Zum Rechtsstatus der Bulgarischen Orthodoxen Kirche

aus OWEP 4/2009  •  von Hristo P. Berov

Mag. iur. Hristo P. Berov, LL.M. (Potsdam) ist Jurist und z. Zt. Doktorand am Evangelischen Institut für Kirchenrecht an der Universität Potsdam mit einer Arbeit über die Religions- und Kirchenfreiheit im bulgarischen Recht.

Die Prinzipienlosigkeit ist vielleicht der stärkste charakteristische Zug der staatlichen Gesetzgebung und der staatlichen Kirchenpolitik gleich nach der Feststellung der Staatsverfassung [1879] und bis auf den heutigen Tag.“1 Stefan Zankov

Bereits am Anfang ist eine wichtige Erklärung notwendig: Nur wenige Bulgaren stellen sich überhaupt Fragen nach der Traditionalität der Orthodoxie sowie nach der konkreten historischen Rolle der Bulgarischen Orthodoxen Kirche (im Folgenden: BOK) für die bulgarische Staatlichkeit. Das hat zur Folge, dass die bulgarische Kirchengeschichte durch gesetzliche Definitionen nationalisiert und die nationale Verfassung profaniert wird.

Ziel der folgenden Überlegungen ist die Darstellung der aktuellen Probleme des bulgarischen Religionsrechts im Hinblick auf den rechtlichen Status der Religionsgemeinschaften. Die damit verbundenen Fragen sind teilweise fast 130 Jahre alt und können, wie es scheint, auch in näherer Zukunft noch nicht zufriedenstellend gelöst werden. Nichtsdestoweniger sind befriedigende Antworten dringend erforderlich.

Gegenwärtige Situation von Gesellschaft und Kirche

Der gesellschaftlich-politische Umbruch in den osteuropäischen Ländern vor zwanzig Jahren erfasste auch Bulgarien und erreichte am 10. November 1989 Sofia. Damals spielten sich zahlreiche historische Momente auf Kirchenboden ab, z. B. auf der Treppe der Alexander-Nevski-Kathedrale und auf dem Platz vor dem Synodalhaus. Man konnte davon ausgehen, dass die BOK mehr als genug an Eindrücken davon für sich mitnehmen durfte; die lauten Schreie nach Unterstützung der Menschen in der Rolle als „nationaler Nährmutter“ waren nach fast 50 Jahren Austrocknung durch den Atheismus wirklich nicht zu überhören. Sehr schnell wurde jedoch schon damals klar, wie schwer die Last der Vergangenheit war. Auch die BOK konnte bei den anschließenden Entwicklungen nicht nur keine tragende Rolle spielen, sondern wurde – um es drastisch auszudrücken – eher zu einem gebrandmarkten „Opfer der Demokratie“. Zwar gab es einzelne Versuche mit unterschiedlicher Intensität, beim höheren Klerus Empfindungen für die neue gesellschaftspolitische Lage zu wecken, jedoch kam es erst acht Jahre später zu einer kirchlichen Verurteilung des kommunistischen Regimes. Dies erfolgte leider während des so genannten Schismas innerhalb der BOK2 und war letzten Endes keine dogmatische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern eher ein Legitimitätsproblem in der Kirchenleitung.

So blieb in der bulgarischen Öffentlichkeit ein bitterer Nachgeschmack zurück, ein Nachgeschmack von verschwiegener Verbundenheit des höheren Klerus mit den Diensten der kommunistischen Staatssicherheit – jenen Organe,n die bei der „Ausrottung der Religion“ an erster Stelle gestanden hatten. Ungelöste Vergangenheitsbewältigung seitens der oberen Kirchenverwaltung verhindert bis heute eine Stärkung des religiösen Gewissens der bulgarischen Gesellschaft und schwächt das Ansehen der BOK und auch der anderen Religionsgemeinschaften im Lande.

Staat und Kirche oder Kirche im Staat

Der Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften hängt stark davon ab, ob im Staat eine Religionsgemeinschaft existiert, die gegenüber anderen eine bevorzugte Stellung hat und einige Vorrechte genießt; dabei spielt es eine wichtige Rolle, auf welchen Rechtsgrundlagen diese Sonderrolle beruht bzw. ob die hervorgehobene Stellung einfach per Dekret festgelegt worden ist.

