OWEP 2/2000
Schwerpunkt:
Kirchen im Umbruch
Editorial
Vor mehr als 10 Jahren haben die Kirchen die Wende in Mittel- und Osteuropa in bedeutendem Maß mitgestaltet. Zuvor boten sie in den Zeiten totalitärer Herrschaft oft die einzigen Freiräume für Andersdenkende. Dies galt trotz massiver Verfolgung in der Ära Stalins und danach und trotz vielfältiger Formen der Repression und Marginalisierung der Gläubigen.
Nicht wenige – namentlich innerhalb der Kirchen selbst, aber nicht ausschließlich dort – glaubten deshalb, dass diese gestärkt aus der Phase der kommunistischen Ära hervorgehen und die Transformation der Gesellschaft nachhaltig mitbestimmen würden. Andere glaubten sogar unmittelbar dort anknüpfen zu können, wo Jahrzehnte zuvor eine gewaltsame Zäsur erfolgt war. Solche Hoffnungen und Illusionen verflüchtigten sich schnell. Die Freiheit öffnete viele neue Wege, Pluralismus und Wertewandel standen aber auch für neue Anfeindungen und Verunsicherungen. Die Kirchen empfinden heute auf ihrem meist ungehinderten Weg die Mühe der Ebene.
In den zahlreichen Analysen dieser Entwicklung, denen oft eine rein institutionelle Betrachtungsweise zu eigen war, blieb in den letzten Jahren merkwürdigerweise meist unbeachtet, welche Auswirkungen die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf das innere Leben der Kirchen als Gemeinschaften von Gläubigen und auf die Einstellung der Menschen zu Religion und Kirche hatte. Gesicherte Erkenntnisse darüber sind erforderlich, um in einer Zeit weltweit zu beobachtenden tief greifenden Wandels von Religiosität den künftigen gesellschaftlichen Ort der Kirchen zu bestimmen. Erhebungen dazu sind freilich erst seit kurzem möglich.
Wir wollen in diesem Heft zwei Forschungsprojekte zu diesem Fragenkreis vorstellen. Sie zeigen eindrucksvoll die Unterschiedlichkeit der Befunde in den einzelnen Ländern. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in den Beiträgen der Autorinnen und Autoren aus vier unserer östlichen Nachbarstaaten wider, die jeweils eine persönliche Einschätzung der kirchlichen Situation in diesen Ländern vermitteln. Auf diese Weise hoffen wir ein anschauliches Bild der Herausforderungen und Chancen zu zeichnen, vor denen die Kirchen in Mittel- und Osteuropa nach dem Umbruch der 90er Jahre stehen.
Die Redaktion