Wie ich das Jahr 1989 und folgende Zeit erlebt habe
Vor dem 17. November 1989 gab es bereits Signale, dass sich etwas bewegt – Hunderte von ostdeutschen Bürgern strömten zur westdeutschen Botschaft in Prag mit dem Wunsch, nach Westdeutschland auszureisen, ähnlich war es in Budapest und anderswo im „Ostblock“.
Nach den Studentendemonstrationen, die am 17. November 1989 in Prag begannen, gab es auch große Versammlungen auf dem Marktplatz der Stadt Litoměřice, wo ich damals im Reisebüro gearbeitet habe. Am Anfang sind die Menschen sehr vorsichtig gewesen und hatten Angst, weil sie nicht gewusst haben, wie sich die ganze politische Situation entwickelt. Natürlich haben alle das Geschehen in Prag im Fernseher und im Rundfunk verfolgt.
Wir in Litoměřice hatten das Glück, dass der evangelische Pastor Zdeněk Bárta, ehemaliger Dissident und Mitarbeiter von Václav Havel, sehr aktiv war und die Versammlungen organisiert hat, die meistens in der Mittagpause stattgefunden haben. Ich habe sehr oft teilgenommen. Es wurden Gäste aus Prag eingeladen, darunter viele Studenten, die uns über die Ereignisse in Prag informierten und uns Mut zusprachen. Am Ende der Meetings haben alle die Nationalhymne und Volkslieder gesungen. Es gab viele positive Emotionen und Hoffnungen. Das Volk war sich einig, untereinander waren die Menschen sehr rücksichtsvoll. Natürlich waren die Kommunisten mit dem Geschehen nicht einverstanden, aber sie hatten keine Kraft mehr, die Entwicklung aufzuhalten. Es war eine sehr schöne und hoffnungsvolle Zeit – die Menschen konnten aufatmen. Viele Diskussionen fanden statt, die vorher gar nicht möglich gewesen wären.
Über die Wende habe ich mich mit der ganzen Familie sehr gefreut. Natürlich wusste ich, dass der Weg zur Demokratie lang sein würde, bevor wir das Lebensniveau des Westens erreichen. Aber für viele ist es eine Enttäuschung gewesen, dass man sich nun persönlich für Demokratie einsetzen und jeder Verantwortung übernehmen musste, – sie waren der Ansicht, das alles sollte jemand anderes machen; viele haben nur dauernd kritisiert.
Mit der Freiheit kamen sehr schnell negative Elemente aus dem Westen in die Tschechische Republik, wie zum Beispiel Drogen, Spielautomaten, Prostitution auf den Straßen usw. Was die echten Werte der Demokratie betrifft, blieben sie fast immer im Hintergrund. Nach einiger Zeit tauchten in den politischen Strukturen die alten Kommunisten wieder auf, auch bei der Privatisierung haben sie viele Betriebe übernommen. Die ehemaligen Dissidenten, die sich für die politische Wende geopfert hatten, haben sich leider zurückgezogen.
Nach den Worten des ehemaligen Ministerpräsidenten und späteren Präsidenten Václav Klaus sollte der Markt den Prozess zur Demokratie regeln. Alles drehte sich um die Finanzen, bald herrschte ein Materialismus ohne moralische Regeln. Wer Geld hatte, konnte sich alles kaufen, auch Macht und Gerechtigkeit. In dieser Richtung sehe ich zurzeit zwar teilweise Verbesserung, aber noch immer befindet sich der Rechtsstaat in Tschechien in großer Gefahr.
Auf der anderen Seite gibt es viele positive Dinge in der Entwicklung, die man zwar sehen kann, aber über die nicht so viel gesprochen wird wie über das Negative – dafür sind auch die Medien und Politiker verantwortlich. Überall sieht man, dass Städte, Dörfer und Straßen durch die Unterstützung der Europäischen Union schöner geworden sind. Den Menschen ist es in der Tschechischen Republik noch nie so gut gegangen wie heute – trotzdem sind viele immer noch oder wieder unzufrieden.
Ich persönlich kann mir die Tschechische Republik nicht ohne ihre Mitgliedschaft in der EU und NATO vorstellen. Die gegenwärtigen politischen Trends bei uns sind leider gefährlich. Das Programm der politischen Parteien ist der Populismus, den Wählern wird nicht die Wahrheit präsentiert, sondern das, was sie hören wollen, damit die Politiker die nächsten Wahlen gewinnen. Die Entwicklung zum Populismus ist allerdings nicht nur in Tschechien zu beobachten.
Natürlich hängt vieles auch von der Mentalität der Tschechen ab, sie geben nur ungern eigene Fehler zu, sondern suchen den Schuldigen irgendwo anders. Man muss ganz offen sagen: Es gibt nationalistische Tendenzen, viele Fremde fühlen sich in Tschechien nicht wohl.