Unabhängige Journalisten und Medien unter Druck

aus OWEP 1/2021  •  von Gemma Pörzgen

Gemma Pörzgen ist Chefredakteurin von „OST-WEST. Europäische Perspektiven“ und arbeitet als freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt in Berlin. Sie ist Mitgründerin der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen und ehrenamtliches Vorstandsmitglied.

Zusammenfassung

Seit Beginn der landesweiten Proteste in Belarus spielen digitale Medien eine zentrale Rolle. Die Demonstranten nutzen vor allem die Nachrichten-App „Telegram“, um schnell zu kommunizieren, zu Streiks aufzurufen, sich zu vernetzen und zu informieren. Auch Hilfsangebote von Anwälten und Menschenrechtsaktivisten werden so vermittelt.

Trotz der Dominanz des staatlichen Fernsehens und anderer Regierungsmedien existiert im autoritär regierten Belarus seit Jahren eine Nische für unabhängige Informationsangebote im Internet. Die belarussische Führung setzt deshalb im Kampf um den Machterhalt auf eine massive Unterdrückung unabhängiger Medien und geht brutal gegen kritische Journalistinnen und Journalisten vor. „Seit dem Tag der Präsidentschaftswahl haben die Machthaber in Belarus einen wahren Krieg gegen Journalistinnen und Journalisten angezettelt“, beschreibt der stellvertretende Vorsitzende der Belarussischen Journalistenvereinigung (BAJ), Barys Harezki, die Lage.1 Seit der Präsidentenwahl am 9. August 2020 wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (RSF) mindestens 370 Journalistinnen und Journalisten festgenommen. In den meisten Fällen wurden kurze Arreststrafen verhängt.

Doch inzwischen nimmt auch die Zahl der Strafprozesse gegen Medienschaffende zu, die mit jahrelangen Haftstrafen enden können. Seit dem 15. November 2020 sitzen nach RSF-Angaben drei Journalistinnen in Haft: Daria Chultsova (Belsat TV), Katsiaryna Andreyeva (Belsat TV), Katsiaryna Barysevich (TUT.BY). Der Fall von Andreyeva ist für die Willkür des Staates beispielhaft: Die Minsker Reporterin des von Polen aus operierenden Exil-Fernsehsenders Belsat war am 15. November 2020 in einer Wohnung festgenommen worden, weil sie von dort aus filmte, wie die Sicherheitskräfte gerade eine Demonstration gewaltsam auflösten. Nach Schilderung der Journalistin brachen zehn Sicherheitskräfte die Tür auf, drangen in die Wohnung ein und nahmen sie fest.

Zunächst wurde gegen die Journalistin eine siebentägige Arreststrafen wegen „Teilnahme an ungenehmigten Veranstaltungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt“ verhängt. Fünf Tage später wurde sie nach Artikel 342 des belarussischen Strafgesetzbuches („Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder eine aktive Teilnahme daran“) angeklagt und sollte zunächst bis zum 20. Januar in Haft bleiben. Im Fall einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Gefängnis.

Gewalt gegen Journalisten

Die direkte Gewalt gegen Medienvertreter gehört in Belarus inzwischen zum Alltag. „Mehr als 60 Kolleginnen und Kollegen wurden Opfer von Gewalt durch staatliche Stellen“, sagt Harezki. „Einige wurden brutal geschlagen, andere von Gummigeschossen getroffen und mussten ins Krankenhaus.“

Aber auch die Medien selbst sind Ziel der staatlichen Repression. Seit Ende August weigern sich die staatlichen Druckereien, nicht-staatliche Zeitungen wie „Narodnaya Volya“, „Komsomolskaya Pravda in Belarus“, „Svobodnye Novosti Plus“ und „BelGazeta“ zu drucken. Einige Redaktionen versuchen seither ins Ausland auszuweichen, um zu drucken. Außerdem weigert sich der staatliche Vertrieb trotz bestehender Verträge, die Publikationen weiter auszuliefern.

Zielscheibe sind aber vor allem die digitalen Medien, deren Einfluss das Regime besonders fürchtet. So wurde das Internet nach BAJ-Angaben am Tag der Präsidentenwahl für mehrere Tage in Folge blockiert.2 Seither wird der Zugang zum Netz immer wieder unterbrochen. Um die Bevölkerung von unabhängigen Informationen abzuschneiden, sperrte das Informationsministerium zwischendurch mehr als 70 Webseiten, wie BAJ dokumentiert. Bereits am 29. September entzog das Informationsministerium der reichweitenstärksten belarussischen Nachrichtenseite Tut.by mit knapp 350.000 Abonnenten für drei Monate den Status eines Massenmediums. Journalistinnen und Journalisten offiziell registrierter Massenmedien haben in Belarus – zumindest auf dem Papier – besondere Rechte bei der Berichterstattung etwa von Großveranstaltungen und Demonstrationen. Das Portal erreicht nach eigenen Angaben rund 70 Prozent aller Internetnutzer in Belarus, die Seite wurde im August 2020 etwa 420.000 Mal aufgerufen. Das Informationsministerium hatte Tut.by in jüngerer Zeit viermal wegen angeblicher Verstöße gegen das Mediengesetz verwarnt und versucht auf dieser Grundlage seit Mitte September, die Arbeit des Portals gerichtlich verbieten zu lassen.

