OWEP 4/2002
Schwerpunkt:
Interreligiöser Dialog
Editorial
Wie kann man miteinander ins Gespräch kommen, wenn man sich nicht kennt? Nicht nur in Mittel- und Osteuropa, sondern eigentlich in der ganzen Welt leben Menschen unterschiedlichster religiöser Herkunft und Tradition auf engstem Raum zusammen, ohne dass es zu einem Austausch der religiösen Erfahrungen kommt. Freilich gab es und gibt es zahlreiche Beispiele des Miteinanders, meist aber eher pragmatisch gelebt als durchreflektiert. Die europäische Geschichte ist reich an Modellen des religiösen – oder genauer gesagt: konfessionellen – Ausgleichs, der die Auseinandersetzungen in der Epoche der Reformation, Gegenreformation und Katholischen Erneuerung beendete. Man sprach aber auch weiterhin selten miteinander, wenn überhaupt eher übereinander. Auch im 20. Jahrhundert hat sich daran insgesamt wenig geändert.
Angesichts dieses ernüchternden Befundes will das vorliegende Heft Anstöße vermitteln, um damit zu einem Dialog der Religionen und Konfessionen beizutragen. Eine grundlegende Sichtung der Situation in Europa eröffnet die Reihe der Beiträge. Daran schließen sich Analysen der Situation in Bosnien und Herzegowina, der Ukraine und der Kaukasusregion an. Dem Islam kommt in den meisten Ländern eine wichtige Rolle zu; das gilt besonders auch für Kasachstan und Usbekistan, die in den Länderinformationen kurz vorgestellt werden.
Die derzeitigen Spannungen zwischen Moskau und Rom sind leider ein Beispiel für einen unterbrochenen interkonfessionellen Dialog. Im Anschluss an den Beitrag von Walter Kardinal Kasper im vergangenen Heft kommt diesmal die orthodoxe Sicht in zwei Beiträgen von Metropolit Filaret und Erzpriester Vsevolod Chaplin zu Wort. Über Zuschriften aus dem Leserkreis zu dieser Thematik würden wir uns freuen.
Die Redaktion
Kurzinfo
Wie kann man miteinander ins Gespräch kommen, wenn man sich nicht wirklich kennt? Dies gilt nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern ganz besonders auch für das Gespräch zwischen Konfessionen und Religionen. Kenntnis und Offenheit sind Voraussetzungen für einen ernsthaften Dialog. Dazu möchte das Heft Anstöße vermitteln.
Eine erste Bestandsaufnahme zur Situation in Europa bietet Prof. Dr. John D’Arcy May, Dozent für interreligiösen Dialog an der Irish School of Ecumenics, Dublin, unter dem Titel „Der Osten des Westens. Europa vor der Herausforderung des interreligiösen Dialogs“. Sein Beitrag bietet eine grundlegende Analyse zur religiösen Lage in Europa. Neben dem Christentum spielt der Islam eine immer größere Rolle, aber auch anderen religiösen Strömungen (buddhistische Sekten usw.) kommt eine wachsende Bedeutung zu.
Zu einem Brennpunkt nationaler, aber auch religiös bestimmter Auseinandersetzungen wurde in den vergangenen zehn Jahren Bosnien-Herzegowina, Kernland des ehemaligen Jugoslawien. Ursachen, Ablauf und Folgen des verheerenden Krieges stehen im Mittelpunkt der Darstellung von Prof. Dr. Niko Ikić, Dozent an der Theologischen Hochschule in Sarajevo. Als Vertreter der katholischen Kirche im Interreligiösen Rat von Bosnien und Herzegowina kennt er aus eigener Anschauung die Probleme des christlich-muslimischen Gesprächs und nimmt dazu pointiert Stellung.
Wenig bekannt ist die religiöse Vielfalt in der Ukraine, wo neben Christen verschiedener Denominationen auch Muslime und Juden nicht immer spannungsfrei zusammen leben. Dr. Viktor Yelensky, Sozialwissenschaftler an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew, stellt unter dem Titel „Religion und Kirchen in der Ukraine“ die Fakten zusammen, bietet aber auch dazu ergänzende historische Informationen, die besonders die Auseinandersetzungen innerhalb der orthodoxen Kirche und die Lage der griechisch-katholischen Kirche verständlich machen.
Religion und Nation auf engstem Raum, sich überlappend und immer wieder von Konflikten heimgesucht – dieses Bild lässt sich vom Kaukasus zeichnen. Auf einer Fläche, die noch nicht einmal der Größe Frankreichs entspricht, leben ca. 30 Millionen Menschen in etwa 60 Völker-, Sprachen- und Religionsgemeinschaften. Diese Völker sind nach den Worten von Dr. Hacik Rafi Gazer, Kirchenhistoriker an der Universität Halle-Wittenberg „auf der Suche nach Frieden und Freiheit im Kaukasus“. Tschetschenien, Berg-Karabach, Abchasien und Ossetien stehen für ungelöste Auseinandersetzungen, in denen immer auch die Religion instrumentalisiert wird.
Auch die Länderinformationen, zusammengestellt von Christine Dodt, Projektreferentin bei Renovabis, gelten zwei Staaten, in denen das Zusammenleben der Religionen sich nicht unproblematisch gestaltet. Präsentiert werden Kasachstan und Usbekistan.
Im Anschluss an den Beitrag von Walter Kardinal Kasper im letzten OWEP-Heft, der aus katholischer Sicht die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen orthodoxer und katholischer Kirche in Russland untersucht hat, äußern sich zwei Stimmen der Orhodoxie zu diesem Konflikt. Eine eher persönliche Sicht vertritt Metropolit Filaret von Minsk und Sluzk unter dem Titel „Eine orthodoxe Stimme zum Konzept des ‚kanonischen Territoriums‘“. Offizielleren Charakter trägt die Stellungnahme von Erzpriester Vsevolod Chaplin, dem stellvertretenden Leiter des Außenamtes der Russischen Orthodoxen Kirche „Handeln im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“.
Abgeschlossen wird die Abfolge der Beiträge mit dem Porträt von Nadeshda Michajlowa, einer „starken Frau“ in Bulgariens Politik. Sie stand zwischen 1997 und 2001 dem Außenministerium Bulgariens vor. Dr. Johanna Deimel, stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft in München, zeichnet in kräftigen Strichen das Bild einer aktiven Persönlichkeit, die in Bulgarien und Europa auch in kommenden Jahren noch eine Rolle spielen dürfte.
Dr. Christof Dahm