Umweltsorgen in Zentralasien. Ein Gespräch mit dem kasachischen Anwalt Vadim Ni
Zusammenfassung
Zentralasien hat viele Umweltprobleme, die von den Regierungen in der Region trotz zahlreicher Initiativen nicht wirklich angepackt werden. Auch die Bevölkerung muss aktiver werden und ein stärkeres Umweltbewusstsein entwickeln. Vadim Ni ist seit 20 Jahren einer von wenigen Umweltanwälten in Zentralasien. Er lebt in Kasachstan und ist Vorsitzender der NGO „Social Ecological Fund“ sowie Mitglied eines Ausschusses der UNECE-Wasserkonvention. – Das Gespräch führte die Journalistin Dr. Birgit Brauer.
Was sind derzeit die wichtigsten Umweltthemen in Zentralasien?
Wasser ist das Hauptthema, da es alle fünf Staaten miteinander verbindet. Es gibt zwei Länder, Kirgistan und Tadschikistan, die sich an den Oberläufen der grenzüberschreitenden Flüsse befinden. Sie versorgen die anderen drei, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan, die an den Unterläufen liegen, im Sommer mit Wasser für die Bewässerung in der Landwirtschaft. Im Gegenzug erhalten diese im Winter Strom. In der postsowjetischen Zeit ist das bis heute eine Herausforderung, weil dieser vormals zentralisierte Mechanismus offensichtlich nicht mehr funktioniert.
Dann haben wir die Austrocknung des Aralsees, die vor allem Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan betrifft. Er war einmal der viertgrößte Binnensee der Welt, ist aber bereits in mehrere Teile zerfallen.
Ein weiteres Thema ist noch relativ neu. Usbekistan plant, ein Atomkraftwerk in der Region Navoi nahe der Grenze zu Kasachstan zu bauen. Auch in Kasachstan wird darüber nachgedacht, ein Atomkraftwerk am Balchaschsee im Südosten des Landes zu bauen. Eine Entscheidung dazu steht noch aus.
Gibt es drei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit nach wie vor Probleme, das Wasser in der Region untereinander aufzuteilen?
Kasachstan und Kirgistan halten sich weitgehend an die Vorgaben. Die einzige Beschwerde von kasachischer Seite ist, dass sie im Sommer nicht genug Wasser haben, um die Felder zu bewässern.
Seit dem Tod des früheren usbekischen Präsidenten Islam Karimow hat sein Nachfolger Schawkat Mirsijojew die Beziehungen zu Kirgistan und Tadschikistan sehr stark verbessert. Dadurch finden die Staaten miteinander neue Lösungen.
Unter welchen Umweltproblemen leidet Kasachstan am meisten?
Die Luftverschmutzung gilt in vielen Städten als größte Herausforderung, weil der Autoverkehr und damit auch die Luftverschmutzung zugenommen haben.
Ein weiteres Problem ist die Abfallwirtschaft. Die meisten Mülldeponien wurden nicht saniert. Nur in unserer Hauptstadt Nur-Sultan gibt es eine moderne Deponie. Alle anderen stammen noch aus sowjetischer Zeit.
Viele Menschen in Kasachstan haben meiner Erfahrung nach die Angewohnheit, ihren Müll an Flüssen, entlang der Landstraßen oder in den Bergen einfach liegen zu lassen. Wir beurteilen Sie dieses Verhalten?
Ja, in ländlichen Gebieten haben die Menschen die schlechte Angewohnheit, ihren Müll an den Flussufern zurückzulassen. In einigen Regionen wird der Müll in Erdlöcher gekippt. Solange er nicht mehr zu sehen ist, scheint das für viele in Ordnung zu sein.
Ist das auch in anderen zentralasiatischen Ländern so?
Ja, in den ländlichen Gebieten Kirgistans. Sie müssen für ihren Hausmüll einen Container kaufen, obwohl es Mülltrennung gibt. Dafür muss man eine Gebühr entrichten. Das gefällt nicht allen, und viele machen nicht mit. In Tadschikistan ist es schwierig, überhaupt Abfallentsorgungsdienste zu finden.