Blockiert wurde auch der populäre Telegram-Kanal „Nexta Live“, weil die Behörden ihm vorwerfen, angeblich extremistisches Material zu verbreiten. Hintergrund ist eher, dass fast zwei Millionen Menschen „Nexta Live“ folgen, darunter auch viele ausländische Journalisten, die das dort verbreitete Material als Quelle für ihre Berichterstattung nutzen. Der Telegram-Kanal hat seinen Sitz in Polen und wird von belarussischen Aktivisten betrieben, die vor allem Bilder und Videos aus allen Teilen des Landes veröffentlichen.

Ohne diese Kommunikationskanäle würde man vieles nicht erfahren können, was sich in Belarus alltäglich ereignet, denn zahlreichen Vertretern ausländischer Medien wird die Einreise ins Land und eine Akkreditierung verwehrt. Dadurch sind die Möglichkeiten der Auslandsberichterstattung über die Lage in Belarus massiv eingeschränkt und nur wenige internationale Berichterstatter vor Ort.

Schwierige Auslandsberichterstattung

Allein im August 2020 wurde rund um die Präsidentenwahl etwa 50 ausländischen Journalisten die Einreise untersagt, berichtet BAJ. Für Aufsehen sorgte der Umgang mit zwei russischen ARD-Mitarbeitern sowie dem belarussische ARD-Producer Ilja Kusnezow. Sie wurden am 28. August vor ihrem Hotel festgenommen und stundenlang auf einer Polizeiwache festgehalten. Ihre Akkreditierungen wurden rückwirkend für ungültig erklärt. Die Behörden warfen ihnen vor, sie hätten illegal in Belarus gearbeitet. Die russischen Mitarbeiter mussten das Land innerhalb weniger Stunden verlassen und erhielten ein Einreiseverbot für die kommenden fünf Jahre.

Entzug der Akkreditierungen für Belarus

Anfang Oktober entzogen die belarussischen Behörden allen ausländischen Journalistinnen und Journalisten mit sofortiger Wirkung ihre Akkreditierungen. Die Verordnung zur Vergabe der Arbeitsgenehmigungen sei aktualisiert worden, deshalb seien die bisherigen Papiere ungültig und könnten ab Montag neu beantragt werden, hieß es aus dem Außenministerium. Diese Maßnahme traf auch viele lokale Mitarbeiter internationaler Medien. Betroffen von der Neuregelung waren unter anderem die ARD und die Deutsche Welle sowie die Nachrichtenagenturen Reuters, Associated Press (AFP), Agence France Press (AFP), aber auch der Auslandssender BBC. Diverse Medienvertreter versuchen seither vergeblich, neue Akkreditierungen zu erhalten. Nur vereinzelt kommen wieder Kollegen ins Land, wie beispielsweise der ARD-Korrespondent Jo Angerer.

Die Corona-Pandemie erschwert die Lage zusätzlich: Deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten mit Sitz in Moskau, die bei den meisten Medien ebenfalls für die Berichterstattung über Belarus zuständig sind und über gültige Akkreditierungen verfügen, können wegen der Reisebeschränkungen nicht zwischen Russland und Belarus hin- und herpendeln. Wer einmal aus Russland ausgereist ist, kann möglicherweise für Monate nicht auf seinen regulären Korrespondentenposten in Moskau zurück.

Umso wichtiger bleibt weiter die internationale Aufmerksamkeit und Solidarität für die belarussische Medienszene. Der Deutsche Bundestag verabschiedete Anfang November einen Appell an die Bundesregierung, Journalisten in Belarus zu unterstützen, die von der Repression getroffen wurden. Es sollen auch unabhängige belarussische Medien im Land sowie deren Ableger im Ausland stärker gefördert werden. Doch bislang ist eine konkrete Umsetzung solcher Hilfsmaßnahmen nicht in Sicht.


Fußnoten:


  1. Stimmen aus Belarus: Medienschaffende berichten über ihre Arbeit. Webseite Reporter ohne Grenzen, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus/stimmen-aus-belarus ↩︎

  2. BAJ-Bericht: Mass-Media during the Presidential Elections and the Post-Election Period, 19.11.2020; https://baj.by/en/analytics/e-newsletter-3-62-2020-mass-media-during-presidential-elections-and-post-election-period (Link mittlerweile inaktiv!) ↩︎