Monastisches Leben heute – ein Erfahrungsbericht
Zusammenfassung
Im Zuge der gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüche im Europa der Moderne sind auch die Klöster und Orden in der katholischen Kirche in eine Krise geraten, deren Ende noch nicht in Sicht ist. Vor diesem Hintergrund beschreibt der Autor die Ursprünge und die geschichtliche Entwicklung des Kloster- und Ordenslebens und fragt nach den Chancen, die sich in der Krise auftun.
Mönchtum und Ordensleben
Wenn man die Frage nach dem monastischen Leben heute stellt, so gilt es zunächst zu differenzieren in der allgemeinen Unübersichtlichkeit des Ordenslebens in der katholischen Kirche. Der Begriff „monastisch“ bezieht sich auf das Mönch- und Monialentum im klassischen Sinne, ist also vom umfassenderen Begriff des Ordenslebens zu unterscheiden. Mönchtum meint im Christentum eine Intensivierungsbewegung, die mit der Tendenz zur Volkskirche beginnt. Dann, wenn „man“ nun Christ ist, entsteht bei einigen Gläubigen die Sehnsucht nach einer besonderen Gottesbegegnung, die sich in der Ausrichtung des ganzen Lebens auf Gebet und Gottesdienst, in der vita contemplativa, verwirklichen will. Das drückt sich schon im Begriff des monachos aus, in dem das griechische mono-, „allein“, die Erinnerung an die eremitischen Ursprünge bewahrt hat. Davon zu unterscheiden sind in der katholischen Tradition die späteren, im Mittelalter und vor allem in der Neuzeit erfolgenden Gründungen der Orden und Kongregationen, die sich häufig einer spezifischen Aufgabe der kirchlichen Missions- und Sozialarbeit annehmen, wo also die vita activa dominiert oder zumindest der vita contemplativa nicht nachgeordnet erscheint.
Diese Entwicklung zum Ordensleben haben die orthodoxen Kirchen nicht vollzogen; hier bleibt das Mönchtum in seiner primär kontemplativen Ausrichtung die einzige Form des geweihten Lebens. Trotzdem wird in der römisch-katholischen Kirche das Mönchtum kanonisch in den Ordensstand integriert und gliedert sich in den Ordo Sancti Benedicti und seine Reformzweige der Zisterzienser und Trappisten, die alle nach der Regel des heiligen Benedikt leben. Dazu kommt noch die stärker eremitisch ausgerichtete Form der Kartäuser. Statistisch gab es 2015 weltweit 6.970 Benediktinermönche und 13.725 Benediktinerinnen, was einen Rückgang von 40-50 Prozent in den letzten 50 Jahren bedeutet.
Mönchtum und Geschichte: spezifische Entwicklungen im Abendland
Während man im Osten von Mönchen und Monialen (Nonnen) in zumeist dem jeweiligen Diözesanbischof unterstellten Klöstern auszugehen hat, erhielten die Abteien im Abendland eine große Autonomie – die Exemtion von bischöflicher Aufsicht –, sie sind also kanonisch gesprochen päpstlichen Rechts, was sich auch in der Infulierung der Äbte mit den pontifikalen Insignien ausdrückte. Allerdings unterlagen sie der starken Einflussnahme weltlicher Herren. Vor allem die Neuordnung und Vereinheitlichung des Mönchtums unter den Karolingern brachte die entscheidende, letztlich bis heute wirksame Modifizierung, die Klerikalisierung und Intellektualisierung des Mönchtums im Abendland. Westliche Mönche wurden von Handarbeitern – wie es die Regel des heiligen Benedikt vorschrieb – zu Kopfarbeitern „umfunktioniert“, d. h. zu Priestern, Seelsorgern, Schreibern, Lehrern und Wissenschaftlern. Dafür wurden sie vom Adel mit oft umfassenden Ländereien ausgestattet, und die Klöster gerieten in den Sog der Feudalisierung.
