Außenpolitik im demokratischen Albanien
Der Sturz des kommunistischen Regimes 1991 eröffnete Albanien völlig neue Horizonte in der Außenpolitik. Nach der Erfahrung der totalen Isolation des Landes standen die Diplomaten und Politiker unvermittelt vor einer Fülle von außenpolitischen Herausforderungen, konnten aber nur auf wenig Erfahrung im Umgang mit den neu zu gewinnenden Partnern zurückgreifen.
Albanien musste zunächst Vertrauen zu westlichen und regionalen Partnern aufbauen, und das in einer Zeit, in der das Land selbst innenpolitisch instabil war und zahlreiche schwerwiegende Krisen durchlief. Besonders der Massenexodus und die Hungersnot von 1991/92 sowie die „Pyramiden-Krise“ von 19971 brachten das Land an den Rand der Anarchie. Deshalb war Albanien, allein um seine eigene Staatlichkeit zu sichern, bereits auf massive Hilfe westlicher Partner angewiesen. Parallel dazu musste die Regierung eine neue Generation von Diplomaten ausbilden, die das Land verantwortungsvoll und versiert vertreten sollten.
Vor diesem Hintergrund hing Albaniens Außenpolitik der letzten zwanzig Jahre vor allem von äußeren Akteuren ab; sie orientierte sich an den Vorstellungen und Vorgaben der wichtigsten westlichen Partner. Als unterentwickeltes und verhältnismäßig armes Land besaß Albanien gar nicht die Fähigkeit, starke eigene Akzente zu setzen. Vielmehr war Albaniens Diplomatie gefordert, gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu allen Nachbarn aufzubauen, ohne dabei einzelne zu vergrätzen. Dies fiel der Diplomatie des Landes jedoch nicht immer leicht. Insbesondere der Streit zwischen Griechenland und Makedonien2 erforderte von Tirana einen besonders geschickten diplomatischen Balanceakt. Auch die Kriege in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien führten dazu, dass Albanien sich am Rande eines Krisengebietes und damit in einer ungünstigen geopolitischen Lage wiederfand.
Unter diesen Rahmenbedingungen war Albanien gefordert, unter Beweis zu stellen, dass es trotz der eigenen institutionellen Defizite und politischen Brüche einen regionalen Stabilitätsfaktor darstellte. In Anbetracht der bewaffneten Konflikte im Kosovo 1998/99 und in Makedonien 2001 sah sich Tirana immer wieder genötigt, gegenüber der Weltöffentlichkeit glaubhaft zu machen, dass es nicht nur keine territorialen Absichten gegen Nachbarstaaten hegte, sondern vielmehr sogar eine stabilisierende Rolle durch eine aktive und konstruktive Partnerschaftspolitik spielen konnte.
Zugleich konnte keine albanische Regierung die Nöte der ethnischen Albaner in den Nachbarstaaten ignorieren. Jede Regierung, ob rechts oder links, musste gegenüber den eigenen Wählern unter Beweis stellen, dass ihre diplomatischen Bemühungen zur Verbesserung der Lebenssituation im Land ebenso wie zur Erleichterung des politischen Status der Albaner außerhalb des eigenen Staates Erfolg zeigten. Auch war das Land gezwungen, gemeinsam mit westlichen Partnern und internationalen Organisationen 1999 eine internationale humanitäre Hilfsoperation aufzubauen, die für das kleine Land eine Mammutaufgabe darstellte. Dafür war es zentral, die neue militärische Partnerschaft mit der NATO zu pflegen und zu vertiefen, die letztlich essenziell für die erfolgreiche Lösung des Kosovokonfliktes und damit verbunden der Flüchtlingskrise war.3
EU- und NATO-Integration als Konstante der Politik
Die zentrale Ausrichtung der Außenpolitik des postkommunistischen Albaniens lässt sich unter dem Oberbegriff „Euro-Atlantische Integration“ subsumieren.
