OWEP 1/2015
Schwerpunkt:
Makedonien
Editorial
Makedonien? Oder Mazedonien? Manch einer wird schon beim Namen unsicher. Dabei sind zwei Schreibvarianten in der Regel noch das kleinste Problem. Denn wo genau liegt das Land eigentlich? Wie verhält sich das einstige Königreich Makedonien unter Philipp II., dessen Sohn Alexander der Große einst ein Weltreich schuf, zum heutigen doch eher kleinen und unauffälligen Balkanstaat gleichen Namens?
Es bedarf schon eines besonderen Interesses an Südosteuropa, um diese Fragen ohne digitale Hilfe oder den Blick in einen historischen Atlas beantworten zu können. Im Wahrnehmungsbewusstsein eines Durchschnittseuropäers befindet sich die Republik Makedonien eher in einer Randlage. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Allein die Tatsache, dass sich die geografische Region Makedonien auch über die Länder Griechenland und Bulgarien erstreckt und die Republik Makedonien nur einen kleineren Teil ausmacht, schafft Irritationen. Der seit einigen Jahren schwelende Namensstreit mit Griechenland, das im internationalen Verkehr die Bezeichnung der kleinen Republik als Former Yugoslav Republic of Macedonia durchgesetzt hat, tut sein Übriges.
Die Entscheidung der Redaktion, der Republik Makedonien ein eigenes Länderheft zu widmen, lag also nahe. Ohne freilich den Anspruch zu erheben, Antworten auf alle Fragen geben zu können, wollte sie mit diesem Heft ein Signal setzen und das Land wenigstens vorübergehend ins Zentrum der Wahrnehmung ihrer Leser setzen. In Beiträgen zu grundlegenden Themen wie der Geschichte Makedoniens, zu seiner ethnischen Vielfalt sowie seinen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen will das Heft einen Überblick über landeskundliche Hintergründe bieten. Neben religiösen und säkularen Aspekten steht in einem Beitrag auch die wenig bekannte Hauptstadt Skopje im Mittelpunkt, deren ambitioniertes Städtebaukonzept unter dem Motto „Skopje 2014“ tiefe Einblicke in die Befindlichkeiten einer Nation liefert, die sich im wahrsten Sinne des Wortes im Um- und Aufbau befindet. Wir hoffen, Interesse und Neugier zu wecken auf ein Land, dessen Geschichte und Politik bei aller Komplexität zweifelsohne wert ist, mehr wahrgenommen zu werden, als es auf der großen politischen Bühne Europas zurzeit der Fall ist.
Die Redaktion
Kurzinfo
Ein kleines Land im Südosten Europas, dessen Name Assoziationen weckt: Makedonien – das erinnert an Alexander den Großen, König von Makedonien und Begründer eines Weltreichs. Mehr als zwei Jahrtausende trennen den antiken Helden vom heutigen Makedonien, die Verbindungslinien sind dünn und nicht unumstritten, vom Namen über die geografische Lage bis hin zum aktuellen politischen Status. Damit stellen sich also viele Fragen, auf die das vorliegende Heft von OST-WEST. Europäische Perspektiven Antworten geben möchte.
Zunächst müssen die Fakten genannt und erläutert werden: Das Heft befasst sich mit der heutigen, seit 1991 bestehenden Republik Makedonien, die zuvor die südöstlichste Teilrepublik Jugoslawiens bildete. Im Deutschen findet sich neben „Makedonien“ auch der Sprachgebrauch „Mazedonien“, zurückzuführen auf die unterschiedliche Aussprache des „c“ in der lateinischen Form „Macedonia“. Die Historikerin Prof. Dr. Nada Boškovsa, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich, skizziert im Eröffnungsbeitrag des Heftes die geografischen Grundlagen des Landes und vermittelt einen Überblick über seine Geschichte und Kultur vom frühen Mittelalter bis zur Unabhängigkeit. Zu unterscheiden ist es von der geografischen Größe „Makedonien“, die neben dem Gebiet der heutigen Republik auch Teile Nordgriechenlands und kleine Gebiete im Südwesten Bulgariens umfasst, worin die Ursache für das problematische Verhältnis der Republik zu diesen Nachbarn zu suchen ist. Besonders mit Griechenland bestehen bis heute, wie aus dem Beitrag des Journalisten Tim Graewert über die politische Entwicklung seit 1991 bis in die Gegenwart hervorgeht, starke Spannungen, die u. a. dazu geführt haben, dass die Republik Makedonien bis heute weder Mitglied der EU noch der NATO ist und in internationalen Gremien (etwa der UN) nur unter dem Namen „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ (FYROM) vertreten sein darf.