In Kasachstan werden manchmal private Firmen angeheuert, um den Müll abzuholen, und diese laden ihn irgendwo in der Steppe ab. Es ist ein großes Land und das ist nicht leicht zu überwachen.
Gibt es keine Gesetze, die den Umgang mit Müll regeln?
99,99 Prozent der Bevölkerung kennt keine Regeln für die Mülltrennung. Die Bestimmungen sind sehr allgemein gehalten. Die Menschen wissen nicht, was sie mit dem Abfall tun sollen. Die Stadtverwaltungen beauftragen private Unternehmen, aber diese werden nicht ausreichend überwacht. Sie denken, dass der Markt alle Probleme löst, aber bei der Abfalltrennung klappt das so nicht.
Was wird gegen Luftverschmutzung unternommen?
Es gibt keine Gesetze gegen Luftverschmutzung. In der Stadt Almaty steht ein kohlebetriebenes Heizwerk. Im Winter ist die Luft so grau, dass man oben von den Bergen aus die Stadt nicht mehr sehen kann. Es werden Gespräche mit dem Umweltministerium geführt. Vielleicht werden sie 2024 anfangen, das Heizwerk zu sanieren.
Gleichzeitig gibt es auch Fortschritte, zumindest in Almaty. Die Stadt versucht, die Nutzung von Privatfahrzeugen einzuschränken. Es werden jetzt Fahrrad- und Busspuren ausgewiesen. Sie sind der Politik eines aufgeklärten Bürgermeisters zu verdanken.
Gibt es diese Umweltprobleme vor allem in Städten wie Almaty und Nur-Sultan oder landesweit?
Das sind landesweite Probleme. Im zentralen und nördlichen Teil des Landes ist viel Industrie und dort wird nichts gegen die Luftverschmutzung getan. In einigen Fabriken gibt es zwar Luftfilter, aber sie funktionieren oft gar nicht. In Aktobe nahe der russischen Grenze gibt es beispielsweise ein Eisenlegierungswerk. Es gibt zwar Filter, die in den 1990er Jahren funktionierten, dann war aber niemand vor Ort, der sie warten konnte, und jetzt funktionieren sie nicht mehr.
Ist in den Nachbarländern die Luft ähnlich verschmutzt wie in Kasachstan?
In Usbekistan verwendet man Gas für Autos, kein Benzin. In Tadschikistan und Kirgistan ist die Situation schlimmer. In Tadschikistan gab es lange gar keine Zentralheizung, nur elektrische Heizungen. Vor einigen Jahren wurde ein kohlebetriebenes Heizwerk gebaut und die Luftverschmutzung hat prompt zugenommen.
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Zentralasien?
Kasachstan hält sich an das Kyoto-Protokoll, weshalb wir über ein System zur Überwachung und Verifizierung unserer Treibhausgasemissionen verfügen. Es gibt auch ein Emissionshandelssystem, ähnlich dem in Europa, das 45 Prozent unserer CO2-Emissionen abdeckt.
Unsere Informationen über die Treibhausgase sind zuverlässiger als über die Umweltverschmutzung. Die Informationen über Schadstoffe lassen sich nicht verifizieren. Aber wir haben ein unabhängiges System, um das Treibhausgasvorkommen für mehr als hundert Betriebe zu überprüfen. Wir erhöhen den Anteil unserer erneuerbaren Energien und werden bis Ende 2020 bei fast drei Prozent liegen.
Und der Temperaturanstieg?
Ein großes Problem ist das Abschmelzen der Gletscher, das die Flüsse in der Region verändern und zu mehr Überschwemmungen führen wird. In den Städten wird das Trinkwasser knapp. In der Landwirtschaft wird das Wasser fehlen, was sich auf die Produktion von Weizen in Kasachstan und von Baumwolle in Usbekistan auswirken wird.
Welche Gesetze werden angesichts des Klimawandels benötigt?
Selbst wenn es zu regionalen Abkommen käme, würden solche Verträge nicht funktionieren. Niemand hält sich daran.