Einen Meilenstein im Rahmen der Zusammenarbeit markierte die Unterzeichnung der U.S.-Adriatic Charter, eines Zusammenschlusses zwischen Albanien, Makedonien und Kroatien unter Vermittlung der USA am 20. Januar 1999, mit dem die beteiligten Länder ihren Willen bekräftigten, die Mitgliedschaft in der NATO anzustreben und innere Reformen der demokratischen Institutionen voranzutreiben. Dies beinhaltete auch eine ausdrückliche Absichtsbekundung zur EU-Integration. Die Unterzeichnung des Dokuments setzte eine regelmäßige Kooperation der Partner in Gang, die allen Beteiligten half, zehn Jahre später die Bedingungen für eine Aufnahme als Vollmitglied in das westliche Verteidigungsbündnis zu erfüllen.
Neben dem Streben nach dem EU-Beitritt und der bereits vollzogenen NATO-Mitgliedschaft war Albaniens Diplomatie in diesen zwei Jahrzehnten auf eine enge Abstimmung mit Partnern in den Hauptstädten der EU und in Washington angewiesen. Auch das Wahrnehmen von verschiedenartigen Ausbildungsprogrammen westlicher Partner im Rahmen institutioneller Reformen ist seit 1991 eine Konstante der albanischen Außenpolitik, genauso wie die Nutzung von Beratungsangeboten anderer internationaler Organisationen wie der OSZE oder des Europarats, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung und bei der Organisation von Wahlen.
Der Erfolg dieser Bemühungen manifestiert sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass Albanien mittlerweile Mitglied der NATO und der mitteleuropäischen Freihandelszone CEFTA ist. Nach Aufnahme in die NATO auf dem Bukarester Gipfel im Frühjahr 2009 stellte Tirana auch einen formellen Beitrittsantrag bei der EU. Allerdings hat die EU-Kommission dem Rat noch keine Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erteilt. Diese Zurückhaltung erklärt sich vor allem durch die andauernde innenpolitische Krise Albaniens. Seit den Wahlen vom 28. Juni 2009 nimmt die sozialistische Opposition praktisch nicht mehr am parlamentarischen Prozess teil, weil es beim Urnengang Unregelmäßigkeiten gegeben habe. 2010 organisierte sie regelmäßig Protestaktionen, um eine Neuauszählung der Stimmen durchzusetzen. Die Regierung verwies jedoch darauf, dass in Fällen von Unregelmäßigkeiten bereits der vorgesehene Rechtsweg beschritten worden sei. Die Weigerung der Opposition, diesen zu achten, beweise vielmehr, dass es Sozialistenführer Edi Rama darum gehe, mit Druck von der Straße Neuwahlen durchzusetzen.
Paradigmenwechsel im Kosovokonflikt
Zweifellos war der Kosovokonflikt in den vergangenen zwanzig Jahren eines der Themen, welches die albanische Außenpolitik mit am stärksten gebunden hat. Die Konstante dabei war eine enge Abstimmung der Regierung in Tirana mit westlichen Partnern. Allerdings war die Kosovo-Politik Albaniens von Anfang an von der Ambivalenz überschattet, einerseits gegenüber den Albanern im Kosovo in der Pflicht zu stehen, ihren Kampf für staatliche Unabhängigkeit verbal und auch tatkräftig zu unterstützen, andererseits die politischen Bemühungen der westlichen Verbündeten nicht zu untergraben, deren Diplomatie noch bis weit nach der Jahrhundertwende auf die Vermittlung eines Kompromisses zwischen Belgrad und Prishtina abzielte.
Bemerkenswert ist, dass die postkommunistische Neuausrichtung der albanischen Außenpolitik auch zeitlich genau parallel zur Zuspitzung des Kosovokonflikts verlief und dadurch mehrmals Paradigmenwechsel nötig wurden. Bereits 1991, nur wenige Monate nach der Zulassung eines Mehrparteiensystems, verabschiedete das Parlament in Tirana eine Resolution, welche die Unabhängigkeit des Kosovo begrüßte. Es war eine politische Stellungnahme, die einer Anerkennung der Verfassung von Kaçanik gleichkam. In dieser ostkosovarischen Stadt hatten die Abgeordneten des zuvor von Serbien aufgelösten Parlaments der Autonomen Region Kosovo sich eine neue Verfassung gegeben und Kosovo nach einem Referendum zur unabhängigen Republik erklärt. Dies war die Geburtsstunde des kosovarischen Schattenstaates, der bis zum Krieg von 1999 unter seinem Präsidenten Ibrahim Rugova eine Strategie des gewaltfreien Widerstandes verfolgte.
