Wenn Visionen neue Seen schaffen
Zusammenfassung
Die brandenburgische Kleinstadt Großräschen gilt als Tor zum Lausitzer Seenland. Dort wurden künstliche Seen geschaffen, um den Strukturwandel nach dem Ende des Braunkohle-Tagebaus zu bewältigen. Aber der Klimawandel und die Dürre vergangener Jahre sind auch am Großräschener See zu spüren. Schwimmen und Bötchen fahren ist hier bisher verboten.
Von der Kraterlandschaft zum See
Von der Victoriahöhe bietet sich ein weiter Blick über den Großräschener See. Die Aussichtsplattform ist der höchste Punkt, von dem aus sich das ganze künstliche Landschaftsprojekt vor den Besuchern ausbreitet. Der tiefblaue See glitzert in der Herbstsonne. Am Ufer sind an den Hängen Weinreben gepflanzt, ein 16 Kilometer langer Fahrradweg führt rund um den riesigen See. Im Café auf der Promenade finden sich in der warmen Herbstsonne am Vormittag die ersten Gäste ein. Nur wenige Meter weiter ragt ein stählerner Steg in das Wasser – eine ehemalige Förderbrücke aus der Zeit des Braunkohle-Tagebaus der DDR, der diese ganze Gegend noch vor wenigen Jahren wie eine unwirtliche Kraterlandschaft aussehen ließ.
Großräschen versteht sich heute als „Tor zum Lausitzer Seenland“.1 Aus der brandenburgischen Bergbaustadt ist längst eine attraktive Seestadt geworden. Die neu entstandene Wasserlandschaft bietet nicht nur touristische Angebote, sondern steht auch beispielhaft für einen erfolgreichen Strukturwandel in Brandenburg und Sachsen.
„Das war mal eine richtige Vision, als noch keiner daran geglaubt hat“, erinnert sich Bürgermeister Thomas Zenker. Er ist in Großräschen aufgewachsen und hat die einschneidenden Veränderungen hautnah miterlebt. Noch zu DDR-Zeiten wurde 1988 der ganze Stadtteil Großräschen-Süd mit 4.000 Einwohnern für den Tagebau geopfert. „Das war der größte Ort in der Lausitz, der je für die Kohle abgebaggert wurde“, sagt Zenker. Für viele Menschen ein echtes Trauma bis heute.
Bis zur Wende war Großräschen eine dichtbesiedelte Industriestadt mit rund 14.000 Einwohnern und vielen Arbeitsplätzen, doch auf das Ende der DDR folgte der wirtschaftliche Niedergang. Es sah so aus, als ginge in der Kleinstadt für alle das Licht aus. Immer mehr Menschen wanderten ab, die Arbeitslosigkeit lag bald bei mehr als 50 Prozent. Hoffnungslosigkeit machte sich breit, erinnert sich Zenker an diese schweren Jahre. „Wir mussten in die Zukunft schauen und Not macht erfinderisch“, so Zenker.
Partnersuche für den Neustart
Ende 1993 wurde Zenker zum jüngsten Bürgermeister in Brandenburg gewählt und begab sich auf Partnersuche für einen Neuanfang – in einer kaputten Stadt inmitten zerstörter Landschaft. Zusammen mit dem Landschaftsplaner Wolfgang Joswig entstand die Vision, Großräschen zu einer Seestadt zu entwickeln. „Da haben viele noch gesagt, das ist Spinnerei.“ Aber das Projekt gewann über die Jahre an Fahrt und viel Unterstützung.
Der Bürgermeister hörte von dem Konzept der Internationalen Bauausstellungen (IBA), die bereits im Ruhrgebiet dazu beigetragen hatten, den Strukturwandel zu bewältigen. Sie wollten nun in der Lausitz die größte künstliche Seenlandschaft Europas schaffen und Großräschen war ein Teil dieser zunächst utopisch klingenden Planung.
„Die eigentliche Kunst war, die Menschen von der Vision zu überzeugen“, sagt Zenker heute. Jahrelang war er wie ein Wanderprediger unterwegs, um Überzeugungsarbeit zu leisten. 2002 wurden die IBA-Terrassen in Großräschen eröffnet und die Landmarke „Lausitzer Seenlandschaft“ eingetragen.