Im Einsatz für und im Widerstand gegen diese Entwicklung lässt sich die westliche Geschichte des Mönchtums komprimieren. Die Reformbewegungen – wie die zisterziensische oder trappistische, aber auch solche des 19. und 20. Jahrhunderts – versuchten immer wieder, die ursprüngliche Intention des kontemplativen Lebens, die Gottsuche in Stille und Einsamkeit zu restaurieren. So bestimmte die Diskussion, ob monastische Klöster etwa Schulen führen sollten, das Früh- und Hochmittelalter und ist bis in unsere Tage nicht verstummt. Man muss daher heute im westkirchlichen Kontext zwischen moderaten und strikteren Formen in Bezug auf das kontemplative Leben differenzieren, die sich im Alltag deutlich ausprägen. Ein großer Unterschied im monastischen Leben unserer Tage besteht darin, ob ein Mönch als Lehrer oder Pfarrer fast den ganzen Tag mit anderen Menschen beschäftigt ist oder innerhalb der Klostermauern mit stiller Handarbeit, wo dann die häufigen kleineren Gebetszeiten die Gestaltung des Tages wesentlich prägen. Dies ist hier nicht als Bewertung, sondern als nüchterne Analyse zu verstehen, beide Formen haben ihre Bedeutung für den Aufbau des Leibes Christi.
Auffälligerweise sondiert sich dies heute regionen- und geschlechtsspezifisch. Frauenklöster leben oft noch stark klausuriert, was natürlich durch die bisherige „Gender-Politik“ der Kirche mitbedingt ist, während sich männliche Konvente oft nur noch zeitweise – vom Abend bis zum Morgen – im Bereich der Klausur aufhalten. Auch zeigen die Klöster in den früheren großen katholischen Herrschaftsgebieten Mittel- und Ostmitteleuropas – Habsburg, Bayern, Polen – ein nach außen tätiges Mönchtum, während sich gerade im frankophonen Raum heute das Mönchtum deutlich kontemplativer definiert, also die meisten Klöster keine Schulen, Seelsorge oder Bildungshäuser betreiben. Die Gründe für diese regionale Sondierung mögen vielfältig sein; sicherlich spielen historische Ursachen eine Rolle, dennoch stellt sich auch die Frage nach unterschiedlichen Mentalitäten. Warum genügt in Deutschland heute ein einziges strikt kontemplatives Kloster (Kartause Marienau) – das zweite (Trappisten von Mariawald) wurde vor kurzem geschlossen –, während schon im viel kleineren Belgien eine große Zahl von Trappistenniederlassungen festzustellen ist, von der Dichte kontemplativer Klöster in Frankreich ganz zu schweigen?
Dass hingegen der orthodoxe Osten schon immer mehr „mystisch“ veranlagt zu sein scheint, zeigt sich etwa in der Liturgie, in der Bewahrung kontemplativer Methoden wie dem Herzensgebet1, aber auch in der Architekturgeschichte (der Osten kennt von Anfang an die Zelle als Einzelraum und Rückzugsort des Mönches für das innere Gebet, während der Westen zunächst alles gemeinsam tat, also uniformer erscheint).
Mönchtum und Gegenwart: die Herausforderung der Moderne
Monastisches und modernes Leben scheinen kaum mehr als die beiden Anfangsbuchstaben gemein zu haben. Zumindest der Ursprungsintention des Mönchtums ist die Moderne direkt entgegengesetzt, was sich in ihren beiden entscheidenden technischen Revolutionen – der maschinellen und der medialen – deutlich zeigt, die beide zentrifugal orientiert sind, weg vom Zentrum, weg von der inneren Mitte treiben, während das Mönchtum eine Bewegung der Konzentration zum Zentrum, zur inneren Mitte hin anstrebt. Während die moderne Technik den Menschen in die äußere Bewegung treibt, in die Mobilität der Fortbewegung und des medialen Unterwegsseins in den Bild- oder Informationsströmen des Netzes, zeigt sich monastisches Leben in seiner Grundausrichtung eher als mystisches Unternehmen, die Gottsuche in der Stille, im Herzen, in Gebet und Meditation. Nur von daher werden zunächst die großen „Verweigerungen“ von Partnerschaft und Familie (monachos als Alleinlebender) und von „Welt“ (clostrum als das Abgeschlossene) überhaupt verständlich. Ohne die in allen Traditionen und in aller Mystik (von griechisch myein, die Augen schließen) verbreitete Erfahrung, dass Gott nur in der Kehre nach innen und damit implizit dem Abschluss von außen zu finden ist, scheint die ursprüngliche monastische Intention eine sinnlose Veranstaltung zu sein.