Brisant an der Parlamentserklärung aus Tirana war, dass kein anderer und damit auch kein westlicher Staat die Verfassung von Kaçanik anerkannte. Dies stellte die albanische Außenpolitik vor ein Dilemma, denn wäre die Regierung der Parlamentsresolution gefolgt und hätte sie volle diplomatische Beziehungen zu Kosovo aufgenommen, hätte Albanien einen Konflikt mit seinen westlichen Partnern riskiert. Die Lösung war pragmatisch: Die Regierung nahm keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Kosovo auf. Stattdessen eröffnete der Schattenstaat in Tirana ein „Büro der Republik Kosovo“ mit einem ständigen Vertreter. Rechtlich blieb damit die Resolution des albanischen Parlaments nicht mehr als eine politische Absichtsbekundung. Zu einer völkerrechtlichen Anerkennung kam es hingegen nicht, da es der Regierung und nicht dem Parlament oblegen hätte, eine solche auszusprechen.
Kommunikationsprobleme zwischen Tirana und Prishtina
in den folgenden Jahren waren die Beziehungen zwischen Tirana und Prishtina alles andere als reibungslos, wobei Albanien selbst oft orientierungslos erschien.
Erste Brüche zwischen Tirana und dem kosovarischen Schattenstaat wurden sichtbar, als der damalige Präsident und spätere Premierminister Sali Berisha im Winter 1996 eine Initiative des kosovarischen Dissidenten Adem Demaçi befürwortete, derzufolge sich die Jugend des Kosovo den Belgrader Studentenprotesten gegen das Milošević-Regime anschließen solle. Dies werteten Beobachter als ein erstes Zeichen einer wachsenden Unzufriedenheit in Tirana mit der vermeintlichen Erfolglosigkeit der pazifistischen Strategie von Rugova. Als nach internationaler Vermittlung und Neuwahlen die Sozialistische Partei (die zu einer sozialdemokratischen Partei konvertierten Nachfolger der Kommunistischen Partei der Arbeit Albaniens) die Parlamentsmehrheit gewonnen hatte, lancierte die neue Regierung auch eine neue Außenpolitik.
Außenminister Paskal Milo von der Sozialdemokratischen Partei, einem kleineren Koalitionspartner der Sozialisten, verkündete, dass Tirana sich um eine Verbesserung der Beziehungen zu Belgrad bemühen werde. Dies rief in Prishtina Besorgnis hervor. Hinzu kam, dass Berisha sich als ausgesprochener Unterstützer des Kosovo einen Namen gemacht hatte und dort auf eine starke Beliebtheit zählen konnte. Den neuen Premierminister Fatos Nano betrachteten viele Kosovaren im Gegensatz zu Berisha hingegen mit Misstrauen. Das lag nicht zuletzt daran, dass infolge der Wirtschaftskrise von 1997 eine Spaltung zwischen der öffentlichen Wahrnehmung politischer Entwicklungen in Kosovo einerseits und Albanien andererseits deutlich geworden war. So berichteten die kosovarischen Medien über Entwicklungen in Albanien fast ausschließlich durch die Brille der Medien, die der Demokratischen Partei von Sali Berisha nahestanden (d. h. einer national-konservativen politischen Orientierung). Sie nahmen die Unruhen in Albanien von 1997 als von Exkommunisten organisierte Konterrevolution wahr, nicht jedoch als Aufstand aufgrund wachsenden Unmuts über einen zunehmend autoritären Führungsstil des damaligen Präsidenten.
Im Gegenzug wuchs unter denjenigen, die in Albanien die Absetzung der Regierung unter Präsident Berisha vorangetrieben hatten, der Eindruck, die Kosovo-Albaner verstünden die innenpolitischen Probleme Albaniens nicht und hätten auch kein Gespür für die Auswirkungen der Demokratiedefizite der ersten Jahre des Postkommunismus. Hinter diesen Konflikten verbarg sich ein weit tiefer sitzender kultureller Bruch zwischen den Menschen in Albanien und Kosovo, dessen Ursache sich in den Entwicklungsunterschieden beider Länder finden lässt:
Während Albanien 1991 ein völlig verarmtes und infrastrukturell unterentwickeltes Land ohne Tradition eines Unternehmertums war, hatte Kosovo bis in die achtziger Jahre vom Wirtschaftsmodell der „sozialistischen Selbstverwaltung“, die ein gewisses Maß an unternehmerischer Freiheit in Tito-Jugoslawien bot, profitiert. Nicht zuletzt die Tatsache, dass viele Kosovo-Albaner im westlichen Ausland gearbeitet hatten, führte dazu, dass noch Mitte der neunziger Jahre aus albanischer Sicht der Lebensstandard im Kosovo geradezu westlich erschien.