Fünf Jahre später begann dort, wo einst der Tagebau Meuro war, die Flutung des Großräschener Sees und wurde 2019 abgeschlossen. Ein schiffbarer Kanal verbindet das Gewässer mit dem benachbarten Sedlitzer See. Kanäle und Schleusen in der Bergbauregion sollen bis 2023 zehn Seen miteinander verbinden. Zwischen Berlin und Dresden entstehen mit der „Lausitzer Seenlandschaft“ rund zwei Dutzend geflutete Seen und damit Europas größte künstliche Wasserlandschaft. Traditionell hatten Bergbau und Kohleproduktion seit Mitte des 19. Jahrhunderts den Charakter der Region bestimmt, nun wirbt die Lausitz mit einem neuen Urlaubsparadies.
Großräschen steht inzwischen sichtbar gut da. Wenn man aus den tristen, verlassen wirkenden Ortschaften rund um Großräschen in die Stadt hineinfährt, fällt unmittelbar ins Auge, dass sich dort mittelständische Unternehmen neu angesiedelt haben und viele Menschen heute wieder zuziehen.
Der historische Stadtkern mit einigen denkmalgeschützten Gebäuden wurde saniert. Die Zufahrtsstraße zur früheren Brikettfabrik wurde in Seestraße umbenannt und führt heute zum Wasser. Auch ein Landschaftspark wurde angelegt, der den See und die Stadt durch eine Allee verbindet. Unterhalb der Aussichtsplattform Victoriahöhe ist ein neues Wohnviertel mit modernen Eigenheimen entstanden, am Ortsrand drehen sich zahlreiche Windräder.
Der See als Aushängeschild
„Das wichtigste ist, dass wir heute wieder fast 3.000 Arbeitsplätze in der Stadt haben, eine gut strukturierte mittelständische Firmenlandschaft, was uns wirtschaftliche Stabilität gibt“, sagt Zenker. Der Tourismus sei dabei eine schöne Begleiterscheinung. „Das ist vor allem wichtig, weil hier wieder Lebensqualität entstanden ist für die Menschen, die hier wohnen und leben.“ Dazu habe auch der See maßgeblich beigetragen.
„Der See ist unser Aushängeschild“, sagt der Bürgermeister. „Er lädt zum Träumen ein, man kann überlegen, da sein Boot hinzulegen.“ Bei schönem Wetter sind viele Fahrradfahrer auf dem asphaltierten Weg rund um den See unterwegs.
Ein Anziehungspunkt ist auch das elegante Seehotel, das Besucher mit Wellness-Angeboten in die Gegend lockt. „Wir wollten eigentlich ein paar Tage an die Ostsee, aber da war alles voll“, erzählt eine junge Berlinerin. „Da bin ich im Internet auf dieses Hotel am See gestoßen.“ Sie will ein Fahrrad mieten und die Gegend erkunden.
„Wir haben viele Gäste aus Berlin, Sachsen, Polen und Tschechien“, erzählt Steffen Schwardt, der als Betriebsleiter für das ganze Gelände verantwortlich ist und das Café betreibt. Er hat früher selbst noch im Tagebau gearbeitet und seither komplett umgesattelt. Am Wochenende sei es voll, doch die Pandemie habe die touristischen Möglichkeiten eingeschränkt, erzählt er.
So wirkt das ganze Areal manchmal an Wochentagen eher verlassen. Ein einsamer Wohnwagen steht auf dem riesigen Parkplatz, der 400 bis 500 Stellplätze anbietet. Aber es ist gerade diese Stille, die manchen Besuchern besonders gefällt, erzählt ein Urlauber, der auf der Terrasse seiner Ferienwohnung sitzt und den Ausblick über den See genießt. „Meine Frau und ich sind mit unserem Baby hier und uns gefällt, dass nicht so viel los ist“, sagt der Berliner. Im Internet hatte er den „Wohnpark Alma“ mit seinen modern gestalteten Bauhaus-Bauten entdeckt und fand das attraktiv. Der asphaltierte Uferweg sei ideal, um Inline zu skaten und den Kinderwagen vor sich herzuschieben. Als junge Familie benötigten sie auch keine Vergnügungsangebote am Abend. Wegen Corona sind seit 2020 viele Aktivitäten am See ausgefallen, auch das Weinfest.
Die Folgen des Klimawandels
Durch den Klimawandel erlebt die Seestadt weitere Rückschläge. So wurde am Ufer zur Ortsseite zwar bereits Sand für einen Badestrand aufgeschüttet, aber große Schilder weisen darauf hin, dass er nicht benutzt werden darf. Baden ist hier verboten. Auch im fertigen Jachthafen schwimmt eine braune Brühe und die Boote mussten 2019 wieder entfernt werden.