In der bulgarischen Rechtsgeschichte kam es zu einer durch politischen Druck und ideologische Entwicklung staatlicherseits erzwungenen Trennung der BOK vom Staat durch die Verfassung der Volksrepublik Bulgarien von 1947. Um der besonderen historischen Rolle der orthodoxen Kirche für Bulgarien3 Rechnung zu tragen, wurde die Orthodoxie in dieser Verfassung als „traditionelle Religion“ bezeichnet (zuvor hatte sie den Rang des „herrschenden Glaubens“). Diese konfessionelle Traditionalität im staatlichen Recht übertrug sich in die aktuellen Grundlagen der bulgarischen Religionsgesetzgebung, ohne dass darüber sachlich argumentiert wurde, ob und wie „traditionell“ die Orthodoxie für den Staat sein soll – „offizielle Religion“ oder nur „aus der Geschichte heraus bedeutende Religion“. Nach Äußerungen hoher orthodoxer Kleriker und gemäß des Beschlusses Nr. 13 Abs. 4 des IV. Kirchenvolkskonzils der BOK von 1997 „soll das orthodoxe Bekenntnis den Verfassungsstatus eines offiziellen Bekenntnisses des bulgarischen Staats erhalten“.4 Solche Bestrebungen seitens der BOK blieben selbstverständlich unbeachtet, denn die Republik Bulgarien ist trotz des Fehlens einer einschlägigen Vorschrift ein weltanschaulich neutraler Staat. Im Übrigen ist es vollkommen unklar, was genau unter einem „offizielles Bekenntnis“ zu verstehen ist und wie sich diese Charakterisierung im Vergleich zum früheren „herrschenden Glauben“ und zur heutigen „traditionellen“ Religion verhält. Man darf nicht vergessen, dass eine „offizielle“ Religion im Sinne von staatlich anerkannt (und bevorzugt) die Trennung der BOK vom Staat und somit auch die Verfassung grundsätzlich in Frage stellen kann!

Der bulgarische Staat als weltanschaulich neutrale Republik darf kraft Verfassung die BOK lediglich als eine Religionsgemeinschaft ansehen. Dies ist jedoch in der Rechtspraxis unmöglich. Angefangen von staatlichen Subventionen über die Rolle der BOK bei Staatsfeierlichkeiten bis hin zur Stärkung des nationalen Bewusstseins durch die BOK im Ausland5 deuten viele Hinweise darauf, dass die institutionelle Trennung der BOK vom Staat eher eine Verfassungsfassade ist als eine vernünftige Abgrenzung der jeweiligen Wirkungsbereiche für Bürger und Gläubige. In der Praxis wirkt sich das freundschaftliche Verhältnis des Staates gegenüber der BOK sehr oft zuungunsten anderer Konfessionen aus (überwiegend der protestantischen Denominationen); gleichzeitig jedoch erteilt der Staat der BOK freundlich, aber bestimmt eine Absage, wenn diese versucht, eine größere Rolle im öffentlichen Leben zu spielen – z. B. ist noch immer nicht entschieden, ob konfessioneller Religionsunterricht in den staatlichen Schulen als ordentliches Fach eingerichtet werden soll. Auch hat der bulgarische Staat die offiziell anerkannte Stellung der Religion bereits wiederholt missachtet, etwa dadurch, dass 2008 und auch 2009 die Abiturprüfungen an einem Sonntag durchgeführt wurden (ohne dass es allerdings zu einem Protest seitens des Klerus, der Lehrer oder der Schüler gekommen wäre).

Als Zwischenergebnis kann man festhalten, dass trotz der institutionellen Trennung der BOK vom Staat viele verdeckte, manchmal schwer erklärbare Tendenzen zur Verflechtung von Kirche und Staat zu beobachten sind. Zu fragen ist, worauf sich die BOK in Zukunft einstellen muss.

Ex lege: Die „gesetzliche“ Kirche

Im Zentrum der Fragen über den Rechtsstatus steht die Vorschrift von Art. 10 des bulgarischen Religionsgesetzes (offiziell „Gesetz über die Glaubensbekenntnisse“, hier verkürzt GüGB).6 Ihm zufolge wird die Orthodoxie in der Republik Bulgarien repräsentiert durch die „Autokephale Bulgarische Orthodoxe Kirche, die unter dem Namen Patriarchat Nachfolger des Bulgarischen Exarchats und ein Glied der Einen, Heiligen, Allgemeinen und Apostolischen Kirche ist“. An ihrer Spitze steht der Patriarch von Bulgarien, der zugleich Metropolit von Sofia ist. Gemäß Abs. 2 des Art. 10 GüGB ist die Bulgarische Orthodoxe Kirche kraft Gesetz eine juristische Person. Ihre Struktur und ihre Verwaltung sind in ihrer Kirchenverfassung festgelegt. Gemäß Abs. 3 können aus Abs. 1 und 2 keine Grundlagen für die Gewährung von Privilegien oder irgendwelchen Vorrechten abgeleitet werden.