Im Kosovo hingegen herrschte angesichts der eigenen misslichen Lage unter serbischer Besetzung völliges Unverständnis für die innenpolitischen Ränkespiele in Tirana.
Andererseits war die politische Elite der Sozialisten in Tirana besonders unsensibel für die Anliegen der Kosovaren. Sie war vorrangig daran interessiert, gute Beziehungen zu westlichen Partnern aufzubauen, und wollte sich als Stabilitätsfaktor in der Region profilieren. Ihr eigentliches Interesse war wirtschaftlich, denn sie vertrat diejenigen, denen es gelungen war, im Laufe des Umbruchs ihre gute Startposition in erfolgreiches Unternehmertum umzumünzen. Zwar konnte kein Politiker diese Position so öffentlich postulieren; jedoch stieß Premierminister Nano die gesamte Öffentlichkeit in Prishtina vor den Kopf, als er auf einem Gipfel von Staats- und Regierungschefs am 3. November 1997 auf Kreta mit Präsident Slobodan Milošević zusammentraf und eine engere Kooperation zwischen Tirana und Belgrad anregte. Dies wog umso schwerer, als Nano nachgesagt wurde, er habe auch persönliche Wirtschaftsinteressen in Griechenland, einem Land, das Serbien auch inmitten der Kriege in Bosnien und Kosovo noch freundschaftlich verbunden war.
Der Kosovokrieg als Wendepunkt
Das albanisch-serbische Tauwetter währte jedoch nur kurz. Als sich 1998 die bewaffneten Konflikte im Kosovo zuspitzten, vertiefte sich vor allem auf der operativen Ebene die Zusammenarbeit Albaniens und des kosovarischen Schattenstaates, wenn auch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Ab diesem Jahr kamen zu der diplomatischen Vertretung des Kosovo auch militärische Vertretungen der Kosovobefreiungsarmee (UÇK) hinzu, die jedoch Anfangs streng konspirativ arbeiteten.
Diesen kam infolge der Wirtschaftskrise von 1997 zugute, dass sie aufgrund der noch immer schwach entwickelten staatlichen Institutionen und eines vielerorts fehlenden staatlichen Gewaltmonopols einen großen Entfaltungsspielraum hatten, besonders im als gesetzlos berüchtigten Norden Albaniens, der an Kosovo grenzt.
Auch die Verfügbarkeit von leichten Kriegswaffen auf dem albanischen Schwarzmarkt begünstigte die Aktivitäten der UÇK. Somit wurde die nordalbanische Grenzregion zu einem entscheidenden Ausgangspunkt für die Versorgung der UÇK mit Nachschub und Kämpfern über die Grenze. Journalisten, die im Sommer 1998 aus dem Norden nach Tirana zurückkehrten, berichteten, dass die UÇK offen ihre Transporte zusammenstellte und trainierte – offensichtlich mit Kenntnis und Duldung lokaler Behörden.
Die Ambivalenz im albanisch-kosovarischen Verhältnis wurde durch die Folgen des Krieges noch deutlicher. So brach einerseits durch die Flüchtlingskrise 1999 eine Welle der Hilfsbereitschaft in Albanien aus und die Flüchtlinge aus Kosovo wurden warmherzig aufgenommen. Andererseits wurde vielen Kosovo-Albanern durch ihre Flucht erstmals bewusst, welche Spätfolgen die kommunistische Herrschaft in Albanien hinterlassen hatte. Viele waren geschockt, als sie mit eigenen Augen die Armut und primitiven Lebensumstände auf der anderen Seite der Grenze sahen.