Die umstrittene und angefochtene Souveränität der jungen Republik stand auch Pate für das groß angelegte Projekt „Skopje 2014“. Die zunehmend autoritär auftretende Regierung unter Führung von Nikola Gruevski hat seit 2010 eine Reihe von Bauwerken in der Hauptstadt, darunter viele Denkmäler, errichten, und bestehende Gebäude in einem pseudoklassizistischen Stil umgestalten lassen, die dem Land eine in mehrfacher Hinsicht „großartige“ Geschichte verleihen sollen, wobei allerdings mit den historischen Tatsachen recht willkürlich umgegangen wird. Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg, vermittelt einen Überblick über das umstrittene Projekt und dessen politische Einordnung.
Hinsichtlich der Bevölkerungszusammensetzung und der Religionszugehörigkeit bietet die Republik Makedonien mit wenig mehr als zwei Millionen Einwohnern ein sehr buntes Bild, das in zwei Beiträgen nachgezeichnet wird. Nita Starova, Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Skopje, bietet einen Überblick über die ethnische Struktur und das spannungsreiche Verhältnis der beiden größten Volksgruppen – Makedonier und Albaner – zueinander, das sich zwar seit dem Abkommen von Ohrid (2001) mit der Einräumung von Minderheitenrechten für die Albaner insgesamt verbessert hat, ohne dass jedoch alle Konflikte beseitigt wären. Beide Volksgruppen stehen zugleich für die bedeutendsten Religionsgruppen im Lande, die Makedonier als orthodoxe Christen, die Albaner als Muslime. Die Verfassung Makedoniens räumt, wie im Beitrag von Dr. Aleksandar Spasenovski, Assistenzprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Kyrill und Method-Universität in Skopje, deutlich wird, den Religionsgemeinschaften einen großen Spielraum zur freien Entfaltung im öffentlichen Raum ein; zugleich machen sich immer stärker säkulare Tendenzen im Lande bemerkbar, die teils auf Zuspruch, teils auf heftige Ablehnung in der Gesellschaft stoßen.
Wie ein Blick auf die Landkarte zeigt, liegt Makedonien im Zentrum von Handelswegen, die das Land seit der Antike von Nord nach Süd und von Ost nach West durchziehen. Entlang dieser Routen erstrecken sich auch die wichtigsten Eisenbahn- und Straßenverbindungen, über deren Zustand und vorgesehenen Ausbau der Beitrag von Marinela Todorovska M. A., die am Institute for Global and European Studies in Leipzig studiert hat, detaillierte Informationen liefert. Wenn sich alle vorgesehenen Pläne umsetzen lassen, wird auch die Binnenkonjunktur davon profitieren, was der Entwicklung des Landes einen Wachstumsschub verleihen wird.
Mit dem Essay „Makedonien, der Balkan und Europa als ‚Zeit-Raum-Spiel‘“ steht am Ende der Hauptbeiträge ein Text, der tief in die Kulturgeschichte Makedoniens hineinführt und Hinweise auf die moderne, hierzulande kaum bekannte Literatur des Landes vermittelt. Dr. Angelina Banović-Markovska, Privatdozentin an der Fakultät für Philosophie der Kyrill und Method-Universität in Skopje, schlägt einen weiten Bogen mit dem Ziel, die Rolle ihrer Heimat als Brücke zwischen Orient und Okzident herauszuarbeiten.
Abgeschlossen wird das Heft mit gerafften Länderinformationen und einem Interview mit Dr. Kiro Stojanov, Bischof von Skopje und Oberhirte sowohl für die römisch-katholischen als auch für griechisch-katholische Christen des Landes. Zusätzliche Hinweise vermitteln einige über das Heft verteilte Textkästen zu Themen wie „Ökotourismus in Makedonien“, „Alexander der Große“ oder „Mutter Teresa“. Veröffentlichungen zum Schwerpunkthema runden das Heft ab.
Ein Hinweis auf das nächste Heft: Im Mai 2015 wird das zweite Heft des 16. Jahrgangs erscheinen, das dem Thema „Menschenhandel – moderne Sklaverei in Europa“ gewidmet sein wird.
Dr. Christof Dahm