Medienwelt entwickelt. Dr. Florian Töpfl, Postdoctoral Fellow an der Columbia-Universität in New York, beschreibt die Situation in Russland. Hier gilt mit Sicherheit das Wort „Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“: Einerseits erfolgt die Berichterstattung im Vergleich zu kommunistischen Zeiten weitgehend frei und unabhängig, andererseits zeigen sich Tendenzen massiver staatlicher Beeinflussung, etwa im Fernsehbereich; außerdem fielen etliche Journalisten in den vergangenen Jahren Mordanschlägen zum Opfer. Ähnliches lässt sich, wie Marina Sverdel, die in Düsseldorf als Online Marketing Manager tätig ist, über die Ukraine sagen. Mehr noch als in Russland, sind, wenn man der gebürtigen Ukrainerin folgt, Presse und Fernsehen stark von den jeweiligen Geldgebern abhängig, was oft zu einer massiven Lenkung des Journalismus führt.
Nach diesen doch ziemlich ernüchternden Beispielen stellt sich die Frage, welche ethischen Maßstäbe in den Medien gelten sollten und wie es damit in der Realität bestellt ist. Dazu äußern sich im Heft pointiert ein deutscher Universitätsdozent und ein polnischer Journalist, nämlich Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff, Universität Freiburg, und Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der in Warschau erscheinenden katholischen Monatszeitschrift „Więź“.
Christof Dahm