OWEP 3/2000
Schwerpunkt:
Russland und Europa
Editorial
Mit dem Jahreswechsel ging in Russland die „Ära Jelzin“ zu Ende. Der neue Mann an der Spitze des russischen Staates, Wladimir Putin, löste sich rasch aus dem Schatten seines Amtsvorgängers und profilierte sich als Staatsführer, der weniger durch große Worte als vielmehr durch eine „Politik der starken Hand“ von sich reden machte. In den 90er Jahren war die Russische Föderation immer mehr ins Abseits der internationalen Politik gerutscht. Das ging so weit, dass die NATO es wagen konnte, ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates militärisch in Jugoslawien einzugreifen, was im Gegenüber zur einstigen Weltmacht Sowjetunion sicher nicht möglich gewesen wäre. Die neue russische Führung betrachtete dieses Vorgehen des Westens gewissermaßen als „Freibrief“, um nun ihrerseits ohne Skrupel und ohne Rücksicht auf die internationalen Proteste die tschetschenischen „Terroristen“ militärisch in die Knie zu zwingen.
Nach dieser, durch militärische Machtdemonstrationen beider Seiten äußerst gespannten Periode in den Beziehungen zwischen Ost und West deutet sich nun eine neue Phase der Entspannung an. Dabei scheint Putin verstärkt auf die europäischen Partner zu setzen, wie seine in kurzen Abständen erfolgten Reisen in mehrere europäische Hauptstädte zeigen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach dem Verhältnis von Russland und Europa, dem dieses Heft gewidmet ist, besonderes Gewicht. Wird Russland seine politische Position und seine kulturelle Identität künftig in Verbindung mit den europäischen Nationen oder im Gegenüber zu ihnen definieren?
Die Hauptartikel dieses Heftes beleuchten diese Frage aus politischer und historischer Perspektive. Sie werden ergänzt durch eine Analyse der kirchlichen Beziehungen zwischen Ost und West und eine Darstellung der beonderen Rolle des Baltikums an der Schnittstelle zwischen den europäischen Großmächten. Im Porträt wird einer der mächtigsten Männer in der neuen russischen Führung vorgestellt, der deutschstämmige German Gref. Das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland, von dem vielfach behauptet wird, es sei ein besonderes, wird in zwei pointierten Kurzbeiträgen zur Diskussion gestellt. Über Meinungsäußerungen unserer Leserinnen und Leser zu dieser oder einer der anderen Fragen, die wir mit diesem Heft anschneiden, würden wir uns sehr freuen.
Die Redaktion