Während diese Erfahrung dem gegenseitigen Verständnis der Menschen auf beiden Seiten zugute kam, blieben die politischen Kränkungen der Spitzenpolitiker jedoch weiter sichtbar. Am deutlichsten zeigte sich dies am Verhalten des Schattenstaatspräsidenten Ibrahim Rugova. Dieser war während des Krieges von der serbischen Polizei unter Hausarrest gestellt worden und durfte erst nach massiven diplomatischen Bemühungen Italiens nach Rom ausreisen. Auf den Weg nach Albanien machte er sich nicht, obwohl dort im Laufe des Krieges weit über eine halbe Million seiner Landsleute Unterkunft gefunden hatte. Kommentatoren von beiden Seiten der Grenze drückten Unverständnis aus, dass Rugova sich weigerte, Tirana einen Besuch abzustatten, erkannten darin jedoch ein deutliches Indiz für die latenten Spannungen zwischen der kosovo-albanischen Führung und der Parteispitze der Sozialisten in Tirana.
Mit Ende des Kosovokrieges unterstützte die albanische Diplomatie weiterhin rückhaltlos die westlichen Stabilisierungsbemühungen. Über Albanien liefen neben Makedonien die Hauptversorgungsrouten der KFOR-Soldaten, d. h. der von der NATO gestellten Kosovo-Schutztruppen. Auch den Plan zur Lösung des Kosovo-Status von UN-Unterhändler Martti Ahtisaari und die daraus folgende Unabhängigkeitserklärung des Kosovo begrüßte Albanien. Tirana sprach am 18. Februar 2008, einen Tag nach der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung durch das Parlament des Kosovo, seine Anerkennung aus und nahm diplomatische Beziehungen zum Kosovo auf.
Neben einem intensiven Austausch im Bereich der Universitäten bemüht sich Tirana seitdem auch um eine verbesserte infrastrukturelle Anbindung an Kosovo. Das herausragendste Projekt in diesem Bereich ist zweifellos die Autobahnverbindung zwischen Durrës und Kosovo, die im Jahre 2010 durch ein amerikanisch-türkisches Konsortium weitgehend fertiggestellt wurde und die Reisezeit zwischen beiden Staaten von etwa acht auf drei Stunden verkürzt.
Schwieriger Aufbruch zu regionaler Kooperation
Auch wenn die neunziger Jahre durch den Kosovokonflikt und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien überschattet waren, bemühte sich die albanische Diplomatie doch kontinuierlich um die Vertiefung der regionalen Kooperation mit den Nachbarländern. So erkannte Tirana den jungen Staat Makedonien bereits 1993 an, trotz Befürchtungen, dass dies die Beziehungen zum nicht minder wichtigen Nachbarn Griechenland belasten könnte. Albanien öffnete makedonischen Unternehmen in der Zeit der griechischen Blockade aufgrund des Namensstreits den Hafen von Durrës. Allerdings blieb das über Albanien abgewickelte Warenvolumen aufgrund der schlechten Straßenverbindungen noch gering.
Dennoch war die postsozialistische Transformationsphase nicht frei von Konflikten mit Makedonien; insbesondere das Anwachsen ethnischer Spannungen innerhalb Makedoniens nach der Eröffnung einer albanischsprachigen Universität in Tetovo bis hin zur Eskalation bewaffneter Konflikte im Frühjahr 2001 belastete die Beziehungen zu Albanien. Hervorzuheben ist dabei, dass die Diplomatie des Landes sich stets erfolgreich bemüht hat, dem Eindruck entgegenzuwirken, sie unterstütze radikalere Kreise unter den makedonischen Albanern. So machte Tirana klar, dass es die selbsternannte Universität von Tetovo ablehne, aber von Skopje die Schaffung universitärer Einrichtungen in albanischer Sprache einfordere. Dieser Forderung wurde 2001 durch die Errichtung der Südosteuropäischen Universität in Tetovo unter Schirmherrschaft des Hohen Kommissars der OSZE für Nationale Minderheiten, Max Van der Stoel, Rechnung getragen. Bereits im Vorfeld des Kosovokriegs hatte Premierminister Fatos Nano 1998 zweimal Makedonien mit hochrangigen politischen und Wirtschaftsdelegationen besucht. Damit war der Grundstein für eine Verbesserung der Beziehungen gelegt, die in den Folgejahren durch eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der infrastrukturellen Anbindung, aber auch durch eine bessere Vernetzung im polizeilichen und militärischen Bereich vertieft wurde. Entscheidende Infrastrukturprojekte zwischen Albanien und Makedonien waren der Ausbau der bestehenden Straßenverbindung zwischen beiden Ländern über den Pass Qafë e Thanë in der Nähe des Ohrid-Sees auf das Niveau einer modernen zweispurigen Fernstraße sowie der noch nicht abgeschlossene Bau der albanisch-bulgarisch-makedonischen Ölpipeline AMBO vom Schwarzmeerhafen Burgas nach Vlorë an der Adria. Beide Projekte gehören zum paneuropäischen Verkehrskorridor 8.
