Winnetous Silbersee als Goldader der Politik
Zusammenfassung
Kroatiens Weltnaturerbe bewegt seit Jahrzehnten die Massen: Millionen von Karl-May-Fans sind die Plitvicer Seen als atemberaubende Filmkulisse vertraut. Der Besucherandrang hat Winnetous Silbersee zwar in eine einträgliche Goldader verwandelt. Doch der Massentourismus hinterlässt Spuren – und macht dem Weltnaturerbe zu schaffen.
„Schatz im Silbersee“ in Kroatien
Die Szenerie wirkt märchenhaft und doch merkwürdig vertraut. Grün bewaldete Hänge umsäumen die türkisfarbene Seenkette, die das helle Karstgestein durchzieht.1 Über bemooste Felsvorsprünge rauscht die sprühende Gischt unzähliger Wasserfälle in die Tiefe. Einst glitten Pierre Brice und Lex Barker als Winnetou und Old Shatterhand im Apachenkanu durch die klaren Fluten der „Plitvička jezera“, der Plitvicer Seen. Nun klicken an Winnetous Film-Silbersee die Kameras: Im Gänsemarsch passieren lange Kolonnen von Touristen den „Veliki Slap“, den größten Wasserfalls Kroatiens.
Zumindest an Besuchern und Superlativen gibt es an den Gestaden der von den hohen Bergketten des Plješevica-Gebirges und der Mala Kapela umsäumten Seenkette keinen Mangel. Der fast 300 Quadratkilometer große, 1949 zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawiens gegründete Nationalpark im Herzen der „Lika“2 ist nicht nur der älteste in Kroatien, sondern gilt auch als eine der populärsten und zugleich kostspieligsten Touristenattraktionen des Landes.
„Die Plitvicer Seen werden zum echten Luxus“, titelte Anfang 2020 verbittert das Webportal des kroatischen TV-Sender N1, nachdem die Parkverwaltung den Eintrittspreis erneut um gut ein Drittel auf 300 Kuna (40 Euro) in der Hochsaison erhöht hatte. Weniger Medienschelte als das rückläufige Besucheraufkommen während der Corona-Epidemie ließ den Nationalpark die gepfefferte Preiserhöhung zwar bald wieder zurücknehmen. Doch ein billiger Ausflugsspaß ist der Abstecher zu den Plitvicer Seen im eher einkommensschwachen Kroatien weiterhin keineswegs: Allein für den Eintritt hat eine vierköpfige Familie in der Hochsaison über 70 Euro zu berappen.
Die rauschenden Kaskaden der Wasserfälle zwischen den insgesamt 16 aufeinanderfolgenden Seen sind es, die die Besucher in ihren Bann ziehen. Gespeist werden sie durch einige kleinere Flüsse und unterirdische Zuflüsse im Karstgestein. Das eigentlich fließende Gewässer wird immer wieder durch Tuffbarrieren zu Seen gestaut, die sich durch Kalk-Ablagerungen gebildet haben: Über die natürlichen und sich stets ändernden Staumauern stürzen und fließen die Wassermassen von einem See in den nächsten.
Die Touristengruppen, die in Elektrobooten über die Seen schippern oder sie auf Holzstegen und Wanderwegen umschreiten, haben vor allem deren imposante Wasserspiele im Kamera-Visier. Doch eigentlich machen die Wasserläufe nur vier Prozent des Nationalparks aus. Vor allem seine dichten, urwaldähnlichen Buchen- und Tannenwälder sind für bedrohte oder selten gewordene Tiere ein idealer Lebens- und Rückzugsraum. Von Bergmolch und Grottenolm über Steinadler und Uhu bis zu Wolf, Luchs oder Braunbär reichen die Tierarten, die die Gewässer, Felsen und Wälder des Parks bevölkern.
Die in Kroatien gedrehten Karl-May-Filme machten die Plitvicer Seen schon in den 1960er Jahren in ganz Europa bekannt: Bewusst mühte sich damals die aufstrebende Filmindustrie im blockfreien Jugoslawien um große Produktionen aus dem Westen. Als eines der ersten Naturmonumente weltweit wurden die Plitvicer Seen 1979 zum Weltnaturerbe der UNESCO erklärt. Doch der in den 1980er Jahren einsetzende Touristenboom wurde mit den Jugoslawienkriegen der 1990er Jahre jäh unterbrochen. Statt Winnetous Film-Silberbüchse und Old Shatterhands Bärentöter knallten in der Lika echte Schüsse: Die Plitvicer Seen wurden zum Schauplatz des blutigen Präludiums des Kroatienkriegs (1991-1995).