Der Grund ist, dass der künstliche See durch die Dürre vergangener Jahre nicht mehr genügend Wasser hat und abgefallen ist. Die große Wasseroberfläche lässt viel Wasser verdunsten und Regen ist in dieser Gegend viel zu oft ausgeblieben, um das wieder auszugleichen. Diese Entwicklung hat die Behörden dazu veranlasst, den Bootsverkehr und das Schwimmen im See zu untersagen.
Im Ort seien die Menschen gespalten, erzählt ein Spaziergänger, der mit seinem Hund am Seeufer spazieren geht. „Viele motzen, andere hoffen, dass eines Tages genug Wasser im See ist und mehr Touristen kommen.“ Er selbst gehört zwar eher zu den Optimisten, teilt aber die Sorgen vieler Bürger, die sich fragen, ob die Kommune die anfallenden Kosten für das Großprojekt in Zukunft weiter schultern kann.
Die Umweltorganisation BUND in Brandenburg sieht die Lage kritisch und erwartet, dass der Klimawandel weiter zu Wasserknappheit in der Lausitz führen wird. Schon jetzt gebe es ein Grundwasserdefizit. All das hat Auswirkungen nicht nur auf die Wassermenge, sondern auch die Wasserqualität in den Seen, nicht nur in Großräschen.
Die Dürre der Jahre 2018 bis 2020 wirke natürlich nach, sagt auch. Sebastian Fritze, Präsident des zuständigen Landesamtes für Bergbau, Geologie und Rohstoffe. Er spricht von einem „Klimatrend“, der zu mehr Trockenheit geführt habe und es erschwere, die Wasserstände der künstlichen Seen zu halten. „Klimakomponente, die Extreme nehmen zu plus vorzeitiger Kohleausstieg plus neue Seen plus geotechnische Besonderheiten an diesen künstlichen Seen – das Gesamtbild, das macht dann schon Freude“, schildert Fritze mit einiger Ironie die Herausforderungen. Er erwarte aber nicht, dass durch die Wasserprobleme die touristische Nutzung der Seen grundsätzlich in Frage stehe. Fritze mahnt aber zur Geduld, denn die Bergbausanierung und der Strukturwandel in der Lausitz seien eine Generationenaufgabe. Viele Kommunalpolitiker hätten zu große Erwartungen, die weder die Seen noch der Wasserstand oder die geologische Lage hergäben. Mit den Umweltverbänden sucht Fritze das Gespräch, sieht aber in der Region keine echte Alternative zu der Flutung der riesigen Bergbaulöcher.
Warten auf den Regen
„Jetzt warten alle auf die Freigabe des Großräschener Sees“, sagt der Bürgermeister. Das sollte erst 2022 erfolgen, zieht sich aber wohl voraussichtlich noch bis 2024. Dann könnte die ganze Seenkette mit dem Großräschener See und dem Sedlitzer See auf der Brandenburger Seite sowie dem Geierswalder See und dem Partwitzer See auf der sächsischen Seite gemeinsam freigegeben werden, hoffen die anliegenden Kommunen. Damit würde es auch möglich, mit dem Boot von See zu See zu fahren.
Bei der Frage, wie der Klimawandel sich weiter auswirken wird, zeigt sich Bürgermeister Zenker zuversichtlich. „Da muss man natürlich abwarten.“ Aber die Lausitz sei schon seit Jahrhunderten eher ein trockenes Gebiet gewesen. „Es gibt da eine Faustformel, die besagt, sieben trockene Jahre, sieben nasse Jahre“, so Zenker. So habe er es selbst über die Jahre miterlebt.
Schon vor Jahren habe es große Konferenzen über die Versteppung der Lausitz gegeben, dann habe es wieder nasse Jahre mit Überflutungen gegeben. Mal heiße es, es müssten Deiche gebaut werden, dann heiße es, das Wasser werde knapp. Er setzt viel Hoffnung auf eine hydrologische Studie, die das Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben hat, um mögliche Zukunftsszenarien zu erkunden. Diskutiert werden auch schon mögliche Lösungen, beispielsweise die Überleitung von Wasser aus der Elbe in die Lausitz. „Dieses Jahr war ein ziemlich nasser Sommer, deshalb hat sich der Wasserhaushalt wieder etwas stabilisiert“, sagt Zenker.
Fußnote
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Mehr Informationen zum Lausitzer Seenland: https://www.lausitzerseenland.de/de/die-seen.html ↩︎