Neben Korridor 8 und der Kosovo-Autobahn gibt es eine dritte wichtige Verkehrsachse, die Albanien prioritär mit seinen Nachbarn entwickelt. Es handelt sich um die Adria-Straßenverbindung, die von Kroatien über Montenegro nach Igoumentisa in Griechenland führen soll. Während allerdings die Bauarbeiten an der Schnellstraßenverbindung im Süden nach Griechenland bereits weitgehend abgeschlossen sind, unterzeichneten Präsident Bamir Topi und sein montenegrinischer Amtskollege Filip Vujanović am 18. September 2009 in Podgorica nur eine Absichtserklärung zum Bau einer Schnellstraße zwischen beiden Ländern.
Diese Pläne sind auch ein Indiz für die deutliche Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen zu Montenegro seit dessen Unabhängigkeitserklärung am 3. Juni 2006. Albanien erkannte den Staat umgehend an. Dies war nicht überraschend, da Tirana bereits nach dem Ende des Kosovokrieges zaghaft begonnen hatte, direkte bilaterale Beziehungen zu Montenegro zu knüpfen, die nicht über Belgrad liefen. Die Wahl des späteren Premierministers Milo Djukanović zum Präsidenten Montenegros 1998 hatte der albanischen Diplomatie diese Annäherung deutlich erleichtert, da Djukanović ein erklärter Verfechter der Unabhängigkeit seines Landes von Serbien war und damit auch dem Anliegen einer Staatlichkeit des Kosovo grundsätzlich aufgeschlossener gegenüberstand. Diese Politik konnte auf eine gewisse Tradition zurückblicken. Die Beziehungen zwischen Albanien und Montenegro waren bereits in der ersten Hälfte der neunziger Jahre durch ein hohes Maß an nachbarschaftlichem Pragmatismus geprägt. Obwohl Montenegro als Teil Jugoslawiens unter einem UN-Embargo stand und Albanien die nationalistische Kriegspolitik des Milošević-Regimes scharf verurteilte, war es bis zum Ende des Bosnienkrieges Ende 1995 ein offenes Geheimnis, dass mit Duldung der Regierung in Tirana Treibstoffe über den Skutari-See nach Montenegro geschmuggelt wurden.
Somit hat es Albanien in den letzten zwanzig Jahren trotz einer Vielzahl innen- und außenpolitischer Widrigkeiten geschafft, Kurs hin zu einer konstruktiven Nachbarschaftspolitik zu halten und vor allem die Integration nach Europa und einer Anbindung an den Westen voranzutreiben. Den nächsten großen Schritt dorthin soll die Aufhebung des Visumszwanges der EU für Albaner markieren. Ende Mai 2010 sprach sich EU-Innenkommissarin Cecilia Malström dafür aus. Angesichts der verzweifelten Situation des Landes nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 kann das Land trotz aller Höhen und Tiefen insgesamt auf eine erfolgreiche postkommunistische Diplomatie verweisen.
Fußnoten:
-
Vgl. dazu die Hinweise im Beitrag von Michael Schmidt-Neke in vorliegendem Heft (S. 251 der gedruckten Ausgabe). ↩︎
-
Griechenland weigert sich bis heute, die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Makedonien unter diesem Namen anzuerkennen, und blockiert damit auch den Beitritt des Landes zur NATO und zur EU. Griechenland fürchtet territoriale Ansprüche Makedoniens auf Teile der gleichnamigen Regionen in Nordgriechenland (Anm. d. Redaktion). ↩︎
-
Zur Außenpolitik Albaniens vor Beginn des Kosovokrieges siehe auch Remzi Lani/Fabian Schmidt: Albanian Foreign Policy between Geography and History. In: The International Spectator. Italian Journal of International Affairs 33 (1998), Nr. 2, S. 79-103. ↩︎