Plitvicer Seen als Kriegsschauplatz
Als „blutige Ostern von Plitvice“ ging der 31. März 1991 in Kroatiens Geschichtsbücher ein. Freischärlertruppen der Krajina-Serben, die sich gegen die von Zagreb angestrebte Unabhängigkeit und Loslösung Kroatiens aus dem bereits bröckelnden Vielvölkerstaat Jugoslawien stemmten, hatten zwei Tage vorher den Nationalpark besetzt und dessen Leitung vertrieben: Mit der Kontrolle der durch den Park führenden Überlandstraße wollten sie die Verbindung zwischen den serbischen Siedlungsgebieten in der Lika und der weiter nördlich gelegenen Banovina absichern.
Kroatiens erboster Regierungschef Franjo Tudjman ordnete umgehend die Räumung des Nationalparks von den serbischen Paramilitärs an. Über reguläre Streitkräfte verfügte der in die Unabhängigkeit drängende Teilstaat zwar noch nicht. Doch angesichts der wachsenden Spannungen hatte Zagreb die Stärke der kroatischen Polizei auf 20.000 Beamte verdoppelt – und eine 3.000 Mann starke Spezialeinheit zu einer Armee ähnlichen Sondereinsatzgruppe hochgerüstet. In mehreren Autobussen und dichtem Nebel erreichten rund 300 aus Zagreb, Karlovac und Gospić entsandte Einsatzkräfte am frühen Ostersonntag den Nationalpark – und wurden mit heftigen Schusssalven von dessen serbischen Besatzern empfangen.
Die heftigen Schusswechsel währten den ganzen Tag, bevor den kroatischen Polizeikräften die Wiedereinnahme des Parks und Verhaftung von 29 serbischen Freischärlern gelang. Jeweils ein Toter auf beiden Seiten und insgesamt 20 Verletzte waren die triste Osterbilanz der ersten militärischen Konfrontation zwischen kroatischen und serbischen Kräften.
Das kollektiv geführte Staatspräsidium Jugoslawiens ordnete noch am Abend des 31. März die Schaffung einer Pufferzone durch die Jugoslawische Volksarmee (JNA) an – gegen den Willen der kroatischen und slowenischen Vertreter. Auf Druck der JNA zogen sich die kroatischen Polizeitruppen am 2. April 1991 aus dem Nationalpark zurück. Als die sich mehrenden Scharmützel nach der im Mai erfolgten Unabhängigkeitserklärung Kroatiens im Sommer 1991 zu einem offenen Krieg ausarteten, nutzten die Streitkräfte der Serbischen Krajina den Schutz der JNA dazu, erneut die Kontrolle über die Plitvicer Seen zu übernehmen. Erst nach der Militäroperation „Sturm“ (Oluja) zur Rückeroberung der Krajina im August 1995, bei der über 200.000 Serben vertrieben wurden, fiel der fünf Jahre lang besetzte Nationalpark an das nun unabhängige Kroatien zurück.
Auswüchse des Massentourismus
Alljährlich am 31. März gedenken Kroatiens Veteranenverbände des gefallenen Polizisten Josip Jović; er wird bis heute als erster Märtyrer und Opfer des „Vaterländischen Kriegs“ verehrt. Das damalige Blutvergießen an den Plitvicer Seen ist zwar nicht vergessen, aber trotz der Kriegsruinen in der entvölkerten Lika längst Vergangenheit. Die während des Kriegs auch im Nationalpark gelegten Minen sind geräumt. Die malerische Seenkette und der Nationalpark sind dennoch ein Objekt heftiger Interessenskämpfe und Begierden geblieben: Nicht zuletzt der stete Besucherandrang haben Winnetous Silbersee zur einträglichen Melkkuh und Goldader der Politik gemacht.
Umweltschutz und vor allem die Leitung der staatlichen geführten Nationalparks seien in Kroatien „sehr eng mit der Politik verbunden“, sagt Marko Pećarević, Programm-Manager des World Wildlife Fund (WWF) Adria in Zagreb. Zum einen sei der Nationalpark mit rund 1.000 Beschäftigten einer der wichtigsten Arbeitgeber in der strukturschwachen Region. Zum anderen wiesen die Plitvicer Seen mit Abstand die höchsten Besucherzahlen aller Nationalparks in Kroatien auf, die sie zu einem „finanziellen Schwergewicht“ machten.
Lokale Unternehmen mit „direkten Kontakten“ zu einflussreichen Politikern auf Staats- und Gespanschaftsebene gelangten leichter an die begehrten Konzessionen zum Betrieb von Herbergen und Gaststätten, so die Erfahrung des Umweltaktivisten. Tatsächlich sind es nicht nur die im Karstgeschein versickernden Pestizide der Landwirtschaft, die dem Park zu schaffen machen: Der intensivierte Massentourismus hat an den Gestaden der Plitvicer Seen Spuren hinterlassen.
Die Balance im Zielkonflikt zwischen dem Schutz der Naturschätze der Plitvicer Seen und der Erhöhung der Einnahmen gelang Zagreb und der Parkverwaltung in den letzten Jahren nicht immer. Um die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft zu erhöhen, wurde 2014 ein Raumordnungsplan verabschiedet, der den Bau von neuen Hotels im Park erleichtern sollte.