Die Erklärung einer Personengemeinschaft zur juristischen Person ist für das bulgarische Recht nichts Neues.7 Problematisch ist es jedoch, dass es derzeit zwar in Bulgarien über 100 weitere Religionsgemeinschaften gibt und diese gemäß Art. 4 GüGB Gleichberechtigung genießen, andererseits es sich bei anderen kraft Gesetz anerkannten juristischen Personen zum größten Teil um staatliche Institutionen handelt. Die gesetzliche Verleihung des Status „juristische Person“ für die BOK (und die damit einhergehende Sonderstellung) sind im In- und Ausland auf Befremden gestoßen.8 Letzten Endes wurde damit zwar dem formalen Ende der innerkirchlichen Spaltung Rechnung getragen, die anderen Religionsgemeinschaften in Bulgarien haben diese Ausnahmeregelung für die BOK aber als eine Diskriminierung der eigenen Position empfunden. So bleiben genügend juristische Probleme offen.

Exkurs: Die römisch-katholische Kirche in Bulgarien – Glaubensbekenntnis ex officio

Bis 1990 „existierten“ für den Staat in Bulgarien gemäß der Vorschriften des Bekenntnisgesetzes von 1949 lediglich vier von der Regierung anerkannte Bekenntnisse: die BOK, die muslimische Gemeinschaft, die Armenische Apostolische Kirche und die israelitische Gemeinschaft. Nach 1989 erhielt die katholische Kirche die fünfte Stelle unter den registrierten Bekenntnissen und wurde am 4. März 2003 nach dem neuen Religionsgesetz registriert – ex officio, also von Amts wegen. Damit steht ihr das Recht auf staatliche Unterstützung gemäß Art. 28 GüGB zu. Merkwürdig ist aber, dass sie trotz ihrer Stellung als drittgrößte Religionsgemeinschaft Bulgariens (0,6 Prozent der Bevölkerung nach der Volkszählung von 2001) keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat erhält – im Unterschied zu kleineren Glaubensgemeinschaften.9 Trotz eines 1992 erlassenen speziellen Gesetzes zur Regelung der Restitution beschlagnahmten Kirchenbesitzes sind viele Immobilien, darunter Krankenhäuser, Schulen und Universitätsbauten (z. B. in Plovdiv) in staatlicher Hand geblieben. Abgesehen davon, dass grundsätzlich auch die anderen Religionsgemeinschaften in Bulgarien ähnliche Restitutionsprobleme haben, handelt es sich dabei eher nicht um Fragen des Rechtsstatus der katholischen Kirche in Bulgarien, sondern mehr um eine Rechtsstaatsproblematik in Verbindung mit adäquater Gesetzesanwendung.

Während des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Bulgarien (Mai 2002, vor dem Inkrafttreten des jetzigen Religionsgesetzes) wurde sehr gut sichtbar, dass viele Bulgaren, darunter Vertreter anderer Religionsgemeinschaften und sogar bekennende Atheisten, mit den Vertretern der katholischen Kirche einen freundlichen und respektvollen Umgang pflegen, was als ein sicheres Zeichen für ausgewogene und vernünftige Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem bulgarischen Staat gedeutet werden kann. Meines Erachtens bemüht sich die katholische Kirche in Bulgarien im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch darum, bei der Lösung sozialer Probleme mitzuhelfen. Allerdings hat sie wie alle bulgarischen Religionsgemeinschaften damit zu kämpfen, dass in der jüngeren Generation die Religiosität zurückgeht.

Aussichten

Ohne Zweifel besteht eine Diskrepanz zwischen der hervorgehobenen Stellung der BOK, wie sie gesetzlich geregelt ist, der in der Verfassung Bulgariens verankerten weltanschaulichen Neutralität der Republik und der Rolle der BOK im Alltag. Solange die BOK sich nicht zu einer grundlegenden Erneuerung ihrer Position gegenüber der Politik und ihres wirtschaftlichen Gebarens durchringt, was auch einen Personalwechsel in der Kirchenleitung10 nicht ausschließt, ist eine dauerhafte Lösung der offenen Fragen kaum vorstellbar.