Während im ostkirchlichen Kontext hierüber weitgehender Konsens besteht, hat sich im Westen aufgrund vielfältiger geschichtlicher Bedingungen die Einstellung zum monastischen Leben modifiziert und pluralisiert, ja individualisiert. Zu den schon erwähnten Entwicklungen der Karolingerzeit kamen später die Beeinflussungen durch die Reformation, die Aufklärung und schließlich die Moderne, die heute zu unterschiedlichen Ansätzen im monastischen Leben führen. So können die Präferenzen der einzelnen Klosterinsassen vor allem bei der Arbeit und den Aufgabenfeldern, aber auch in der Gemeinschaft oder gar in der individuellen Unabhängigkeit liegen. Eine zentrale Aufgabe monastischer Gemeinschaften besteht heute in der discretio, der guten Unterscheidung zwischen dem, was unaufgebbar zur eigenen monastischen Identität gehört, und dem, was sich überlebt hat, was modernen Zeitumständen anzupassen ist.
Klöster sind so immer Spiegel ihrer Gesellschaft und Zeit, da sie kein Diasporamodell befolgen – eine sich in fremder Umwelt selbst generierende Gemeinde –, sondern der Nachwuchs aus der umgebenden Welt kommen muss. Bei insgesamt kleiner werdenden Gemeinschaften und im Durchschnitt höherem Eintrittsalter der Novizen ist verständlich, dass jeder Neueintritt bereits eine Veränderung der Gemeinschaft implizieren kann und sich so eine ständige Anpassung an Zeittendenzen in den Klöstern vollzieht. Studien sprechen von einem inzwischen hohen Individualisierungsgrad bei monastischen Personen – teilweise höher als bei vergleichbaren Altersgenossen im säkularen Umfeld. Es ist ein stetiger Rückgang der Uniformität in westlichen Klöstern zu konstatieren, was sich schon im direkten Umgang mit der „Uniform“, dem Habit, selbst zeigt: Bei männlichen Konventualen ist hier die Praxis – zumindest außerhalb der liturgischen Zeiten – sehr individuell bestimmt.
Im ostkirchlichen Mönchtum gibt es hier große Unterschiede, dennoch sind nach meinen eigenen Erfahrungen von Klosterbesuchen vor allem in ländlichen und eher abgelegenen Regionen noch vormoderne Strukturen zu finden. Trotz der Herausforderung des Kommunismus haben sich in den Ostkirchen angestammte Traditionen der Volksfrömmigkeit, aber auch soziale Institutionen wie die Großfamilie, stärker erhalten, die zu teilweise erstaunlichen Nachwuchszahlen mit eher traditioneller Frömmigkeitshaltung führen können, so wie es im Westen im katholischen Milieu bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts auch zu finden war. So konnte ich vor ein paar Jahren in der rumänischen Moldau ein Frauenkloster mit ca. 40 Novizinnen besuchen. Allerdings ist hier der Trend nach Auskunft der Äbtissin auch zurückgehend, und es gibt inzwischen – vergleichbar zum Westen – das Phänomen der Neubekehrten aus dem städtischen und eher intellektuellen Milieu, wenn auch in weitaus geringerer Zahl.
