Mehr Schutz für die Seen. Ein Gespräch mit Rita Adrian
Zusammenfassung
Die Folgen des Klimawandels für die Seen stehen weniger im Fokus der Aufmerksamkeit als die der Meere. Dabei ist die Artenvielfalt dort ebenfalls bedroht, sagt die Biologie-Professorin Rita Adrian. Sie ist emeritierte Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin* und eine der Mitautorinnen des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC, der im Februar 2022 veröffentlicht wird. Mit ihr sprach OWEP-Chefredakteurin Gemma Pörzgen.
*Ausführliche Informationen zum Institut und dessen Aufgaben finden sich unter https://www.igb-berlin.de/ueber-uns.
Was ist eigentlich ein See?
Ein See ist ein mehr oder weniger großes, in sich abgeschlossenes Standgewässer in der Landschaft. Nichtsdestotrotz stehen Seen im engen Austausch mit dem angrenzenden Umland und möglichen Zuflüssen. Seen sind überwiegend Süßgewässer.
Nun gibt es sehr verschiedene Seen weltweit. Überwiegen die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten?
Größe, Tiefe und der Nährstoffgehalt sind wesentliche Charakteristika von Seen, die sie unterscheiden. Größe und Tiefe bestimmen, wie schnell Seen sich aufwärmen, und bestimmen ihre thermische Struktur, das heißt den Grad der Durchmischung des Wasserkörpers. Der Nährstoffgehalt eines Sees steht im engen Zusammenhang mit seiner Lage. Das kann ein landwirtschaftlich genutztes Einzugsgebiet sein, ein unbelastetes Waldgebiet oder eine Stadt. Nährstoffreiche Seen liegen oft in bewohnten Gebieten, mit hoher Nährstoffzufuhr aus Landwirtschaft oder häuslichen Abwässern. Stoffeinträge wie Schwermetalle oder Pflanzenschutzmittel erfolgen ebenfalls über einfließende Flüsse. Der Nährstoffgehalt eines Sees bestimmt maßgeblich die Menge des Algenwachstums. Je nach geographischer Lage bilden Seen eine ganzjährige (Hochgebirgsseen) oder winterliche Eisbedeckung aus oder bleiben ganzjährig eisfrei.
Gibt es auch einen Unterschied zwischen natürlichen Seen und künstlichen Seen? Oder wird ein künstlicher See wie beispielsweise in der Lausitzer Seenlandschaft mit der Zeit auch ein natürlicher?
Die natürlichen Seen sind in unseren Breiten in der letzten Eiszeit entstanden. Die tektonischen Seen, wie der Baikalsee oder viele Seen in Afrika, sind viel älter. Unnatürliche Seen sind Talsperren oder Baggerseen. In den Lausitzer Seen kann man sehr schön die Erstbesiedlung studieren: Wer sind die Pionierarten und wie siedeln sich weitere Arten mit der Zeit an? Die natürliche Besiedelung mit Lebewesen erfolgt über die Luft, über Wasservögel oder den Wind. Mit der Zeit bilden sich dann Seen aus, die schwer von natürlichen Seen zu unterscheiden sind.
Wie steht es um die Artenvielfalt in den Seen?
Blickt man auf alle Süßgewässer, dann ist die Artenvielfalt noch bedrohter als in den Meeren oder den terrestrischen Ökosystemen. Fische und Amphibien der Süßgewässer – das sind die Hauptverlierer der fortschreitenden Umweltveränderungen. Obwohl Süßgewässer nur 0,8 Prozent der Erdoberfläche einnehmen, finden sich dort 9,5 Prozent der beschriebenen Tierarten. Fast ein Drittel der Arten auf der von der Weltnaturschutzunion IUCN1 geführten Liste sind vom Aussterben bedroht. Das liegt überwiegend an der Landnutzung und der Verbauung von Flüssen: Dammbildung, Trockenlegung, Eutrophierung.2 Der Klimawandel befördert die Fragmentierung von Flüssen durch Austrocknung, die Überdüngung von Seen sowie den Verlust von Sauerstoff und kaltem Tiefenwasser in Seen.
Haben Sie dazu ein Beispiel aus einem See?
Wir verlieren die kälteliebenden Arten und gewinnen wärmeliebende Arten. Kälteliebende Fischarten wie der Seesaibling, auch Rotforelle genannt, die Maräne im Stechlinsee oder die Felchen im Bodensee leiden doppelt unter dem Klimawandel. Ihnen machen die höheren Temperaturen und der Sauerstoffverlust im Tiefenwasser zu schaffen. Das liegt daran, dass die Seen sich mit dem Klimawandel jetzt häufiger thermisch schichten. Da trennen sich zwei Wasserkörper, der obere warme Wasserkörper von einem tiefen kalten Wasserkörper. Und wenn der Austausch zwischen oben und unten länger unterbunden ist, werden die tiefen Wasserbereiche weniger mit Sauerstoff versorgt.
Welche Auswirkungen hat das dann?