Allein 2016 wurden 35 Genehmigungen für den Bau neuer Gaststätten, Pensionen und Hotels auf dem Gelände des Nationalparks erteilt. Die Folgen der vermehrten Vergabe korruptionsanrüchiger Baugenehmigungen an Investoren aus dem Dunstkreis der langjährigen Regierungspartei HDZ sollten nicht lange auf sich warten lassen. Die Vermehrung der Gästebetten ging mit dem steilen Anstieg der Besucherzahlen einher. Von 2000 bis 2019 vervierfachte sich die Zahl der Besucher auf 1,4 Millionen: An Rekordtagen passierten über 16.000 Touristen die klingenden Parkkassen.
Weltnaturerbe in Gefahr
Unangenehm stechend stiegen die Folgen der mehr als verzehnfachten Zahl von Übernachtungen bald Gästen und Gastgebern in die Nase. Einige der neu errichteten Nobelherbergen waren zunächst nicht einmal kanalisiert. Stattdessen ließen sie ihre Abwässer in eine offene Sickergrube im Wald verschwinden, von wo sie über das Grundwasser in die Seen gelangten: Anwohner spotteten über die offene Kloake bitter als den „17. See“ von Plitvice.
„Vom „Tod der kroatischen Perle“ berichtete 2018 bestürzt das Webportal „24sata“: „Wir zerstören unser Naturwunder: Die Plitvicer Seen sind voller Fäkalien.“ Die sinkende Wasserqualität in den Seen ging mit einer Absenkung der Wasserpegels einher. Da die neuen Hotels ihren Wasserbedarf willkürlich aus den Seen stillten, schlugen Umweltschützer bald wegen der drohenden Austrocknung der Wasserfälle Alarm.
In den Jahren 2017 und 2018 eskalierten nicht nur die Proteste von Anwohnern, Veteranenverbände und Umweltschützern, sondern auch der Druck auf das Naturmonument. Die UNESCO drohte dem Nationalpark damals gar die Aberkennung des Titels als Weltnaturerbe an. Den „exzessiven“ Besucherandrang und die wachsende Zahl schlecht konzipierter Bauprojekte im Nationalpark machte derweil die Naturschutzorganisation WWF für die miserable Lage der Plitvicer Seen verantwortlich – und rief das Umweltministerium, die Regionalverwaltung und die Parkverwaltung dazu auf, endlich ein nachhaltiges Tourismuskonzept für die geschundene Seenkette zu entwickeln.
Neue Hoffnung für die gefährdete Seenlandschaft?
Es sei für die Plitvicer Seen „Fünf vor zwölf“, mahnten Ende 2017 die durch den Park ziehenden Demonstranten, die vor einem „Ökozid“ des Weltnaturerbes warnten. Tatsächlich zog Zagreb kurz danach die Notbremse. Die neu errichteten Herbergen im Park wurden zwischen 2018 und 2020 endlich an die Kanalisation angeschlossen, die Höchstgrenze für die tägliche Besucherzahl auf 12.000 festgelegt, ein neuer Entwicklungsplan für den Park ausgearbeitet. Mit Projekten zur Müllvermeidung, der vermehrten Nutzung regenerativer Energie und gerne betonten Bekenntnissen für einen nachhaltigen Tourismus hat der Nationalpark sein ramponiertes Image wieder etwas aufgemöbelt. Immerhin: Der Status der Plitvicer Seen als Weltnaturerbe ist laut UNESCO nicht mehr bedroht.
Die Lage der Plitvicer Seen sei „besser, aber keineswegs ideal“, umschreibt WWF-Mitarbeiter Marko Pećarević die heutige Situation an Winnetous geschundenem Silbersee. Die Prozedur bei der Vergabe neuer Baugenehmigungen sei verbessert, bestehende Genehmigungen korrigiert worden. Als „ungelöst“ bezeichnet er das Problem der übermäßigen Besucherzahlen, als „doppeldeutig“ und „inkonsequent“ die Bekenntnisse der zuständigen Würdenträger zum „primären Ziel“ des Umweltschutzes.
Das Grundproblem ist laut Pećarević das von Zagreb promovierte Ideal von sich selbst finanzierenden Staatseinrichtungen: Noch immer gelte ein hoher Umsatz als wichtigstes Kriterium für eine erfolgreiche Verwaltung. Doch höhere Umsätze seien im Fall der Nationalparks nur über höhere Besucherzahlen zu erzielen: „Doch der Staat sollte den Nationalpark auf dieselbe Weise behandeln wie Schulen oder Krankenhäuser – und den Großteil der Mittel zur Erfüllung von diesem Ziel selbst bereitstellen. Doch leider begreift die Mehrheit der Leute noch immer nicht, was die primäre Funktion eines Naturschutzgebiets ist – der Schutz der Natur.“