Mönchtum und Zukunft: neue Chancen?
Waren und sind die Klöster in den Ostkirchen nach wie vor Zentren der Frömmigkeit, der Wallfahrt, der geistlichen Begleitung, so war die Stellung des Mönchtums in der katholischen Kirche nach dem Hochmittelalter eine andere. Es blieb eher ein Seitenstrang der katholischen Frömmigkeit, schon durch seine Sprache (Latein) und seine Liturgie (gregorianischer Choral) von den übrigen Gläubigen geschieden. Im Unterschied zum Osten entwickelte sich in der katholischen Kirche eine eigene Andachtsspiritualität der Gläubigen (Rosenkranz, Litaneien, Wallfahrten usw.), die mit der monastischen Liturgie kaum in Berührung kam. (C) Am Chor der Mönche nahmen nur einzelne, meist intellektuell geprägte Gläubige teil, während die Spiritualität der Gläubigen in der Ostkirche eher eine reduziert monastische genannt werden kann – oder umgekehrt: das Gebet der Mönche und Nonnen auch viele Formen der Volksfrömmigkeit (wie Bilderverehrung oder Prozessionen) aufgenommen hat. Hier sind das Mönchtum und seine Klöster so etwas wie das „Herz“ der Orthodoxie, was man für die katholische Kirche so sicher nicht sagen kann.
Allerdings ist in neuerer Zeit – mit dem Schwund volkskirchlicher Strukturen und zunehmender Säkularisierung – eine gewisse Veränderung festzustellen. Westliche Klöster werden inzwischen vermehrt zu Zentren für eine wachsende Zahl von Gläubigen, zu „Oasen“ der Stille oder „Biotopen“ des Glaubens. Sie werden zu „Andersorten“ (Michel Foucault), da innerhalb ihrer Mauern andere Gesetze, Rhythmen und Gewohnheiten herrschen als in der modernen Umwelt. Schon die Architektur strahlt aufgrund ihres oft hohen Alters und ihrer ideellen, nicht-funktionalen Idee für Menschen aus der „Welt“ eine spirituelle Atmosphäre aus, die einlädt zur Sammlung und Konzentration. Das westliche Kloster um den Kreuzgang ist wohl das älteste, seit dem Plan von St. Gallen belegte Architekturmodell des Abendlandes, das so etwas wie die „gebaute Regel“ darstellt. Dazu herrschen hier andere Zeitabläufe, die vor allem beim Mitleben im Projekt eines „Kloster-auf-Zeit“ als prägend erlebt werden. Zu dieser grundlegenden Raum-Zeit-Erfahrung kommen dann die spezifischen Angebote der Gottesdienste und Gebetszeiten, von Kursen, Exerzitien und Einzelbegleitung, die so gerade die monastischen Klöster in der katholischen Kirche zu „Kraftorten“ oder schöpferischen Zentren für Gläubige, aber auch suchende (Noch?)-Nicht-Gläubige werden lassen. So gibt es eine wachsende Zahl von Menschen in der Moderne, für die Klöster ihre geistliche Heimat sind. Allerdings tut sich hier eine für die Klöster selbst nicht unproblematische Spannung auf, indem die Anziehungskraft nach außen wächst, die Kerngemeinschaft der Mönche selbst aber eher kleiner wird, was dann zu vermehrten Belastungen der Mönche selbst führen kann. Es gibt eine Tendenz zum Klosterbesuch oder -aufenthalt, aber nicht zum Eintritt. Wie diese Schere zu bewältigen sein wird, muss die Zukunft zeigen, da nicht-monastisches Personal dies oft nur im funktionalen Sinne ausgleichen kann.
Fußnote:
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Zur Bedeutung des Herzens- oder Jesusgebets vgl. auch Gregor Hohmann: Reichtum für alle. Die Bedeutung der ostkirchlichen Spiritualität für das westliche Christentum. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 10 (2009), H. 3, S. 203-211, bes. S. 208 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