Wenn man das global betrachtet, haben wir in den letzten Dekaden im Durchschnitt vier Prozent Sauerstoff in den oberen Wasserschichten der Seen verloren. Im Tiefenwasser sind es sogar 17 Prozent. Dadurch hat ein Fisch im Tiefenwasser ein Sauerstoffdefizit, er muss nach oben ausweichen. Dort findet er zwar Sauerstoff vor, ist aber einem Hitzestress ausgesetzt, weil es oben für diese kälteliebenden Arten einfach zu warm ist. Deshalb sind das die Arten, die man in unseren Breiten als erstes verliert. Es konnte bereits gezeigt werden, dass sich die südliche Ausbreitungsgrenze kälteliebender Arten nach Norden verschiebt.
Wie dramatisch ist diese Entwicklung und wie wird ihr entgegengewirkt?
Es ist schwierig, da gegenzusteuern. Dem Klimawandel kann man nur erfolgreich begegnen, indem man die Treibhausgas-Emissionen stark reduziert. Dem Sauerstoffschwund kann man teilweise entgegenwirken, in dem man die Nährstoffkonzentration geringhält, also die Eutrophierung einschränkt. Sie befördert, dass sich Algenblüten ausbilden, bei deren mikrobiellem Abbau viel Sauerstoff verbraucht wird.
Haben Sie das Gefühl, dass diese Probleme in der Politik und in der Planung ausreichend präsent sind? Oder werden die Seen bei dieser Diskussion über den Klimawandel und dessen Auswirkungen häufig vergessen?
Man spricht traditionell von marinen und terrestrischen Ökosystemen. Das Süßwasser wurde oftmals dem terrestrischen zugeordnet. Da ist inzwischen jedoch ein Wandel eingetreten. Wir Süßwasserökologen versuchen, das aktiv zu verändern. Ich bin selbst leitende Autorin des Sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC. In diesem Bericht ist das Süßwasser recht stark vertreten. Ein anderes Beispiel ist der Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES.3 Dort ist das Süßwasser noch zu wenig vertreten ist, obgleich es weltweit die höchsten Biodiversitätsverluste im Süßwasser gibt.
Wirkt sich das auch auf die öffentliche Wahrnehmung aus?
Das Süßwasser sollte meiner Meinung nach viel prominenter in der Öffentlichkeit vorkommen. Die Meere haben so charismatische Arten wie den Eisbären und den Wal, die für große Aufmerksamkeit sorgen. Im Süßwasser kommen jedoch ebenfalls charismatische große Tiere vor, man nennt sie Megafauna. Das sind Arten mit einem Körpergewicht von mehr als 30 Kilo. Dazu zählen die Flusspferde, aber auch Störe, Krokodile oder Riesensalamander. In unseren Breiten sind es vielleicht eher die Biber. Im Baikalsee haben wir die Baikalrobbe, eine Süßwasserrobbe. Das sind auch alles Spezies, die bedroht sind und unseren Schutz verdienen. Dass mehr für den Umweltschutz getan werden muss, gilt eben auch für unsere Seen.
Eigentlich erstaunlich, dass da das Interesse geringer zu sein scheint als bei den Meeren? Die Seen sind uns doch häufig näher?
Zum Meer fahren wir eigentlich nur, wenn wir in den Urlaub fahren. Dann sieht man oft vom Meer wenig, sondern eher den Strand. Insofern sollte uns eigentlich ein See näher sein. Da fährt man eher mal am Abend mit dem Rad hin. Vielleicht ist die Existenz der Seen deshalb scheinbar so selbstverständlich. Das ist schon fast eine philosophische Frage.
Sorgen wir uns angesichts des Klimawandels zu wenig um den See?
Ja, wir sorgen uns als Gesellschaft vor allem zu wenig um den Klimawandel und den Schutz der Natur. Da sind die Seen keine Ausnahme. Wir erleben nun seit mehr als 30 Jahren den Klimawandel, auch durch die Zunahme der Extremwetterlagen. Die Leute mussten das inzwischen ziemlich schmerzlich erfahren. Von der Politik erwarte ich, dass sie ihrer Vorsorgepflicht besser nachkommt.
Stand die Nutzung der Seen zu lange im Vordergrund?
Natur hat ganz generell einen inhärenten Wert – und der sollte ernst genommen werden. Das schließt nicht aus, dass wir Seen beispielsweise als Badegewässer nutzen. Aber das setzt einen guten ökologischen Zustand voraus. Beim Schwimmen oder für das Gewinnen von Trinkwasser sind Algenblüten nachteilig. Auch die kommerzielle Fischerei ist auf eine gewisse Wasserqualität angewiesen. In der angewandten Forschung stand dadurch vor allem im Vordergrund, wie das Gewässer in einem guten Zustand für die Nutzung durch den Menschen erhalten bleibt. Da gibt es zum Glück inzwischen ein Umdenken, damit Nutzung und Naturschutz zusammengehen.
Fußnoten:
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Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die für den Natur- und Artenschutz sensibilisieren will. ↩︎
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Von Eutrophierung spricht man, wenn zu viele Nährstoffe für eine Überdüngung des Gewässers sorgen. ↩︎
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„Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services“ (IPBES) ist eine UN-Organisation mit 136 Mitgliedsstaaten zur wissenschaftlichen Politikberatung sowie zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen. ↩︎