Anhang


Fußnoten:


  1. Vgl. Stefan Zankov: Die Verfassung der Bulgarischen Orthodoxen Kirche. Zürich 1918, S. 201. Diese Tendenz ist bis heute erkennbar und verstärkt sich sogar – 130 Jahre nach dem Inkrafttreten der erwähnten Verfassung von 1879 und trotz der aktuellen Geltung der mittlerweile vierten bulgarischen Verfassung von 1991. ↩︎

  2. Der Autor spielt auf die Spaltung der orthodoxen Kirche Bulgariens in zwei Synoden (d. h. Exekutivorgane) im Jahre 1992 an, die dadurch entstand, dass ein Teil der Mitglieder des Heiligen Synods dem noch in kommunistischer Zeit gewählten Patriarchen Maxim (geb. 1914, gewählt 1971) wegen der Manipulation der Wahl durch das alte Regime die Gefolgschaft verweigerte. Allerdings wurde rasch klar, dass sich auch unter den „Spaltern“ zahlreiche Kollaboranten befanden. In den neunziger Jahren gab es mehrere Versuche seitens der Kirche und auch seitens des Staates, die Spaltung zu überwinden, wobei die Frage, welcher der beiden Kirchen das Kircheneigentum zustehe, von großer Bedeutung war und schließlich sogar zu einer Beschwerde des „Alternativsynods“ vor dem Europäischen Menschengerichtshofs in Straßburg führte. Inzwischen konnte der interne Streit weitgehend beigelegt werden; der Prozess der Versöhnung innerhalb der Kirche ist jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Vgl. dazu auch Daniela Kalkandjieva: Die Bulgarische Orthodoxe Kirche: Last der Vergangenheit und Herausforderungen der Zukunft. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 8 (2007), H. 3, S. 225-228 (der gedruckten Ausgabe) [Anm. d. Redaktion]. ↩︎

  3. Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Božidar Andonov in vorliegendem Heft. ↩︎

  4. Verkündet in der „Kirchenzeitung“ XCVIII (1997), 15 c. 7. ↩︎

  5. Zu Staatsakten wird der orthodoxe Patriarch als einziger Vertreter bulgarischer Religionsgemeinschaften geladen und steht in der Rangordnung an fünfter Stelle. Art. 13. Abs. (1) des Gesetzes für die im Ausland lebenden Bulgaren (im Jahr 2000 verabschiedet) legt fest: „Der bulgarische Staat unterstützt die Bewahrung und die Äußerung des östlich-orthodoxen Glaubensbekenntnisses als die traditionelle Religionszugehörigkeit der Bulgaren und als Faktor zur Wahrung der bulgarischen nationalen Identität, wofür sie in Abstimmung mit der Bulgarischen Orthodoxen Kirche deren Tätigkeit unter den außerhalb der Republik Bulgarien lebenden Bulgaren unterstützt …“ ↩︎

  6. Eine vollständige deutsche Übersetzung dieses Gesetzes durch den Autor ist abgedruckt in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion, 2006, H. 3, S. 375-387; S. 388-395 enthalten eine Kommentierung. ↩︎

  7. Gegenwärtig gibt es 60 weitere juristische Personen; eine Übersicht findet sich unter http://hpberov.blogspot.com/2009/06/ex-lege.html (letzter Zugriff: 22.10.2014). ↩︎

  8. Vgl. zum Hintergrund Anm. 2. ↩︎

  9. Vgl. die Übersicht im Anhang (S. 294 der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  10. Mit einem durchschnittlichen Alter der Mitglieder des Heiligen Synods der BOK, das Anfang letzten Jahres bei 75 lag, ist die BOK vermutlich die Kirche mit der ältesten Leitung weltweit. Außerdem hat die BOK mit der geringen Zahl von ca. 80 Mönchen, aus deren Reihen künftige Bischöfe zu rekrutieren wären, wenig Optionen zur Erneuerung der alten Strukturen. Ein weiterer Grund zur Sorge ist schließlich die ständig sinkende Zahl von Bewerbern in den beiden bulgarischen Priesterseminaren. ↩︎